/fileadmin/images/logo.svg

Artikel werden durchsucht.

Besamungstechnikerinnen auf dem Vormarsch

Das künstliche Besamen von Rindern war lange eine Männerdomäne. Immer häufiger sorgen Frauen für trächtige Rinder auf Schweizer Bauernhöfen. Unterwegs mit Besamungstechnikerin Corinna Rüttimann.

Eveline Dudda, lid |

 

 

Das künstliche Besamen von Rindern war lange eine Männerdomäne. Immer häufiger sorgen Frauen für trächtige Rinder auf Schweizer Bauernhöfen. Unterwegs mit Besamungstechnikerin Corinna Rüttimann.

Das Rind will nicht. Es zerrt am Strick, schlägt mit den Hinterbeinen und versucht zu fliehen. Das ist nicht so einfach, weil Besamungstechnikerin Corinna mit ihrem Arm in seinem Darm steckt. Corinna weicht den Schlägen der Rinderbeine aus, indem sie von einem Bein aufs andere hüpfen.

13 Minuten pro Einsatz

Die ganze Szenerie erinnert an einen bizarren Tanz. Trotzdem gelingt es Corinna, ruhig und konzentriert zu sein. Mit halb geschlossenen Augen tastet sie die Gebärmutter ab. Schliesslich zieht sie ihren Arm und die Samenpistole zurück. „Das ist ein spezieller Fall“, sagt sie, während sie den Plastikhandschuh abstreift, „da ist schon was drin.“ Der Tierbesitzer schaut sie ungläubig an: „Trächtig?“ Er schüttelt den Kopf, „aber das Rind wurde ja noch gar nie besamt!“ Corinna zuckt die Schultern: „Vierter, fünfter Monat.“ „Bist Du sicher?“ Corinna ist‘s. „Ich kann es schon noch besamen, aber es bringt nichts.“ Einmal trächtig ist trächtig genug.

Der Bauer denkt angestrengt nach. Die beiden Munikälber, die im Sommer mit dem Rind auf der Weide waren, können es nicht gewesen sein, die hat er noch vor der Geschlechtsreife weggegeben und vom Termin her geht es auch nicht auf. Corinna bleibt nicht viel Zeit um den Vorgang der Befruchtung zu klären, ihr Arbeitsplan sieht im Schnitt 13 Minuten pro Einsatz vor. Wir kommen noch kurz auf die strenge Arbeit im stotzigen Gelände zu sprechen und darauf, wie wichtig die Gesundheit ist. Dabei erfahren wir ganz nebenbei, dass der Bauer Anfang Jahr einige Wochen im Spital war, das war vor vier, fünf Monaten....

Hauptsache ein gesundes Kalb

Doch wir müssen weiter, die Kühe warten. „Es kommt sehr selten vor“, meint Corinna auf der Fahrt zum nächsten Hof, „vermutlich wurde dieses Rind während der Abwesenheit des Betriebsleiters verwechselt. Vielleicht wurde auch einfach das falsche Tier angebunden.“ Die Besamungstechniker verlassen sich in der Regel auf die Angaben des Betriebs.

Nicht immer bleibt ihnen genug Zeit, um jede Ohrmarke mit dem Besamungsordner abzugleichen. Da kann auch mal ein Fehler passieren. Schlimm ist das in diesem Fall nicht, Hauptsache das Rind bringt ein gesundes Kalb zur Welt. Routiniert, und ohne auf das GPS zu schauen, steuert Corinna auf schmalen Nebenstrassen das nächste Ziel an.

Als Frau (k)eine Chance?

Dass Corinna Besamungstechnikerin wurde ist nicht selbstverständlich. Sie stammt schliesslich nicht aus der Landwirtschaft. „Aber ich war schon als Kind in jeder freien Minute auf dem Betrieb meines Onkel.“ Ihre Eltern haben keinen Hof. „Mit elf habe ich melken gelernt. Und als ich in der Sek war, habe ich mich immer darüber gewundert, warum die Jungs, die zuhause einen Hof hatten, im Sommer von der Badi träumten.“

Corinna war nie in der Badi, denn ihr Traum war es den Sommer über zu heuen. Das tut sie auch heute noch, wenn die Arbeit es zulässt. Dass Corinna den Beruf Landwirtin war für sie logisch. Und weil sie nicht nur ein Herz, sondern auch ein gutes Gspüri für Tiere hat, kam ihr irgendwann der Besamungstechniker in den Sinn. Nach dem Lehrabschluss rief sie bei Swissgenetics an und fragte, wie sie sich bewerben müsse. Sie bekam zwar Auskunft, aber gleichzeitig wurde ihr erklärt, dass dies kein geeigneter Job für Frauen wäre. Das war vor beinahe vier Jahren.

