Junglandwirt Sebastian Hagenbuch vertieft sein landwirtschaftliches Wissen mittels eines Agronomiestudium in Zollikofen. Nach bestandener Lehre mussten die Latzhosen und Arbeitshandschuhe dem (Sennen-)Hemd und Laptop weichen.
Nun ist es soweit. Mit diesem Beitrag reihe ich mich nahtlos ein unter die grossen Berichterstatter unserer Zeit. Jeder, der einigermassen etwas auf sich hält publiziert dazu: SRF hat dem Thema in Radio und TV ganze Sendungen gewidmet, mehrere Dokumentationen wurden dazu gefilmt. Jede namhafte Zeitung bringt monatlich mindestens einen mehr oder weniger haarsträubenden Artikel darüber, und esse ich mit mehr als 6 Personen an einem Tisch, kommt das Thema ganz bestimmt zur Sprache. Nicht zuletzt, weil sich Promis verpflichtet fühlen, spezielle Kochbücher darüber zu verfassen. Ganz eindeutig: Vegan ist Trumpf.
Dosis B12 beim Arzt holen
Nun, ich verstehe nicht ganz, was es alles über dieses Thema zu sagen gibt. Veganer verzichten in ihren Leben auf tierische Produkte. Entweder nur in Bezug auf Nahrung oder sogar in einem umfassendernen Sinne (Leder, Wolle, Haustiere). Sie können sich daher von Missständen in der Tierhaltung distanzieren und - sofern sie nicht den ganzen Tag Kokosmilch mit japanischen Algensalat mampfen - ein ökologisch besseres Gewissen in Anspruch nehmen (zumindest was den Bereich Ernährung betrifft. In welchem Verhältnis Flugmeilen und Spiegeleier miteinander verrechnet werden, weiss ich nicht). Veganer müssen acht geben auf eine ausgewogene Ernährung, und holen sich ihre Vitamin B12 Dosis beim Arzt oder in der Apotheke. Sonst leben sie recht normale Leben: Bier, Fussball und Pommes Chips sind schliesslich vegan.
Ausgelutschte Diskussion
Gibt es vielmehr zu diesem Thema zu sagen? Oft begibt man sich dann auf das Glatteis der Halbwahrheiten, Vereinfachungen und der engstirnigen Pro- oder Kontraseite. "Veganer sind irgendwie bleich." "Wo kriegen die denn ihre Proteine her?" "Tierische Produkte sind eine ökologische Katastrophe." "Tierhaltung ist Mittelalter." Und so weiter. Langweilig und ausgelutscht. Zumindest wenn die Diskussion auf dieser religiös-dogmatischen Schiene geführt wird.
Veganismus und im weiteren Sinne die Ernährung der Menschheit wäre eine durchaus spannende Sache. Weshalb der Konsum und Verzicht von bestimmten Lebensmitteln derzeit aber zur neuen Religion hochstilisiert wird, weiss ich nicht. Die Präsenz dieses Thema ist ähnlich überproportional wie der Anteil Landwirte in der Politik: Nicht einmal 1 Prozent der in der Schweiz wohnhaften Menschen ernährt sich vegan. Dennoch gehört es quasi zum guten Ton, dass man eine eigene Meinung zu Veganismus hat. Ein (mittlerweile nicht mehr ganz) neues Thema hat den Schweizer Tisch erreicht.
Wie die Minarett-Initiative
Ich bin inkonsequent. Da staune ich ob der Omnipräsenz des Themas, und muss doch auch noch meinen Senf dazu geben. Ich vermute, dass aus ähnlichen Gründen lebhaft über Veganismus diskutiert wird wie seinerzeit über die Minarett-Initiative oder anderen populistischer Schwachsinn: Es zielt auf die Emotionen. Es bietet uns die Chance, unserem Leben auf einfache Weise im Alltag etwas Moral einzuhauchen. Es bietet uns die Möglichkeit, unser Essen bedeutungsvoller zu machen und mit jedem Bissen quasi ein ethisch-politisches Statement abzugeben. Es ermöglicht uns, uns von anderen anzuheben und zu individualisieren. Und vor allem: Es bietet eine simple Lösung für ein sehr komplexes Problem (die nachhaltige Ernährung der Menschheit). Die Welt ist ja so schon kompliziert genug.
Die Geschichte hat uns aber gelehrt, dass einfache Lösungen für komplexe Probleme mit Vorsicht zu geniessen sind.