Unter dem Motto «Bürogummi wird Bauer» hat Sebastian Hagenbuch sein zweites Lehrjahr in seiner Zweitausbildung als Landwirt in Angriff genommen. Er berichtet in seinem Blog regelmässig über seine Ausbildung.
Scheinbar verlassen steht ein Auto an der Stafflerstrasse oberhalb vom Restaurant Waldheim bei Hermetschwil. Regen tröpfelt auf das schwarze Dach, und nur das schwache Licht meiner Stirnlampe gelangt durch die benetzten Scheiben nach draussen in die finstere Nacht. Sehen wird das aber kaum jemand, denn ich bin mittlerweile ganz allein, die Jäger sind bereits um Mitternacht nach Hause gegangen. Nur eine Mutterkuhherde steht in der Nähe, nervös und aufgebracht.
Stunden zuvor, kurz nach Einbruch der Dunkelheit, sammelten sich vier Jäger und ich rund um die Weide unserer Mutterkuhherde. Die Angus-Tiere waren ruhig, lagen im Gras oder gönnten sich noch einige letzte Bissen Gras. Ein schönes und friedliches Bild, doch leider keine Selbstverständlichkeit: In den vergangenen zwei Nächten muss für die Tiere Furchterregendes passiert sein: Zwei Mal durchbrach die ganze Herde panisch den Elektrozaun und beschädigte die ohnehin schon ziemlich feuchte Weide auf dieser Flucht massiv.
Wir hatten Glück, die Tiere kamen in der Weide gegenüber der Strasse zur Ruhe und flüchteten nicht in das nahegelegene Staffeln. Nicht auszudenken, wie wir nachts um 2 Uhr 20 Mutterkühe samt Kälbern und einem imposanten Stier aus den Gärten zurück auf die Weide hätten treiben wollen. Und damit wir das auch künftig nicht müssen, ist warten angesagt. In der Hoffnung, man könne die Ursache ausfindig machen oder zumindest einen erneuten Ausbruch der Tiere vermeiden.
Was genau die Angus-Rinder derart in Aufruhr versetzte und stärker war als ihr Respekt vor dem Elektrozaun liegt nach wie vor im Dunkeln, genauso wie die Welt ausserhalb des Autos, wo ich mein Nachtquartier habe. Die Jäger vermuten einen streunenden Boarder-Collie hinter der Hatz, erblickt haben wir diese Nacht allerdings nichts. Die Herde verhielt sich dennoch merkwürdig. Anstatt wie üblich ruhig zu liegen und wiederzukäuen, standen die Tiere ab elf Uhr abends in einer Ecke der Weide. Sie waren offensichtlich nervös und gingen immer wieder hin und her. Damit nicht die ganze Grasnarbe den unruhigen Schritten der Tiere zu Opfer fällt, haben wir die Kühe noch in derselben Nacht auf die nächste Weide getrieben, wo sie dann nach einer Stunde zur Ruhe kamen und sich doch noch hinlegten. Auch wir fanden dann endlich unseren Schlaf.
Das Erlebnis hat für mich zwei Seiten: Einerseits gefällt mir die Erfahrung an sich. Ich merke einmal mehr, dass ich gerne mit Tieren arbeite und mich auch ein nächtlicher Einsatz fasziniert. Zudem kommt man nach einigen Stunden allein in der Dunkelheit in einen angenehm ruhigen und entspannten Zustand. Die Nacht, der Mond, die Lichter der Stadt im Hintergrund der Mutterkuhherde, die Ruhe: Das ist stimmungsvolle Romantik, die ich auch angesichts der problematischen Situation nicht übersehen will.
Andererseits wird mir auch deutlicher bewusst, wie belastend es für einen Landwirt (oder sonstigen Tierhalter) sein kann, wenn etwas nicht rund läuft. Man spürt die Verantwortung für seine Tiere, sorgt sich um deren Wohl und schläft nicht mehr ruhig. Am schlimmsten ist es, wenn man die Ursache nicht genau kennt. Jetzt hoffen wir, dass die letzten Weidetage dieses Jahres ohne Zwischenfälle über die Bühne gehen und der Störenfried im Frühling verschwunden ist. Sicher sein können wir uns aber nicht, ausser die Jäger haben noch Erfolg in den nächsten Tagen.