«Schweizer Bauer»: Was ist «Révolte agricole Suisse»?
Christian Hofmann: Eine geschlossene Facebook-Gruppe (FB-Gruppe), in der sich Landwirte und Landwirtinnen sammeln und organisieren für einen Aufstand der Schweizer Landwirtschaft.
Die geschlossene FB-Gruppe hat bereits über 6000 Mitglieder. Wer steckt hinter der Gruppe?
Vor einer Woche hat Junglandwirt Arnaud Rochat aus Bavois VD die Gruppe ins Leben gerufen, er leitet die Gruppe und ist der Chef. Landwirtin Marlène Perroud aus Dompierre FR und ich gehören zu den Admins. Wir haben aktuell vor allem Mitglieder aus der Westschweiz, die Kantone Waadt, Jura und Neuenburg sind am stärksten vertreten. Es sind vor allem junge Landwirte und Landwirtinnen im Alter von 25 bis 35 Jahren. Es betrifft ihre Zukunft. Es ist zu beobachten, dass Bauern, die über 55 Jahre alt sind, weniger mitmachen.
Wie ist es dazu gekommen?
In immer mehr Ländern finden Bauerndemonstrationen statt. Es ist wichtig, dass wir etwas machen. Wenn die Landwirte in ganz Europa demonstrieren und wir nichts machen, würde das im Umkehrschluss heissen, dass alles gut ist. Aber es geht der Schweizer Landwirtschaft und vielen Schweizer Landwirten und Landwirtinnen nicht gut.
Wir nehmen die Detailhändler ins Visier.
Wieso braucht es das in der Schweiz?
Viele Dinge in der Schweiz laufen gut, das muss auch einmal gesagt werden. Nun müssen die Punkte, die noch nicht gut laufen, geändert werden. Und das zwar schnell. Momentan geht es nur darum, dass alle merken: Nicht nur in den Nachbarländern geht es vielen Bauern nicht gut, auch die Bauern in der Schweiz sind nicht zufrieden.
An wen richten sich der Aufstand?
Die Aufstände in der Schweiz richten sich nicht an die Politik oder an den Bund. Die Politik hat ihre Arbeit eigentlich gemacht – hier gibt es andere Themen zu regeln, vor allem die Sache mit dem ganzen Papierkram, aber das ist dann ein nächstes Thema. Wir nehmen die Detailhändler ins Visier.
Was sind die Forderungen?
Wir haben keine Forderungen, wir kommen mit Lösungen.
Wie meinen Sie das?
Wir wollen den Marktpartnern und allen Akteuren in der nachgelagerten Produktion, insbesondere dem Detailhandel, nicht mehr sagen, dass sie eine Lösung bringen sollen. Sie finden sowieso keine. Wir Bauern haben genügend lange nach Lösungen gefragt. Und alle sagen, es geht nicht. Deshalb werden wir jetzt in jedem Punkt konkrete Lösungen aus der Basis bringen. Wir fangen mit dem wichtigsten Punkt an, den Preisen.
Die Schweiz soll das erste Land mit geteilter Marge sein.
Was für Veränderungen wollen Sie?
Das grosse Thema bei all den Protesten ist der Lebensverdienst der Bauern. Die meisten müssen zusätzlich zum Betrieb auswärts arbeiten gehen, damit es zum Leben reicht. Die Jungen wollen bauern – es nervt und demotiviert am meisten, dass es vielen nicht möglich ist, nur einen Job auszuüben und davon leben zu können. Wir wollen von den Preisen und nicht von den Prämien leben. Wir wollen bei den Preiserhöhungen genaue Zahlen und nicht vage Aussagen, dass die Preise um 5 bis 10 Prozent steigen müssen. Jetzt geht es ins Detail, wir wollen Lösungen mit genauen Zahlen. Wir wollen richtige Partnerschaften mit den verschiedenen Akteuren der Lebensmittelbranche. Wir wollen einen ausgeglichenen, fairen Markt. Die Schweiz soll das erste Land mit geteilter Marge sein.
Wie werden diese Lösungsvorschläge kommuniziert?
Wir veröffentlichen diese Woche unsere konkreten Pläne. In den nächsten Wochen wird Schritt und Schritt eine Problematik thematisiert. Wir geben dazu konkrete Lösungsvorschläge. Anschliessend hat man eine Woche lang Zeit, darüber zu sprechen.
Was für Aktionen werden geplant?
Das wird sich zeigen und bald kommuniziert.
Wird es zu Blockaden kommen beispielsweise beim Verkehr oder bei Verteilzentralen?
Das könnte sein, wenn die Akteure und Marktpartner nicht auf unsere Lösungen eingehen. Denn, wenn wir mit konkreten Lösungen kommen und sie nicht darauf eingehen, bedeutet das, dass sie das Problem gar nicht lösen wollen, sondern, dass sie wollen, dass es Probleme gibt im Land. Sobald wir mit den Lösungen kommen, ist der Ball bei ihnen. Aber eigentlich wollen wir nicht unsere Traktoren zeigen, das brauchen wir nicht.
Wie steht der Schweizer Bauernverband (SBV) zu der Gruppierung?
Ich hatte Kontakt mit Francis Egger – er war unter den 200 ersten, der der geschlossenen Gruppe beigetreten ist. Der SBV weiss, was läuft. Er versteht unsere Aktion, aber er hat auch Angst und schwitzt schon.
Der Bauernverband ist dafür bezahlt, die Bauern zu verteidigen.
Wie meinen Sie das?
