Junglandwirt Sebastian Hagenbuch vertieft sein landwirtschaftliches Wissen mittels eines Agronomiestudium in Zollikofen. Nach bestandener Lehre mussten die Latzhosen und Arbeitshandschuhe dem (Sennen-)Hemd und Laptop weichen.
Bald schon stehen wieder einmal Prüfungen auf dem Programm. Das ist ja so quasi ein Bisschen wie die Ernte, einfach für Studierende: Man hat sich das Semester über mehr oder weniger Mühe gegeben, beweist dies unter anderem durch das Setzen von Kreuzchen an den richtigen Stellen und heimst die dafür in Aussicht gestellten Credits ein.
Angenehmeres Gefühl, gut vorbereitet zu sein
Diese ganzen Leistungsnachweise sind naturgemäss einigermassen mit Stress verbunden. Ich staune jeweils, wie entgegen mancher Vernunft die Noten noch immer eine ziemliche Priorität in meinem Leben geniessen. In einigen Fächern ist es mir wichtig, gut abzuschneiden, und ich bin etwas enttäuscht, wenn dies nicht der Fall ist. Im Gegenzug hat die Freude über gute Noten eine äusserst bescheidene Halbwertszeit. Nach den Prüfungen ist vor den Prüfungen. Doch warum unterwerfe ich mich diesem Diktat der Noten?
Einerseits ist es mit den Noten etwas wie mit dem Geld: Wenn man einigermassen komfortabel dasteht, muss man weniger dran denken. Wird es hingegen eng, kann einem darob plötzlich der Schlaf geraubt werden. Es ist ein angenehmeres Gefühl, gut vorbereitet an eine Prüfung zu gehen, als wenn ich innerlich mit dem lieben Gott Zwiesprache führe und ihn bitte, dass dieses oder jenes Thema bitte nicht abgefragt werden soll.
Anerkennung in Form von Noten
Besonders zum Tragen kommt das bei den mündlichen Prüfungen oder Präsentationen: Da wäre es mir peinlich, etwas Lausiges abzuliefern und ahnungslos vor meinen Kolleginnen und Kollegen oder den Dozierenden zu stehen. Schliesslich schätze ich es selber auch, guten Präsentationen oder spannendem Unterricht zuzuhören. Hinzu kommt, dass ich nicht gerne halbpatzige Sachen mache.
Vielleicht spielt auch noch mit, dass ich mir von der schulischen Karriere her gewöhnt bin, dass die Anerkennung in Form von Noten stattfindet. Gute Noten, guter Student, guter Mensch. Doch hier fände ich es schon gut, wenn ich mich besser vom Diktat der Noten emanzipieren könnte. Es gibt viele Aktivitäten neben dem Studium, die sehr wichtig sind und einem persönlich (und der Gesellschaft sowieso) deutlich mehr bringen, als wenn ich noch eine weitere Stunde hinter ein Skript hocke, bloss um eine gute Note zu schreiben.
Und doch ist es dann am Schluss erstaunlicherweise gar nicht so einfach zu sagen: "In diesem Modul leiste ich nur das Minimum, es interessiert mich nicht besonders und ich habe andere Prioritäten." Wohl auch, weil mich dummerweise sehr vieles interessiert, wenn ich mich erst einmal damit beschäftige.
Schwarz-Weiss-Denken ist bequemer
Vielleicht können Noten auch einen grossen Raum einnehmen, weil sie sich so gut vergleichen lassen. Bessere Note, besserer Student. Benchmark vom Feinsten. Die meisten Menschen bevorzugen das Quantifizierbare. Warum eigentlich? Ich glaube, weil es uns die Illusion von Klarheit und Verständnis gibt. Schwarz-Weiss-Denken ist bequemer als in Graustufen unterwegs zu sein.
Wenn ich mich aber nun bloss auf die Noten reduzieren liesse: Was oder wem renne ich dann nach meinem Studium hinterher? Umsatzzahlen, Wählerstimmen oder Hektaren?
Ich hoffe schon auf andere Lebensinhalte. Darum werde ich auch während dieser Prüfungszeit fleissig Improvisationstheater proben und spielen. Darum werde ich Freunde treffen. Darum werde ich Briefe schreiben, in den Stall gehen, auf dem Traktor sitzen und das Openeye Festival (www.openeye.ch) ausgiebig feiern. Und wer weiss, vielleicht wirkt sich das am schlussendlich ja positiv auf manche Lebensbelange aus - sogar auf eher belanglose wie die Noten.