Benötigt Geschick

Inzwischen haben wir das nächste Ziel erreicht. Hier geht alles nach Plan. Mit der Pinzette fischt Corinna aus dem Stickstoffbehälter den Samen des gewünschten Stiers heraus, was einiges Geschick benötigt, da die Spermaröhrchen klein sind und deshalb viele davon im Behälter Platz haben. Dann weckt sie die tiefgekühlten Spermien in einem Behälter mit Wärme auf, bevor sie das Röhrchen in die Samenpistole einsetzt.

Um die Wärme zu halten steckt sie die Samenpistole in einen Plastikhandschuh und lässt diesen unter ihrem Kittel über den Rücken gleiten. Das Ende der Samenpistole steht dabei neben dem Kopf hervor, so dass man von weitem den Eindruck hat, Corinna wäre mit einem Sender versehen. Die nächste Kuh steht still, sie ist parat. Corinna drückt ab und gibt den Samen frei. Danach heisst es Stiefel abspritzen, Hände waschen und die Administration erledigen. Elektronisch hält sie fest, welchen Stierensamen sie für welches Tier verwendet hat. Sie druckt die Daten aus, klebt die Etikette in den Besamungsordner und schon geht es wieder weiter.

Besamen ist auch wetterabhängig

Besamungstechniker sind ständig unterwegs. An gewissen Tagen macht Corinna bis zu 30 Rindern oder Kühen ein Kalb. An Schönwettertagen, vor allem wenn diese auf eine längere Schlechtwetterperiode folgen, sind es meistens weniger. „Dann sind viele Bauern mit der Arbeit draussen beschäftigt und achten nicht so sehr auf die Brunstsymptome, abgesehen davon, dass diese bei heissem Wetter schwächer ausfallen.“ Die Kuh bekommt dann halt eine Pause. Drei Wochen später bietet sich die nächste Gelegenheit für den Köfferli-Muni.

A propos Gelegenheit: Wie war das damals mit dem Chef, der keine Frau anstellen wollte? Corinna grinst: „Ich habe mich trotzdem beworben. Ich hatte ja nichts zu verlieren.“ Sie wurde auch prompt zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Das Gespräch verlief sehr gut. Aber als sie das Zimmer verliess, hiess es erneut: „Das ist kein idealer Job für Frauen.“

 

„Köfferli-Muni“ als Beruf

Ein hoher Besamungserfolg ist keine Glückssache, sondern das Ergebnis eines Handwerks, welches erlernt werden kann. Die Ausbildung ist in der Tierseuchenordnung geregelt und wird in der Schweiz vom Bundesamt für Veterinärwesen akkreditiert. Besamungstechnikerin oder Besamungstechniker kann nur werden, wer eine abgeschlossene Berufsausbildung zum Landwirt oder einen verwandten Beruf vorweisen kann. Die Ausbildung dauert vier Monate, davon werden sechs Wochen in Berlin absolviert, gefolgt von einem zweimonatigen Praktikum, bei dem die angehenden Besamerinnen oder Besamer erfahrene Berufskollegen begleiten, bzw. von ihnen begleitet werden. Erst danach dürfen sie selbst aktiv werden. Die Arbeit des Besamungstechnikers erfordert viel Fachwissen, Fingerspitzengefühl und ein hohes Mass an Flexibilität. Wie beim Beruf des Tierarztes steigt auch beim Beruf des Besamungstechnikers der Frauenanteil laufend an. „Frauen sind auf dem Vormarsch. Immer mehr Frauen interessieren sich für den Beruf der Besamungstechnikerin”, sagt René Bucher von Swissgenetics, dem Schweizer Marktleader bei der künstlichen Besamung. Für die Tierhalter gibt es auch noch die Möglichkeit einen Kurs für die Eigenbestandsbesamung zu absolvieren, der nur eine Woche dauert. Die Absolventen und Absolventinnen dürfen danach aber nur ihren eigenen Tierbestand besamen. Corinna hat keine Angst, dass ihr die Arbeit deswegen ausgeht: „Wir machen eher die Erfahrung, dass die Eigenbestandsbesamer schnell merken, wie kompliziert das Ganze ist. Und wenn man zusammenrechnet, was der Stickstoffkübel, der Kurs und das Sperma kosten ist es auch finanziell auch nicht besonders attraktiv.“ ed

