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«Betriebe arbeiten nach Prinzip Hoffnung»

AgE |

 

Der Geschäftsführende Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Prof. Alfons Balmann, äussert sich im Interview über die gegenwärtig stellenweise katastrophale Lage in der ukrainischen Landwirtschaft, die Modernisierung der Betriebe in den vergangenen Jahren sowie die Gefahren des Krieges für die internationale Nahrungsmittelversorgung

 

Herr Balmann, was wissen Sie über die derzeitige Situation der ukrainischen Landwirtschaft?
Die Lage ist regional sehr unterschiedlich. Während man im Westen des Landes noch versucht, die Frühjahrsbestellung wie geplant durchzuführen, hat man in anderen Teilen des Landes aufgegeben, überhaupt zu wirtschaften. Letzteres betrifft insbesondere die vom Einmarsch betroffenen Gebiete, wie im Norden die Regionen Tschernihiw und Sumy, aber natürlich auch den Osten und Süden. Hier finden intensive Kämpfe statt und die Betriebe sind bestenfalls damit beschäftigt, Anlagen, Maschinen und Vorräte zu schützen, und sofern möglich, die Tiere notdürftig zu versorgen.

 

Wo stand die ukrainische Landwirtschaft vor Kriegsbeginn?
Die ukrainische Landwirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren enorm modernisiert. Das gilt insbesondere für viele Grossbetriebe. Im Rahmen dieser Modernisierung wurden nicht nur die Erträge enorm gesteigert, sondern es wurde Spitzentechnologie beschafft; die Betriebe sind in einem hohen Grad digitalisiert und Abläufe optimiert. So ist es gelungen, dass manche Marktfruchtunternehmen mit einem PS-Besatz von 0,5 PS/ha für Traktoren, Spritzen und Mähdrescher auskommen. Für Erschwernisse wie derzeit sind die Unternehmen aber nicht ausgelegt.

 

Was bedeutet das?
Man hat sich zwar auf den Ausfall vom Mobilfunk, eine erschwerte Logistik oder einen Teilausfall von Arbeitskräften durch die Landesverteidigung vorbereitet, aber nicht auf diese Dimensionen der Zerstörung und auch nicht auf die Mobilisierung der gesamten Bevölkerung für die Verteidigung. Entsprechend geht es in den umkämpften Gebieten bestenfalls um den Schutz der Anlagen und Vorräte sowie die Notversorgung der Tiere. Treibstoff wurde dort weitgehend entweder an die Armee abgegeben oder vernichtet.

 

In der Ukraine herrscht seit dem 24. Februar 2022. An frühen Morgen hat Russland die Ukraine angegriffen.
zvg

 

Wie sieht es in den nachgelagerten Bereichen aus?
Kritisch. Verarbeitung und Handel sind in einer äusserst problematischen Situation. Milch etwa kann in den umkämpften Gebieten nicht mehr verarbeitet und bestenfalls an die Bevölkerung verteilt oder an Tiere verfüttert werden. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nach wie vor ein Grossteil der Milch in Hauswirtschaften mit ein oder zwei Kühen produziert wird, die ohnehin nur einen geringen Teil ihrer Milch an Molkereien liefern, sondern diese lokal vermarkten oder selber konsumieren. Zum Erliegen gekommen ist natürlich auch der internationale Handel. Nach wie vor lagern in den Silos im Landesinneren etliche Millionen
Tonnen Getreide, insbesondere Mais, die für den Export bestimmt waren.

 

Ist die Frühjahraussaat nach Ihren Informationen in grösserem Umfang gefährdet?
Ja, und zwar in erheblichem Masse. Die Ukraine produziert ja neben Winterweizen vor allem Mais, Sonnenblumen und Soja, sowie die Hauswirtschaften Kartoffeln. Entsprechend gibt es in den umkämpften Gebieten wohl kaum noch Möglichkeiten. Aber auch für weite andere Teile in der östlichen Landeshälfte ist die Sicherheitslage für die Feldarbeit problematisch. Und selbst bei einem baldigen Waffenstillstand wäre kaum damit zu rechnen, dass die Aussaat halbwegs ordnungsgemäss erfolgen kann. Gleiches gilt für die erforderliche Düngung, etwa des Weizens.

