In nur rund 135 Jahren entwickelte sich Calgary von einer Befestigungsanlage aus Holzbauten zu einer dynamischen Wirtschaftsstandort. Doch die in der Provinz Alberta liegende Stadt musste aber auch einige Rückschläge hinnehmen. Mit Bildergalerie
Dass Calgary eine Boomphase erlebt, sieht man den zahlreichen Hochhäusern, die im Bau oder geplant sind. Die Stadt befindet sich im Umbruch, alte Industriequartiere im Osten der Stadt werden abgerissen und durch neue Hochhäuser ersetzt. Doch dies war nicht immer so.
Die ersten Menschen in der Region kamen bereits vor 11’000 Jahren in die Prärie rund um Calgary. Beim Eintreffen der ersten Siedler um 1860 war das Gebiet in der Hand der „Blackfoot“-Indianer, welche sich von den Millionen von Bisons ernährten. Diese Tiere lockten auch die Siedler an, welche nach und nach die Lebensgrundlage der Indianer fast ausrotteten (von 60 Millionen Stück auf nur noch 2000 Bisons).
1875: Erstes Fort fertig gestellt
Die Siedler lockten auch immer mehr Whiskeyhändler und Pferdediebe an. Rund 200 Kilometer südlich vom jetzigen Calgary, nahe Lethbridge, hatten die Briten eine Befestigungsanlage in Betrieb, das Fort MacLeod. Dieser MacLeod (er wanderte mit seinen Eltern aus Schottland nach Kanada aus) wurde 1875 zum Befehlshaber der „North-West-Canadian Mounted Police“ und ritt mit einer Truppe nordwärts, um beim Bow-Fluss ein Fort zu erstellen. Die Whiskeyhändler und Pferdediebe sollten vertrieben werden. So wurden die ersten Holzblockbauten mit dem Namen Fort Brisebois an Weihnachten 1875 fertig gestellt. 1876 wurde es umbenannt zum Fort Calgary. Dieser Name wurde einer schottische Bucht entlehnt, der Heimat von MacLeod. Auch heute ist noch eine wichtige Strasse nach ihm benannt.
1894: Calgary wird eine Stadt
Nebst Siedlern, denen Gratisland abgegeben wurden, strömten auch US-Farmer mit ihren Herden in die Prärie rund um Calgary und prägten so das Cowboy-Image der Stadt. Bereits 1883 wurde Calgary mit der Canadian Pacific-Eisenbahn erschlossen, welche heute ihren Sitz in Calgary hat. Dies führte zu einem ersten Schub. Händler liessen sich nebst Bauern im Ort nieder. Die Holzbauten erlitten aber durch Brände grosse Schäden. Ersetzt wurden sich durch Sandsteinhäuser. Calgary nannte man in der Folge auch Sandsteinstadt. Der Abbau des Steins wurde zu einem wichtigen Wirtschaftszweig. 1894 wurde der Ort zur Stadt, sie hatte mittlerweile 4’000 Einwohner.
Die Stadt kam zu einigem Wohlstand und baute einen Zoo, Parks, Spitäler und Schulen. 1905 wurde Alberta zu einer Provinz, zum Ärger von Calgary wurde jedoch Edmonton dessen Hauptort. 1914 entdeckte man nördlich von Calgary das erste Öl, doch der grosse Boom blieb noch aus. Schlimmer noch, die Stadt litt in den 1930-er Jahren stark unter der weltweiten Depression.
Öl löst Landwirtschaft ab
Nach dem 2. Weltkrieg wurde südlich von Edmonton das Erdöl im grossen Stil gefördert und bescherte Calgary ein hohes Wachstum. Mit der fatalen Konsequenz, dass ein grosser Teil der Arbeitsplätze von den fossilen Energieträgern Öl und Gas abhingen. Während den hohen Erdölpreisen in den 1970-er Jahren boomte die Stadt nahe der Rocky Mountains (80 Kilometer westlich), doch in den 80er-Jahren folgte wegen den stark sinkenden Ölpreisen der Absturz. Die olympischen Winterspiele von 1988 sollten der Stadt Auftrieb verleihen, zudem versuchte man, die Abhängigkeit vom Öl zu mindern.
Neuer Boom
Mit dem steigenden Preisen in den letzten Jahren geht es aber mit Calgary steil aufwärts. So wird auch der Abbau der Ölsande nördlich von Edmonton wieder rentabel. Alte Industriequartiere im Osten der Stadt werden abgerissen und durch Geschäfts- aber neuerdings auch Wohnhochhäuser abgelöst. Doch die Abhängigkeit vom Öl und Erdgas ist immer noch gross. So haben BP Canada, Canadian Natural Resources, EnCana, Imperial Oil, Petro-Canada, Shell Canada, Suncor Energy und TransCanada ihren Hauptsitz in Calgary. Die Stadt versucht auch andere Wirtschaftszweige (Canadian Pacific Railway, Dow Chemical Canada oder Shaw Communications haben ihren Hauptsitz in Calgary) anzusiedeln, doch das Ölgeschäft bleibt dominant. Mittlerweile leben rund 1,1 Millionen Menschen in Calgary. Sie ist die viertgrösste Stadt von Kanada.
Die Stadt rühmt sich, dass sie das „lebhafteste“ Wirtschaftswachstum in Kanada habe, zu den fünf Städten weltweit mit der höchsten Lebensqualität gehöre, das höchste Individualeinkommen in Kanada besitze sowie die niedrigsten Steuersätze im Land habe. Zudem habe die Bevölkerung die höchste Kaufkraft und die niedrigsten Lebenshaltungskosten auf dem nordamerikanischen Kontinent.
Calgary ist eine sehr saubere Stadt, doch hat sie auch Verlierer. Diese sieht man jedoch nicht durch den Tag, sondern erst in der Nacht.
Reto Blunier, Calgary