Unter dem Motto «Bürogummi wird Bauer» hat Sebastian Hagenbuch eine Zweitausbildung als Landwirt in Angriff genommen. Er berichtet in seinem Blog regelmässig über seine Ausbildung.
Wie bereits in dieser Rubrik erwähnt und allen Stallgängern wohl bekannt, ist die Kuh ein Gewohnheitstier. Sie mag es, wenn sich die täglichen Abläufe wiederholen, der Melker stets gleich drauf und die Radiofrequenz dieselbe ist. Diesem Umstand sollte der gute Melker dem Tierwohl zuliebe Rechnung tragen, heisst es.
Doch sind wir Menschen in dieser Hinsicht so unterschiedlich? Sind wir nicht auch Gewohnheitstiere, die es mögen, wenn das Zahnbürsteli jeden Morgen und Abend am gleichen Ort zu finden ist, die Wäsche immer montags gereinigt wird und die Müeslisorte konstant die gleiche bleibt? Oft habe ich den Eindruck, dass wir zwar gerne ein Bisschen die Nase in den Wind stecken, um zu sehen, was es da draussen sonst noch so gibt, der Effekt aber ist meist der gleiche: Wir haben es probiert, es hat uns zwar gefallen aber nicht umgehauen und wir kehren zum altbewährten zurück und fühlen uns dabei etwas weniger „bünzlig“, weil wir ja zumindest kurzfristig aus unserem Gewohnheitskäfig ausgebrochen sind. Der Grund für die Rückkehr zum Bisherigen dürfte dabei nicht bei dessen Qualität, sondern vielmehr bei der Macht der Gewohnheit und damit der Bequemlichkeit liegen – wie bei der Kuh.
Rinder werden seit elend langer Zeit von Menschen als Nutztiere gehalten (das Internet sagt, seit 10‘000 Jahren). Da bietet sich nun der Huhn-Ei-Komplex an: In Zehntausendjähriger Wechselbeziehung lebend, färbt schliesslich so manches auf den Lebensgefährten ab: Haben die Kühe als überlebenswichtiges Nutztier dem Menschen ihren Stempel aufgedrückt? Steht der Ursprung unserer Ordnungs- und Strukturliebe bei der Kuh, die dann am glücklichsten ist, wenn sie immer zur gleichen Zeit frisst, gemolken oder in den Stall gebracht wird? Oder überschätze ich da den Einfluss der Kühe, und der Mensch ist seit jeher einem grossen Sicherheitsbedürfnis unterworfen, welchem er durch genau geregelte Abläufe Rechnung trägt, und die Kuh wurde letztlich in dieses Korsett gezwängt? Haben wir die Kuh zum Gewohnheitstier gemacht? Oder haben wir uns unsere Entwicklungsschritte im Gleichtakt vollzogen?
Müssig darüber zu diskutieren. Aber irgendwie spannend. Besonders, wenn einem selbst bewusst wird, wie sehr man selbst ein Gewohnheitsmensch ist, auch wenn das ein Bisschen schmerzt und langweilig klingt.
Tatsache ist jedenfalls, dass die (Milch-)Kühe den Alltag vieler Schweizer Bauern diktieren. 365 Tage im Jahr. Dass das nicht spurlos an einem vorbei geht, ist wohl klar. Wertend ist das nicht, aber es ist einfach so. Beruhigend zu wissen ist auch die Tatsache, dass sich auch Nicht-Bauern gelegentlich wie Rindviecher verhalten können und die Menschen unabhängig ihres Berufes der Macht der Gewohnheit unterworfen sind. Ich muss mich somit nicht zu einer besonderen Risikogruppe zählen, aber aufpassen, was für Gewohnheiten man sich aneignet und sich fragen, ob man das wirklich will, lohnt sich auf jeden Fall.
Zur Person
Sebastian Hagenbuch ist zwar auf einem Bauernhof aufgewachsen, musste aber dennoch 23 Jahre alt werden und mit dem Velo bis nach Istanbul fahren um zu merken, dass ihn Kühe und Traktoren mehr anziehen als die bislang vertraute Arbeit im Büro. Eine vertraute Welt entdeckt er in seiner Zweitausbildung völlig neu – und lässt Sie in seinem Blog daran teilhaben.