 

Und im Westen der Ukraine?
In der Westhälfte ist noch vieles potentiell möglich, aber die Herausforderungen der Beschaffung von Diesel und Dünger sind erheblich, erfordern eine Finanzierung und bis zur Ernte ist es ein weiter Weg. Entsprechend folgen die laufenden Arbeiten vermutlich eher einem Prinzip Hoffnung als dass optimale Erträge angestrebt werden.

 

Die ukrainische Landwirtschaft ist von Grossunternehmen geprägt. Wie ist deren Bedeutung für die Agrarerzeugung des Landes?
In der ukrainischen Landwirtschaft müssen wir vor allem drei Arten von Betrieben unterscheiden: Hauswirtschaften, selbständige Grossbetriebe mit bis zu 10’000 Hektar sowie Agroholdings mit 10’000 bis etwa 500’000 ha. Insbesondere die letzte Gruppe bewirtschaftet etwa 20 bis 25 % der Ackerfläche in der Ukraine und erzielt etwa 20% höhere Erträge als die selbständigen Grossbetriebe, die jedoch in den letzten Jahren partiell aufgeholt haben. Gerade die Agroholdings haben in den vergangenen zehn Jahren erheblich zur Modernisierung der Landwirtschaft beigetragen und sind vielfach Vorreiter für Innovationen, etwa im Bereich der Digitalisierung. Allerdings gehen Modernisierung, Ertragssteigerungen und Rentabilität nicht Hand in Hand, sondern erfolgen jeweils mit einem gewissen Zeitverzug. Dennoch waren einige der Holdings in den vergangenen Jahren äusserst rentabel.

 

Prof. Dr. Alfons Balmann ist seit Oktober 2002 Direktor am IAMO und Leiter der Abteilung Strukturwandel. Er studierte Agrarökonomie an der Universität Göttingen, wo er 1994 auch promovierte.
Iamo

 

Was haben Agrarholdings für eine Bedeutung in der Ukraine?
Anders als etwa in Deutschland und der Schweiz geniessen die Grossunternehmen und Holdings eine hohe Wertschätzung in der Ukraine. Ländliche Regionen profitieren deutlich von stetig steigenden Pachtpreisen und Löhnen sowie dem sozialen Engagement der Unternehmen in den Dörfern. Die Akzeptanz wird auch durch die Sichtbarkeit der Unternehmen und ihrer Führungskräfte vor Ort und in den sozialen Medien, wie etwa Facebook, befördert.

 

Wie kommen die Grossunternehmen mit dem zunehmenden Mangel an Personal und Diesel zurecht?
Trotz der letztlichen Überraschung des tatsächlichen russischen Angriffs am 24. Februar haben sich viele Unternehmen in den vergangenen Monaten auf den Ernstfall vorbereitet. Allerdings weniger auf die tatsächliche Brutalität und Zerstörung, die ja vor allem die umkämpften Gebiete betrifft. Gerade in den umkämpften Gebieten fehlt jede Möglichkeit überhaupt zu wirtschaften. Anders sieht es in den Regionen aus, die noch nicht umkämpft sind. Allerdings stellen sich hier zumeist andere Fragen als die optimale Bewirtschaftung der Flächen. Zum einen sind die Unsicherheiten zu gross. Niemand weiss, was in den nächsten Wochen passieren wird. Zum anderen geht es aktuell darum, wie man kurzfristig zur Versorgung des Landes und insbesondere der Städte sowie des Militärs und der Freiwilligen beitragen kann.

 

Und wenn sich die Lage beruhigen sollte?
Wenn sich Möglichkeiten etwa zur Frühjahrsbestellung ergeben, wird man gerade in den zentralen Gebieten der Ukraine improvisieren müssen. Das heisst, selbst wenn es gelingt Diesel, Saatgut und Dünger zu beschaffen, muss alles auch zum richtigen Ort kommen. Und dann stellt sich die Frage der Schlagkraft, denn auch Verzögerungen haben ihren Preis.

