Der neue Bundesrat heisst Ignazio Cassis. Die Bundesversammlung hat den Tessiner FDP-Nationalrat am Mittwoch mit 125 Stimmen in die Landesregierung gewählt. Das absolute Mehr lag bei 123 Stimmen. Der 56-Jährige ersetzt Didier Burkhalter, der Ende Oktober zurücktritt.
Cassis war von Anfang an als Favorit gehandelt worden. Auch am Wahltag lag er von Beginn weg an der Spitze: Im ersten Wahlgang erhielt er 109 Stimmen. Pierre Maudet kam auf 62 Stimmen, Isabelle Moret auf 55. Schon im zweiten Wahlgang erreichte Cassis das absolute Mehr.
Ohne Störmanöver
Störmanöver blieben aus. Die Wahl lief so ab, wie es seit Burkhalters Rücktrittsankündigung Mitte Juni erwartet werden durfte. Schon damals herrschte weitgehende Einigkeit darüber, dass nun ein Tessiner in die Regierung gewählt werden müsse. Der Kanton wartet seit dem Rücktritt von Flavio Cotti 1999 auf eine Vertretung im Bundesrat.
Mit dem FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis stand vom ersten Tag an ein williger Kandidat zur Verfügung, dem viele auch das richtige Profil und das nötige Format attestierten. Auch Laura Sadis und Staatsrat Christian Vitta wären ins Rennen gestiegen. Doch die Tessiner Kantonalpartei setzte alles auf die Karte Cassis. Konkurrenz bekam der Favorit der ersten Stunde jedoch aus der Westschweiz. Die Fraktion nominierte auch die Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret und den Genfer Staatsrat Pierre Maudet.
Cassis verjüngt den Bundesrat kaum
Der Altersdurchschnitt im Bundesrat bleibt stabil. Dieser liegt derzeit etwas über 57 Jahre. Der 56-jährige Ignazio Cassis verjüngt das Gremium nur unwesentlich. Ältester Bundesrat ist Ueli Maurer, er wird im Dezember 67 Jahre alt. Auf ihn folgt Johann Schneider-Ammann mit 65 Jahren. Alain Berset ist mit 45 Jahren das jüngste Mitglied des Gremiums. Bundespräsidentin Doris Leuthard ist 54 Jahre alt. Simonetta Sommaruga und Guy Parmelin sind wie Burkhalter 57 Jahre alt. Parmelin feiert aber noch dieses Jahr seinen 58. Geburtstag.
Den Tessiner gewählt
Nun hat sich die Bundesversammlung gegen die Frau, gegen den politischen Senkrechtstarter mit Regierungserfahrung und für das Tessin entschieden. Die Herkunft war von Anfang an Cassis' stärkster Trumpf gewesen. Als Fraktionschef und Präsident der wichtigen Gesundheitskommission gilt er zwar als politisches Schwergewicht im Bundeshaus.
Doch sein Leistungsausweis war nicht unumstritten: So wurde Cassis etwa für die Art kritisiert, wie er als Kommissionspräsident die Reform der Altersvorsorge begleitet hatte. Er habe seine Rolle als Fraktions- und als Kommissionspräsident vermischt, hiess es. Cassis' Engagement als Präsident eines Krankenkassen-Verbands weckte die Befürchtung, dass er sich als Bundesrat in Interessenkonflikte verstricken könnte. Auch die fehlende Regierungserfahrung des Mediziners wurde ins Feld geführt.
Bundesrat verdient rund 445'000 Franken
Als Bundesrat verdient Ignazio Cassis brutto rund 445'000 Franken im Jahr. Hinzu kommt eine Spesenpauschale von jährlich 30'000 Franken. Als weitere Leistungen übernimmt der Bund die Kosten für die Telekommunikation.
Wie alle anderen Bundesratsmitglieder hat Cassis Anrecht auf zwei Fahrzeuge, ein Repräsentationsfahrzeug und ein Dienstfahrtzeug. Ausserdem erhält er ein SBB-Generalabonnement der 1. Klasse und ein GA für die Schweizer Seilbahnen. Der zurücktretende Bundesrat Didier Burkhalter erhält ein Ruhegehalt in der Höhe des halben Lohnes, also rund 220'000 Franken. Diese Regelung gilt, wenn ein Bundesratsmitglied mindestens vier Jahre im Amt war.
Nichts Handfestes
Doch letztlich sprach nichts Handfestes gegen Cassis. Als sich die SVP vor einer Woche ausdrücklich hinter den Tessiner stellte, war bereits von einer Vorentscheidung die Rede gewesen. Die demonstrative Parteinahme der SVP löste bei Mitte-Links zwar einen gewissen Abwehrreflex aus, was Maudets gutes Abschneiden im ersten Wahlgang erklären dürfte. Um die Reihen gegen Cassis zu schliessen, reichte es aber nicht.
Ob der Tessiner Didier Burkhalter als Aussenminister beerbt, ist offen. Die Sitzung, in der die Departement verteilt werden, findet in den Tagen nach der Wahl des neuen Mitglieds statt. Das Gremium kommt nächstes Mal am Freitag zusammen. Ob die Departemente schon in dieser Sitzung verteilt werden, entscheidet Bundespräsidentin Doris Leuthard.
Vormacht der Anwälte gebrochen
Der neu gewählte Bundesrat Ignazio Cassis bereichert die berufliche Durchmischung der Landesregierung. Mit dem Arzt an Bord wird das Gremium endgültig zur bunt gemischten Truppe. Vor Cassis wurde der Landwirt und Weinbauer Guy Parmelin in den Bundesrat gewählt. Simonetta Sommaruga ist ausgebildete Pianistin, Finanzminister Ueli Maurer hat eine KV-Lehre gemacht und besitzt ein eidgenössisches Buchhalterdiplom.
Auch bei den Akademikern sind verschiedene Richtungen vertreten. Johann Schneider-Ammann studierte an der ETH Elektrotechnik. Alain Berset ist Wirtschaftswissenschaftler. Die Juristen, die bisher mit Abstand am meisten Bundesräte stellten, sind derzeit nur noch in der Person von Bundespräsidentin Doris Leuthard vertreten.
Cassis ist übrigens nicht der erste Arzt im Bundesrat. Der Thurgauer Adolf Deucher, der von 1883 bis 1912 im Bundesrat sass, war ebenfalls Mediziner. Wie Cassis, der Tessiner Kantonsarzt war, hatte auch Deucher als Sanitätsrat eine Zeit lang einen Verwaltungsposten inne.