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«Bürogummi wird Bauer»: Erlebnismittel statt Lebensmittel

Unter dem Motto «Bürogummi wird Bauer» hat Sebastian Hagenbuch eine Zweitausbildung als Landwirt in Angriff genommen. Er berichtet in seinem Blog regelmässig über seine Ausbildung.

Sebastian Hagenbuch |

 

Unter dem Motto «Bürogummi wird Bauer» hat Sebastian Hagenbuch eine Zweitausbildung als Landwirt in Angriff genommen. Er berichtet in seinem Blog regelmässig über seine Ausbildung.

Die Tage der Völlerei sind Geschichte und der Festtagsbraten verdaut. Und doch liegt nach diesen Tagen dem einen oder anderen etwas anderes auf dem Magen. Etwas, was nicht einmal direkt mit der Fresserei zu tun hat. Etwas, was sich in der verhältnismässig üppig vorhandenen Freizeit ausbreiten konnte. Gedanken zur Familie beispielsweise. Oder Verwirrung ob der massiven Veränderungen im Leben innerhalb nur eines Jahres. Gedanken über die Gott und die Welt halt. Weil mir das aber grad zu persönlich wäre, schreibe ich trotzdem im weitesten Sinne über die Fresserei.

Wir Menschen brauchen Lebensmittel wie Getreide, Obst oder Gemüse, um unseren Körper mit Energie zu versorgen. Das war jahrtausendelang die Anforderung an die Landwirtschaft: Für den Menschen verwertbare Nahrung generieren, oder banal ausgedrückt: Mäuler stopfen. Das hat sich – zumindest in unseren Breitengraden – seit einiger Zeit massiv geändert. Erstes Kaufkriterium einer Speise ist meist nicht ihr Nährwert oder wie verträglich etwas für den eigenen Körper ist. Nein, schmecken muss es, das Lebensmittel, und vor allem soll das Essen zum Erlebnis werden, weshalb der Begriff „Erlebnismittel“ fast zutreffender ist.

Besonders auffallend ist dieser Fakt auch an Weihnachten. Unzählige Gäste wurden dieser Tage bekocht und bewirtet, und wem das passende Menü nicht einfiel, der konnte einfach Zeitungen oder Zeitschriften aufschlagen und sich eines der vielen vorgeschlagenen Festtagsmenüs aussuchen. Was die Menüs gemeinsam zu haben scheinen ist der verzweifelte Versuch, besonders, exklusiv, speziell und ausgefallen zu wirken. Jakobsmuscheltartar mit Limettensaft, gefolgt von Hummercremesuppe mit Safranschaum, dann noch ein Filet der Dorade Royale auf der Haut gebraten in Orangen und als krönenden Abschluss Basilikumeis mit Honig auf Bisquit.
Lehrmeister Peter Hodel ist seit vielen Jahren in der Direktvermarktung landwirtschaftlicher Produkte tätig. Kartoffeln und Kürbisse aller Couleur, Milch und Spargeln finden direkt und ohne Umweg vom Bauern zum Konsumenten, entweder via Selbstbedienungs-Hofladen oder aber auf dem Markt in Bern. Ich durfte Michael, den Sohn von Peter, schon an den Märit begleiten. Es war eine spannende Erfahrung, und vor allem wurde mir dort bewusst, dass unsere Kunden eben Erlebnismittel, also Lebensmittel mit einer Geschichte dazu, kaufen möchten.

Man geht anders ans Kochen und Essen einer Mahlzeit heran, wenn man etwas über die verwendeten Lebensmittel weiss. Wenn man zum Beispiel weiss, dass diese Kartoffelsorte perfekt ist für den Kartoffelstock, den man abends seinen Gästen auftischt. Wenn man weiss, wo die Erlebnismittel gewachsen und durch welche Hände sie gegangen sind. Wenn man den Verkäufer kennt, und noch ein paar nette oder lustige Worte mit ihm wechseln kann. Wenn man sich beraten lassen kann und auch mal hört, wofür eine bestimmte Kartoffel eben nicht geeignet ist. Wie viel an der Kartoffel selbst und wieviel an der Herangehensweise des Hungrigen liegt, kann ich nicht sagen. Ich bin mir aber sicher, dass wir, je intensiver wir uns mit einem Lebensmittel befasst haben, mit erhöhter Aufmerksamkeit und geschärften Sinnen ans Essen gehen, uns genau auf Geschmack und Konsistenz achten, und darum auch mehr erkennen, als wenn wir im Mc Donalds hastig eine Tüte Pommes Frites verschlingen.

Ja, die Menschen kaufen ein Ess-Erlebnis, und Bauern mit Direktvermarktung sind zugleich die Produzenten und Erzähler. Schlussendlich braucht es allerdings die offenen Ohren der Abnehmer, die Liebe zur Nahrung und Freude am Essen, dass das alles auf fruchtbaren Boden fällt. In unserem Zeitalter des Überflusses können wir es uns leisten, dass das Essen ein Erlebnis und nicht bloss Nahrungsaufnahme ist. Es wäre schade, wenn wir uns diesen kleinen Luxus nicht gönnen würden.

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