 

Eine Rasse für spezielle Fälle

„Mastrasse, Limousin“, steht auf dem Zettel im Stallbüro des nächsten Betriebs, den Corinna angesteuert hat. Sie öffnet den Ordner, wirft einen Blick auf die Tierdaten und wählt dann „Daniel“ aus. Dieser Stier steht für fleischige Kälber und leichte Geburten, was bei einem Rind von Vorteil ist. Preislich liegt sein Samen im Mittelfeld.

Bei Besamungen mit Fleischrassen kommt es öfters vor, dass die Tierbesitzer den Besamungstechnikern die Stierenwahl überlassen. Bei Herdebuchzuchten ist das eigentlich nie der Fall. Ohnehin hat jeder Tierhalter seine persönlichen Vorlieben und fast jeder Hof fährt eine eigene Zuchtstrategie. Corinna erwartet deshalb nicht, dass die Qual der Stierenwahl ihr überlassen wird. Nur ein- bis zweimal im Jahr wird sie gefragt, welchen Stier sie wohl in diesem oder jenem Fall empfehlen würde.

Corinna: „Wir können auf die Schnelle eigentlich nur das Exterieur beurteilen, aber nicht auch noch die ganzen Leistungswerte auswerten, da wir dazu nur wenige oder gar keine Angaben haben.“ Sie ist stets gerüstet und hat immer 1‘800 bis 2‘000 Samendosen von 22 verschiedenen Rassen im Auto. Einige Dosen braucht sie häufig, andere selten und manche nur in Sonderfällen. Ein Geheimtipp von ihr lautet: „Wenn eine Kuh überhaupt nicht aufnehmen will, versuchen wir es zum Beispiel mit einem Eringerstier.“

Besamen erfordert Fingerspitzengefühl

Besamen ist ein Handwerk, das viel Feingefühl erfordert, gute biologische Kenntnisse, eine exakte Arbeitsweise und ein hohes Mass an Organisationstalent. Denn der Tagesablauf wird nicht vom Besamungstechniker selbst, sondern von den Kunden, oder vielmehr ihren Kühen, diktiert. Sind viele Tiere brünstig, muss auch mal länger gearbeitet werden. Aber irgendwann hat jede Tour ein Ende. Als mich Corinna am Treffpunkt absetzt, ist mir vieles klar geworden, nur eines weiss ich immer noch nicht: „Was hast Du gemacht, damit Du den Job bekommen hast, obwohl dein Chef eigentlich keine Frau anstellen wollte?“

Corinna antwortet nicht gleich. Sie deponiert zuerst ihre Gummistiefel vor dem Rücksitz, verstaut den Mantel ordentlich in der Kiste, setzt sich hinter das Lenkrad und legt den Gang ein. Dann zuckt sie mit den Schultern. „Er hat gesagt, ich hätte ihn überzeugt.“ Mit einem Lächeln auf dem Gesicht und zweitausend Dosen Sperma im Kofferraum fährt sie davon.

    Das Wetter heute in

    Umfrage

    Lässt Ihr Trockenfutter produzieren?

    • Ja, aus Gras:
      6.38%
    • Ja, aus Mais:
      9.4%
    • Ja, aus Gras und Mais:
      9.06%
    • Nein:
      75.17%

    Teilnehmer insgesamt: 1192

    Zur Aktuellen Umfrage

    Bekanntschaften

    Suchen Sie Kollegen und Kolleginnen für Freizeit und Hobbies? Oder eine Lebenspartnerin oder einen Lebenspartner?