Unter dem Motto «Bürogummi wird Bauer» hat Sebastian Hagenbuch sein zweites Lehrjahr in seiner Zweitausbildung als Landwirt in Angriff genommen. Er berichtet in seinem Blog regelmässig über seine Ausbildung.
Um zu etwas oder jemanden eine persönliche Beziehung zu entwickeln, ist es vor allem wichtig, Zeit mit diesem Etwas zu verbringen. Denn darum geht es doch letztendlich, einen Bezug zu seiner Umwelt, ob nun Mensch, Tier, Pflanzen oder auch Maschinen und anderen Dingen zu haben, eine Art tieferes Verständnis, welches die harte Lackschicht der Oberfläche durchstösst und den Dingen in ihrer Tiefe auf den Grund geht. Ich stecke gerade in einer relativ jungen und intensiven Beziehung.
Wir sehen uns mehrmals wöchentlich, manchmal fast den ganzen Tag, schlafen tun wir aber getrennt. Sie ist etwas langsam, ich hacke viel auf (oder im Idealfall neben) ihr rum. Gemeint ist selbstverständlich die Zuckermaispflanze. Nachdem im letzten Lehrjahr in Vechigen zu dieser Jahreszeit die Spargeln den Tagesrhythmus diktierten, gehört heuer der Zuckermais fest zum landwirtschaftlichen Alltag.
Eine Hektare dieser leckeren Speise baut Donat Abbt in Staffeln an, und im Gegensatz zu den IP-Bauern weiss ich nun seit 3 Wochen auch aus eigener Erfahrung, weshalb der Mais zu den Hackfrüchten zählt. Zwischen den Reihen wird maschinell mit einem Reihenhackgerät gegen die Heerscharen von Unkräutern, bestehend vor allem aus Hirse, Knöterich und Vogelmiere, gekämpft, während es zwischen den einzelnen Pflanzen zum Nahkampf kommt: Mit Hand und Hacke versuchen wir dem "Gjätt" beizukommen und dem Mais dabei zu helfen, die Jugend schadlos und ohne allzu grosse Konkurrenz zu überstehen. Die Arbeit ist ein Härtetest für Körper und Psyche.
Der Rücken leidet einigermassen unter der stets leicht gebückten Haltung, doch erweist sich dieser Teil meines Körpers als erstaunlich belastbar. Fordernder ist die Arbeit auf der psychischen Ebene, aber in welchen Fällen ist der Aufbau einer Beziehung schon ein Pony-Spaziergang? Die tagelange Nähe zur Kultur hat - es mag zugegebenermassen nach Zweckoptimismus klingen - auch Vorteile: Man sieht haargenau, wie sich der Mais entwickelt, welche Auswirkungen 15 mm Regen und 5 Stunden Sonne auf das Wachstum von Unkraut und Mais haben können, und was die Folge ist, wenn an einer Ecke nicht ganz sauber gepflügt worden ist. Leider werde ich bei der Ernte nicht mehr dabei sein, aber so wie der Mais bis jetzt ausschaut (und dies ist die heikelste Phase), wäre ich wohl schon etwas stolz.
Shopping gibt noch keinen Bezug
Manch ein Konsument suche wieder vermehrt einen Bezug zu seinem Lebensmittel, las ich neulich in der Zeitung. Ob sich dieser Bezug allein durch einen Einkauf direkt beim Produzenten herstellen lässt, bezweifle ich. Wahrscheinlich ist diese Beziehung dann reichlich romantisiert. Denn: Eine Beziehung wird umso inniger, je mehr Leidenschaft darin steckt.
Und Leidenschaft trägt nun einmal das Wort Leiden in sich. Etwas Überwindung, eine Prise Schmerz, eine bestandene Willensprobe - das alles gehört dazu, ohne das lässt sich kaum eine tiefere Beziehung aufbauen. Zeit allein reicht nicht, und so wird der Kunde auch nach 5-stündiger Shoppingt(ort)our kaum den gleichen Bezug zu seinem Nahrungsmittel haben (obwohl das für mich auch viel mit Leiden zu tun hat).
Nach der Lehre das Studium
Trotz dem Privileg, dem Zuckermais nahe zu stehen: Es ist manchmal elend schwierig, bei einem mehrstündigen Jät-Einsatz bei Laune zu bleiben. Gut nur, dass die Welt spannend und schön genug ist, um einigen Gedanken nachzuhängen. Beispielsweise demjenigen, dass nun die LAP vor der Tür steht, der Lehrabschluss. Ein Lebensabschnitt neigt sich dem Ende zu, und der neue, der wurde in der Zwischenzeit aufgegleist: Ich habe mich für ein Studium an der Hochschule für Agronomie, Forstwirtschaft und Lebensmitteltechnologie (HAFL) in Zollikofen angemeldet. Das macht mich zwar noch kaum zum Bauer, aber doch hoffentlich zu einem Menschen mit erweitertem Horizont, grösserem Bekanntenkreis und neuen Inspirationsquellen.