Rund die Hälfte der absturzgefährdeten Felsmassen ob Brienz GR ist in der Nacht auf Freitag heruntergestürzt. Der Schuttstrom verfehlte das Dorf nur knapp, verschüttete jedoch die Strasse nach Lenzerheide und riss eine kleine Hütte mit.
Nach neusten Erkenntnissen kurz vor Freitagmittag rechneten die Experten damit, dass mehr als die Hälfte, vielleicht sogar drei Viertel der absturzgefährdeten zwei Millionen Kubikmeter Fels – auch «Insel» genannt – heruntergekommen sind, sagte Christian Gartmann, Sprecher der Gemeinde Albula auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Dorf verschont
Ausserdem gingen sie davon aus, dass das Bündner Bergdorf von grösseren Schäden verschont blieb. Die Helikopterflüge der Geologen dauerten zu diesem Zeitpunkt aber noch an. Die zentrale Frage für den Moment sei, ob die umliegenden Gebiete im absturzgefährdeten Hang stabil sind oder nicht.
Kurz bevor die Gesteinsmassen in Richtung Brienz donnerten, riefen die Behörden die Phase Blau aus. Damit wurde der Strassenabschnitt und die Zuglinie zwischen Tiefencastel und Surava gesperrt. Reisende mussten Umleitungen via Klosters GR in Kauf nehmen. Die Ortschaften Alvaneu Dorf, Alvaneu Bad, Filisur, Schmitten, Bergün und Preda wurden am Freitag nicht von der Post beliefert und die 6. Etappe der Tour de Suisse musste ihren Start nach Chur verschieben.
Am Freitagnachmittag wollen die Behörden darüber diskutieren, wie lange die Phase Blau noch gelten soll. Generell wolle man sie so kurz wie möglich halten, sagte Gartmann weiter. In Tiefencastel versammelten sich derweil Fernsehteams aus dem ganzen deutschsprachigen Raum. Zu Verkehrsbehinderungen kam es in der Ortschaft bisher nicht.
Zehnfache Beschleunigung
Der Schuttstrom aus der sogenannten Insel, dem exponierten Teil des absturzgefährdeten Berghanges über Brienz, ging in der Nacht auf Freitag zwischen 23 Uhr und Mitternacht ab. Zuvor hatte sich die Insel noch einmal sehr schnell beschleunigt. Messungen zufolge rutschte sie 40 Meter pro Tag talwärts. Das ist eine zehnfache Geschwindigkeitszunahme innert Stunden.
Die Gesteinsmassen hinterliessen auf der Strasse nach Lenzerheide eine teilweise bis zu zwölf Meter hohe Mauer aus Schutt. Bereits zwei Tage zuvor waren Felsbrocken auf dieselbe Strasse gestürzt. Vorher-Nachher-Bilder zeigen nun die massiven Veränderungen im Landschaftsbild. Am Vortag waren in dem Gebiet noch nackte Felsen, einzelne Brocken, helles und dunkles Gestein sowie darunter Wiesen, und Bäume zu erkennen. Am Freitag lag dies alles unter der gigantischen Mauer begraben. Das Dorf sah auf den Bildern im Vergleich dazu wie eine Miniaturanlage aus.
Als sich die Felsmassen lösten, sei dies weit herum hörbar gewesen, wie Einwohnerinnen und Einwohner aus Tiefencastel gegenüber Keystone-SDA bestätigten. Auch in den frühen Morgenstunden rumpelte es immer wieder und Staub stieg auf.