Wenn man die Bilder sieht – zu welchen Massnahmen die Berufskollegen in Frankreich bei den Demonstrationen greifen, dann ist das verständlich. Wir wollen keine Zustände wie in Frankreich. Und ich denke, wir sind genug intelligent, um Lösungen zu finden, ohne alles kaputt zu machen. Wir wollen nichts zerstören oder der Bevölkerung, die uns unterstützt und hinter uns steht, Schaden zufügen.
Wären Sie enttäuscht, wenn sich der SBV nicht hinter die Bewegung stellt?
Ja, sehr. Denn der SBV ist dafür bezahlt, die Bauern zu verteidigen, wenn ihr Job genügend gut wäre, dann wäre es ja auch nicht nötig, einen Aufstand zu machen. Wir Bauern würden am liebsten einfach ruhig auf unseren Betrieben arbeiten und Landwirtschaft betreiben und uns nicht über Preise ärgern, die nicht stimmen oder in administrativen Arbeiten versinken. Jetzt setzen wir Landwirte aus der Basis uns für unseren Berufsstand ein. Selbstverständlich ehrenamtlich – unsere Arbeit und der ganze Aufwand wird natürlich nicht bezahlt.
«Friedliche Aktionen sind durchaus angebracht»
Auf Nachfrage hat der Schweizer Bauernverband (SBV) bestätigt, dass er mit der Gruppierung «révolte agricole suisse» im Austausch sei. Der SBV «hat Verständnis dafür, dass auch die Schweizer Bauernbetriebe ihren Frust loswerden wollen».
Die fehlende Wertschätzung für die nachhaltige einheimische Lebensmittelproduktion, der wirtschaftliche Druck und die stetig steigenden Auflagen führe auch in der Schweiz zur Verzweiflung unter den Bauern.
«Friedliche Aktionen, um auch gegenüber den Marktpartner Druck zu machen, sind also durchaus angebracht», so Sandra Helfenstein, Mediensprecherin des SBV.
Auf die Frage, ob der SBV Aktionen und Proteste, die von der Basis kommen, unterstützt, heisst es: «Sympathische Aktionen, welche die berechtigten Anliegen unterstützen, sind positiv. Sie sensibilisieren die Bevölkerung.» Probleme sehe der SBV bei Aktionen wie in Frankreich.
«Rabiate Proteste wie in Frankreich halten wir für nicht zielführend», betont Helfenstein . Diese würden von der Schweizer Bevölkerung wohl nicht recht verstanden und würde der Sache eher schaden als nützen. «Wir dürfen nicht vergessen, dass das Parlament erst im Dezember entschied, auf Sparmassnahmen bei der Landwirtschaft zu verzichten. Zudem gab der Bundesrat bekannt, dass die Mineralölsteuerrückerstattung für die Bauernbetriebe erhalten bleibt», erläutert Helfenstein. ats
Was passiert, wenn der SBV sich nicht hinter die Bewegung stellt?
Die FB-Gruppe wird sowieso weitergeführt. Die Bewegung lässt sich nicht mehr abstellen und aufhalten. Die Landwirte und Landwirtinnen gruppieren und organisieren sich.
In Deutschland mischen sich «Rechtsextreme» unter die Demonstranten, in Frankreich ist die Zerstörungsbereitschaft der Landwirte gross, was sagen Sie dazu?
Es ist wichtig, dass wir solche Elemente von unseren Aktionen fernhalten. Wir wollen nicht politisieren und uns durch andere Gruppierungen oder Parteien instrumentalisiert lassen. Zur Erinnerung: Keine politische Partei hat uns in all den Jahren eine richtige Lösung gebracht. Politik ist nicht das Thema. Das Thema ist der Lebensverdienst der Bauern.
Es ist wichtig, dass sich die Deutschschweiz auch organisiert.
Was kann der einzelne Landwirt tun?
Er kann an den Ortstafeln alte Stallstiefel aufhängen. So wird symbolisiert, dass die Bauern in diesem Dorf auf die Situation aufmerksam machen. Man kann der FB-Gruppe beitreten . Dort werden die Informationen ausgetauscht und weitergeleitet. Es wäre gut, wenn sich jemand mit gutem Französisch und mit Deutschkenntnissen finden lassen würde, der eine deutsche Seite ins Leben ruft. Es ist wichtig, dass die Deutschschweiz sich auch organisiert. Viele Tessiner sind bereits in der französischen Gruppe, aber es kann natürlich auch eine italienische Gruppe gestartet werden.
Was hat es mit den verkehrten Ortsschildern auf sich?
Das kommt von unseren Nachbarn aus Frankreich. Sie haben damit begonnen. Damit soll ausgedrückt werden, dass die Politik und der Markt auf dem Kopf stehen.
Die Aktion mit den verkehrten Ortstafeln kommt aus Frankreich, damit soll gesagt werden, dass die Politik und der Markt auf dem Kopf stehen.
Anja Tschannen
Beenden Sie die Sätze …
Die «Révolte agricole Suisse» ist … eine Bewegung von verzweifelten Landwirten und Landwirtinnen.
Landwirtschaft ist … Harmonie mit der Natur.
Zur Person
Christian Hofmann hat vor neun Jahren die Facebookseite Swiss Agri Militant (SAM) gegründet, um sich gemeinsam mit Berufskollegen für seinen Berufstand einzusetzen. Aus der Bewegung SAM heraus ist es 2015 zur offiziellen Bauerndemonstration in Bern gekommen ist.
Hofmann hat eine Betriebsgemeinschaft mit seinem Vater. Der Betrieb umfasst 42ha LN. Es wird hauptsächlich Ackerbau, spezialisiert auf Direktsaat, betrieben. Folgende Kulturen werden angebaut: 11ha Kartoffeln (vor allem Saatkartoffeln), 8ha Weizen, 4ha Raps, 1ha Mais. Hofmanns halten 15 Angus-Mutterkühe. ats
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