Angesichts anhaltender Umweltverschmutzung, des Klimawandels und der Ausbreitung invasiver Arten brauche es neue Anstrengungen, hiess es weiter im Fachblatt «Nature».
Wirbellose Tiere
Sehr schlecht bestellt um die hier untersuchten wirbellosen Tiere in Europas Flüssen und Seen war es am Beginn der oft als «grosse Beschleunigung» bezeichneten Wirtschaftsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1950er- und 1960er-Jahren war der menschliche Einfluss auf die Ökosysteme in Europa vielerorts so angewachsen, dass immer mehr Süsswasserbewohner Giftstoffen oder Verbauungsmassnahmen kaum mehr etwas entgegensetzen konnten.
In der Folge «wurden zur Wiederherstellung von Süsswasserlebensräumen beispielsweise mit dem ‹US Clean Water Act› von 1972 und der EU-Wasserrahmenrichtlinie von 2000 wichtige Gegenmassnahmen ergriffen», so eine der Hauptautorinnen der neuen Untersuchung, Ellen A. R. Welti, vom Smithsonian›s Conservation Ecology Center in den USA.
Besserung ab den 1980er Jahren
Etwa ab dem Jahr 1980 hätten diverse Schutzinitiativen dazu geführt, dass die Verschmutzung durch organische Substanzen und die Versauerung der Gewässer zurückgingen, heisst es in einer Mitteilung des deutschen Senckenberg Forschungsinstituts, bei dem der Studien-Erstautor Peter Haase tätig ist, und der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien.
«In der Schweiz führten der flächendeckende Einbau von Kläranlagen und die Ausfällung von Phosphor in Kläranlagen zu einem deutlichen Rückgang der organischen Verschmutzung ab etwa 1980», wird Florian Altermatt, Gruppenleiter am Wasserforschungsinstitut Eawag der ETH Zürich, in einer Mitteilung zitiert.
Ein grosser Unterschied zu vielen anderen Ländern seien die alpinen Gewässer, die zum Beispiel durch die Stromproduktion und die Klimaerwärmung stärker beeinflusst werden als Flüsse im Tiefland. Der Professor an der Universität Zürich war als einziger Vertreter einer Schweizer Forschungsinstitution an der Studie beteiligt und hat Daten über die Schweizer Insektenvielfalt beigetragen.
Datensatz aus mehreren Jahrzehnten
Wie sich diese Entwicklung über Jahrzehnte vollzogen hat und wo man nun steht, analysierte das Team, dem auch Boku-Forscherinnen und -Forscher aus Wien angehörten, anhand eines Datensatzes, der mehrere Jahrzehnte umfasst.
Insgesamt gingen in die Analyse 714’698 Beobachtungen von 2648 Wirbellosen aus 26’668 in 22 europäischen Ländern entnommenen Proben ein. Diese Tiere, etwa Krebse, Muscheln, Libellen, Eintags-, Stein-, und Köcherfliegen, erfüllen wichtige Aufgaben in den Ökosystemen.
Neben ihrer Funktion als Wasserreiniger «dienen sie als wichtige, gesetzlich in der Wasserrahmenrichtlinie verankerte Indikatoren für den Zustand unserer Süssgewässer», so Studien-Ko-Autorin Astrid Schmidt-Kloiber vom Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement der Boku.
Teilweise sogar Rückwärtstrend
Beim Blick auf den Europa-Durchschnitt über den gesamten Untersuchungszeitraum ergab sich eine Zunahme des Artenreichtums um etwas mehr als ein Prozent pro Jahr.
Bei genauerer Betrachtung zeigte sich jedoch, dass die Artenvielfalts-Zuwächse zum grössten Teil auf die Zeit vor dem Jahr 2010 entfielen. Seither tut sich beim Blick auf die allermeisten untersuchten Anzeiger für Biodiversität aber wenig. Zum Teil sind auch rückläufige Trends festzustellen. Die Erholung kam also zum Erliegen, wie die Wissenschaftler meinen.
Gleichzeitig habe man es aber auch nicht mit einer Art Sättigungseffekt zu tun. Viele Flusssysteme hätten sich nämlich bis 2010 nicht vollständig regenerieren können. Auch verzeichnete man Stagnation oder sogar erneute Biodiversitäts-Abwärtsbewegungen. Um den Gewässern weiter die Chance zu geben, sich zu erholen, brauche es daher weitere Anstrengungen.
Mögliche Handlungsoptionen
Das Forschungsteam empfiehlt unter anderem, die Einträge von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln aus landwirtschaftlichen Flächen zu reduzieren und grossräumige Auen- und Überschwemmungsbereiche zu schaffen – was auch eine Anpassung der Flusssysteme an künftige klimatische und hydrologische Bedingungen darstellt.
«Künftig sollte zudem die Überwachung der biologischen Vielfalt in Verbindung mit der parallelen Erhebung von Umweltdaten erfolgen. Nur so können wir die zeitlichen Veränderungen innerhalb der Artenvielfalt wirksam beschreiben, umweltbedingte Faktoren und stark gefährdete Gebiete ermitteln und den Schutz der biologischen Vielfalt maximieren», schliesst Haase.