Das Volk der Guarani im Grenzgebiet von Brasilien und Paraguay werde im Zusammenhang mit der Stevia-Pflanze um seine Rechte betrogen, monieren verschiedene Organisationen und Institutionen. Zudem werde in der Werbung geschummelt.
Stevia ist natürlich, Stevia ist süss und Stevia hat praktisch keine Kalorien: beste Voraussetzungen also, um die Blätter der Pflanze «Stevia Rebaudiana» als Süssstoff einzusetzen. Die Guarani tun dies seit jeher.
Drei Punkte kritikwürdig
Sie verwenden die Pflanze zudem als Heilmittel gegen verschiedenste Beschwerden, wie es in einem am Donnerstag veröffentlichen Bericht verschiedener Organisationen und Institutionen aus der Schweiz, Deutschland und Paraguay heisst. Zu den Herausgebern gehören die Erklärung von Bern (EvB) und die Informationsplattform Pro Stevia Schweiz.
Im Bericht werden vor allem drei Punkte als kritikwürdig hervorgehoben: Erstens die Benachteiligung der Guarani, zweitens die Bedrohung des Stevia-Marktes durch neue synthetisch hergestellte Süssstoffe und drittens irreführende Werbung.
Jahrhundertealtes Wissen für künstliche Süssstoffe
Die traditionelle Verwendung der Stevia-Blätter als Süssmittel sei in den meisten Industrieländern verboten. Gleichzeitig boomten Produkte mit künstlichen Süssstoffen auf Basis der Pflanze, so genannte Steviolglykosiden. Basis aller dieser Süssstoffe sei das «jahrhundertealte Wissen der Guarani», heisst es im Bericht. Hier liege ein klarer Fall von Biopiraterie vor: Die ungerechte Aneignung einer genetischen Ressource und des zugehörigen traditionellen Wissens.
Obwohl bereits tausende von Produkten auf dem Markt seien - von Coca-Cola Life bis zu Ricola Lakritz-Bonbons - sei weder mit dem Volk der Guarani noch mit den Ursprungsländern Paraguay und Brasilien je eine Vereinbarung über eine gerechte «Aufteilung der Vorteile» getroffen worden. Genau dies aber verlangten die UNO-Biodiversitätskonvention und das Nagoya-Protokoll.
Drohendes Aus für Stevia-Markt
Die Herausgeber des Berichts appellieren deshalb an die Hersteller von Stevia-basierten Süssstoffen sich zu Verhandlungen mit dem Guarani-Volk und den Ursprungsländern zu verpflichten. Mit Hilfe eines Vermittlers sei eine ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile zu vereinbaren. Dabei gehe es nicht in erster Linie um Geld, sondern um die Bedürfnisse der Guaranis etwa nach Land.
Laut Bericht konnten die Guarani bisher mit dem Anbau der Stevia-Pflanze wenigsten noch einen kleinen Gewinn erwirtschaften. Schon nächstes Jahr solle allerdings ein Süssstoff auf den Markt kommen, der Steviolglykoside enthält, die mittels synthetischer Biologie im Labor hergestellt werden.
Schummeln in der Werbung
Sollten sich derartige Produkte durchsetzen, könnte dies das Aus für den Stevia-Pflanzen-Markt bedeuten. Die Gewinne gingen dann vollständig an einige Unternehmen, die Guarani und die Ursprungsländer der Pflanze gingen leer aus. Eine unabhängige Abschätzung der sozioökonomischen Folgen sei deshalb unabdingbar.
Schliesslich kritisiert der Bericht die Werbung für Produkte mit Steviolglykosiden als irreführend. Es gehe nicht an, dass Anbieter ihre Produkte als «traditionell», «von den Guarani» oder «natürlich» anpriesen, «wo dies doch ganz klar nicht der Fall ist». Von Regierungen in den industrialisierten Ländern erwarte man Massnahmen für wirksame Gesetze zu Vorteilsausgleich und Werbung.