Unter dem Motto «Bürogummi wird Bauer» hat Sebastian Hagenbuch sein zweites Lehrjahr in seiner Zweitausbildung als Landwirt in Angriff genommen. Er berichtet in seinem Blog regelmässig über seine Ausbildung.
Die meisten Schulen stehen im Ruf, Theoretiker auszubilden und ihre Abgänger nicht wirklich praxisnah auszubilden – dies, obwohl mittlerweile fast sämtliche Bildungsinstitutionen mit ebendieser praxisnahen Ausbildung werben und um neue Lernende buhlen. Warum das mit dieser Praxisbildung nicht immer ganz einfach ist, erlebte ich vor einer Woche an der Liebegg.
Es war ein bitterkalter Morgen, und die Bise begrüsste uns Lehrlinge auf dem Landwirtschaftsbetrieb der Liebegg. Die Vertiefungswoche zum Thema Milch und Fleisch stand auf dem Programm, Schwerpunkt heute: Praktische Klauenpflege. Das frostige Wetter hatte immerhin den Vorteil, dass die abgesäbelten Rinderbeine, welche in Kisten verheissungsvoll vor uns lagen, einen neutralen Geruch behielten.
Winkelschleifer statt Nagelklipser
Das Ziel dieses Schultages war es, dass alle Lehrlinge am Schluss in der Lage sein sollten, die Klauenpflege bei einer Kuh vorzunehmen und richtig zu handeln, falls ein Geschwür oder eine Krankheit zum Vorschein kommen sollte. Da die Pediküre bei Rindern nicht mit Pinzette und Nagelklipser, sondern mit Winkelschleifer und Klauenmesser vonstatten geht, ist schnell grosser Schaden angerichtet. Darum die gefühlslosen toten Klauen: An Ihnen sollten wir uns zuerst eine Stunde lang als Klauenpfleger versuchen, bevor es bei den lebendigen Tieren ernst gelten würde.
Die Pflege der toten Klauen überspringe ich, wir tauchen ein ins Lebendige: Da kommen also Milchkühe in den Klauenstand, wo zwei Beine mit Gurten hochgebunden werden und zwei Lehrlinge mit Winkelschleifer und Klauenmesser zu hantieren beginnen. Nach und nach schloss sich der Graben zwischen Theorie und Praxis, und nach vier Stunden hatte ich das Gefühl, doch einiges rund um die Klauenpflege begriffen und angewendet zu haben. Warum also nicht immer so?
Lehrmeister brauchen Fingerspitzengefühl
Nun, da muss zunächst ein Landwirt gefunden werden, welcher seine Kuhherde (oder seine Maschinen oder was auch immer) einer Horde Lehrlinge anvertraut, wobei nicht alle mit gleich viel Fingerspitzengefühl ausgestattet sind. Es kam einige Male vor, dass ein Lehrling etwas zu viel Horn abgeschnitten hat, nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil man es einfach noch nicht besser wissen konnte. So konnte immerhin auch gleich das verbinden geübt werden. Lernen aus Fehlern heisst eben in der Praxis auch, dass bisweilen etwas Blut fliesst und einmal etwas schief läuft. Der Lerneffekt ist umso grösser, die nervliche Beanspruchung des Umfeldes aber ebenso.
Hätte es nun diesen praktischen Teil nicht gegeben, so könnte ich vielleicht die Grafik einer Rinderklaue korrekt beschriften und die theoretische Reihenfolge der funktionellen Klauenpflege herunterbeten. Damit ist aber niemandem – schon gar nicht einer Kuh mit Klauenproblemen – geholfen. Damit solcher Unterricht oder diese Art des Lernens aber möglich ist, braucht es Menschen mit Freude an der Ausbildung und Nerven aus Draht. Fähige Berufsleute sind leider nicht ohne Ausbildung oder Lernprozess zu haben, und ich hoffe, dass ich im Laufe meines Lebenswegs noch oft an Vorbilder gerate, die mich weiterbringen, indem sie Nerven beweisen, Vertrauen zeigen und herausfordern. Auch wenn manchmal Blut fliesst, ich weiss ja jetzt, wie man verbindet.