Das Cassis-de-Dijon-Prinzip bei Lebensmitteln aus der EU ist höchst umstritten und entzweit Verbündete. Während Grüne, SVP und Bauern sich um die Qualität der Produkte sorgen, fürchten Liberale und SP eine schleichende Marktabschottung. Ein Röstigraben tut sich bei den Konsumentenschützern auf.
«Es wäre ein gefährliches Präjudiz, die Lebensmittel aus der EU vom Cassis-de-Dijon-Prinzip auszunehmen», erklärt Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), gegenüber der Nachrichtenagentur sda. In ihren Augen würde es weitere Branchen auf den Plan rufen, dasselbe einzufordern.
Parlamentarische Initiative von Bourgeois
Seit 2010 gilt das Cassis-de-Dijon-Prinzip, wonach EU-Produkte ohne weitere Prüfung auch in der Schweiz verkauft werden dürfen. Eine parlamentarische Initiative von FDP-Nationalrat Jacques Bourgeois fordert, Lebensmittel ganz davon auszunehmen. Damit müssten diese Güter wieder eigens für den Schweizer Markt produziert, umgepackt oder neu etikettiert werden.
Zwar räumt die SKS ein, dass sich mit der Neuerung für Konsumenten punkto Preis und Qualität bislang wenig verändert habe. «Man soll aber das Kind nicht mit dem Bade ausschütten», fordert Geschäftsleiterin Stalder.
Mangelnde Transparenz
Sukkurs erhält Bourgeois, der auch Direktor des Bauernverbandes ist, nun überraschend von der Westschweizer Konsumentenschutzorganisation FRC. Damit vollziehen die Romands eine Kehrtwende, nachdem sie sich mit der SKS jahrelang für den Abbau von Handelshemmnissen stark gemacht hatten.
Die FRC begründet ihre Position mit dem ausgebliebenen Nutzen für die Konsumenten. Im Gegenteil: Die Qualität der bewilligten Lebensmittel sei tiefer, ohne dass die Konsumenten davon in Kenntnis gesetzt würden, moniert die Organisation. Der Bundesrat hatte sich Preissenkungen in der Höhe von jährlich zwei Milliarden Franken versprochen. Ein Bericht des Staatsekretariats für Wirtschaft (SECO) konnte indes keine «dämpfende Wirkung» auf die Preise feststellen.
Der Vorwurf der mangelnden Transparenz ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Konsumenten können nicht erkennen, ob in der Schweiz hergestellte Lebensmittel nach hiesigen oder ausländischen Vorschriften produziert wurden. So muss ein Sirup in der Schweiz einen Fruchtanteil von 30 Prozent aufweisen, während nach französischen Regeln 10 Prozent genügen.
SVP und Grüne einig
Der Streit um das Cassis-de-Dijon-Prinzip entzweit indes nicht nur die Konsumentenschützer, sondern auch alte Verbündete in der Politik und Wirtschaft. Die Befürworter der parlamentarischen Initiative argumentieren vor allem mit den tieferen Produktionsstandards in der EU. Die eingeführten Lebensmittel würden mehr billige Ersatzstoffe enthalten, schreibt der Bauernverband (SBV).
Die SVP fürchtet deshalb um die Schweizer Qualität. In die gleiche Kerbe hauen die Grünen. Sie sehen im Cassis-de-Dijon-Prinzip die Qualitätsstandards in der Schweizer Landwirtschaft gefährdet. Dagegen glauben SP und FDP nicht, dass die Qualität von hiesigen Lebensmittel untergraben werde.
Für den Wirtschaftsdachverband economiesuisse ist die Sorge um die Qualität von Lebensmittel nur ein Scheinargument. In Wirklichkeit gehe es den Befürwortern darum, den Absatz der hiesigen Landwirtschaft zu sichern.
CVP dürfte Ausschlag geben
Geschlossen ist aber auch die Wirtschaft nicht. Die Westschweizer Arbeitgeberorganisation Centre Patronal fordert einen Schlussstrich unter das «Cassis-de-Dijon-Märchen» zu ziehen. Das Versprechen des Bundesrates, die Hochpreisinsel Schweiz zu bekämpfen, habe sich nicht erfüllt.
Wie wichtig der Wirtschaft das Cassis-de-Dijon-Prinzip bei Lebensmitteln letztlich ist, bleibt unklar. Bis Ende 2013 gingen 163 Gesuche für eine Bewilligung beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen ein, 45 davon wurden bewilligt. «Viel administrativer Aufwand für verhältnismässig wenig Ertrag», bilanziert die SVP.
Noch keine Position bezogen hat die CVP. Sie dürfte im Parlament das Zünglein an der Waage spielen. In der Wirtschaftskommission des Nationalrates haben sich alle vier CVP-Vertreter für die Initiative ausgesprochen. Interessierte Kreise können noch bis am Freitag im Rahmen der Vernehmlassung Stellung nehmen.