 

Derzeit scheint die Aufrechterhaltung der tierischen Erzeugung nach den vorliegenden Informationen zunehmend schwieriger zu werden. Wie schätzen Sie das ein?
Hier muss man sehr nach Tierarten unterscheiden. Die Rinder- und Schweinehaltung ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Vor allem die Milchproduktion findet überwiegend in den Hauswirtschaften statt. Betroffen sind von den Problemen besonders die Betriebe und Haushalte in den umkämpften Gebieten und dort insbesondere die vergleichsweise wenigen grossen Betriebe, die noch aktiv Schweine und Rinder und insbesondere Milchkühe halten.

 

Wo gibt es besonders Probleme?
Ein besonderer Problembereich betrifft die Geflügelhaltung, die enorm gesteigert wurde und nun etwa 57 % der gesamten Fleischerzeugung umfasst. Diese ist überwiegend industriell organisiert und zu einem wesentlichen Teil auf das Unternehmen MHP konzentriert. Zwar wirtschaftet MHP hauptsächlich in bisher nicht extrem betroffenen Regionen, aber diese sind wie in der Region Winnyzja potentiell gefährdet, das gilt vor allem, wenn die Infrastruktur und etwa die Stromversorgung ausfallen sollte. Eine besondere Tragödie scheint sich in einer der grössten europäischen Legehennenhaltungen mit etwa 3 Millionen Hühnern bei Cherson abgespielt zu haben, die bereits Anfang März wegen der Kriegsaktivitäten nicht mehr mit Futter versorgt werden konnte. Ähnliches wird aus der Region Charkiw berichtet.

 

Die Ukraine gehört zu den grössten Produzenten von Weizen.
zvg

 

Was würde es bedeuten, sollte die Ukraine als Getreideproduzent und -exporteur in diesem Jahr weitgehend ausfallen?
Leider muss man davon ausgehen, dass die Ukraine in diesem und dem nächsten Jahr weitgehend als Exporteur ausfällt. Wir reden hier über beträchtliche Mengen, die selbst im Dürrejahr 2020 etwa 45 Mio. t an Getreideexporten ausmachten. Mit fast 7 Mio. t trug die Ukraine zu gut 50% des internationalen Handels mit Sonnenblumenöl bei. Etwa zwei Drittel der Exporte gehen nach Asien und Afrika, etwa ein Drittel nach Europa. Sorgen machen muss man sich insbesondere über die bereits drastisch gestiegenen Weizenpreise, die natürlich vor allem viele ärmere Länder treffen. Neben dem Ausfall für die direkte menschliche Ernährung werden vor allem auch die Märkte für Futtermittel betroffen sein. Das gilt insbesondere für Mais sowie GVO-freie Eiweissfuttermittel. 

 

Sollte das ukrainische Getreideaufkommen künftig in russischer Hand liegenwas wären die Folgen?
Das ist natürlich eine spekulative Frage. Allerdings sollte man sich bewusst sein, dass die ukrainische Landwirtschaft nicht erst seit dem jetzigen Krieg sehr westlich orientiert ist. Auch wenn die grossen ukrainischen Agrarholdings überwiegend im Eigentum von Ukrainern sind, haben viele ihren offiziellen Firmensitz in der EU, wie etwa in Luxemburg. Zudem gibt es eine besondere Mentalität. In der Ukraine sagen viele Vertreter der Landwirtschaft, dass der Unterschied zwischen der russischen und ihrer Landwirtschaft darin liege, dass in Russland Politik bestimmen würde und bei ihnen Business.

 

Können Sie das ausführen?
Man ist froh, eine Nullsummenproblematik überwunden zu haben, bei der man durch Korruption nur gewinnen konnte, was andere verlieren. Stattdessen herrscht Stolz darüber, was man in den letzten Jahren selber aufgebaut hat. Das zeigt sich etwa sehr deutlich auch in der engen Zusammenarbeit zwischen den grossen Agrarunternehmen und deren Partnern in Vorleistung und Handel. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Motivation bei einer russischen Besatzung aufrechterhalten würde. Hinzu kommt jetzt eine tiefe Abneigung. Daher wäre zu erwarten, dass viele führende Köpfe abwandern. Ihren internationalen Marktwert dürften diese Leute kennen.

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