Am 1. August 1914 hat die neutrale Schweiz mobil gemacht. Über 200'000 Mann rückten kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein, die Schweizer Grenzen gegen allfällige Angreifer zu verteidigen. Das stellte auch die Daheimgebliebenen vor Probleme.
Die Mobilmachung führte zum bisher grössten Aufgebot der eidgenössischen Wehrgeschichte, schreibt der Historiker Georg Kreis im kürzlich erschienen Buch «Insel der unsicheren Geborgenheit».
Frauen mussten auf Höfen Arbeit übernehmen
Die Züge waren überfüllt. Es kam zu Hamsterkäufen, die Börse schloss den Betrieb, um einen Kurssturz zu vermeiden. Um die Vorräte an Metallgeld zu schützen, setzte die Nationalbank ab dem 2. August 1914 Fünf-Franken-Banknoten in Umlauf. Die Wehrmänner wurden aufgefordert, ihre persönliche Ausrüstung zu überprüfen und nötigenfalls Schuhwerk in den Zeughäusern zu kaufen. Auf dem Land wurde mit grosser Eile die Heu- und Getreideernte eingebracht.
Denn die eingerückten Männer fehlten alsbald zu Hause. Vor allem auf den Bauernhöfen mussten die Frauen nun die ganze Arbeit übernehmen. Für die Feldarbeit fehlten auch die rund 77'000 Pferde und Maulesel, welche die Armee eingezogen hatte. Erst später wurde für die Soldaten ein Urlaub eigens für die Getreide-, Heu- oder Traubenernte eingeführt.
Kein Lohnersatz
Erschwerend kam dazu, dass die Wehrmänner keinerlei Lohnersatz erhielten. Der Tagessold von 80 Rappen reichte knapp für die privaten Ausgaben während der Dienstzeit. Die Familien der Wehrmänner mussten schauen, wie sie über die Runden kamen. Zwar war bereits 1907 eine sogenannte Wehrmännerunterstützung eingeführt worden. Wer diese beantragte, galt aber als «armengenössig». Erst im Zweiten Weltkrieg sollte der allgemeine «Wehrmannsschutz», der spätere Erwerbsersatz, eingeführt werden.
Ein weiteres Problem war, dass die Arbeitsstellen der Männer nicht gesichert waren. Die Militärdienstpflicht von drei und mehr Monaten führte nicht selten zum Verlust des Arbeitsplatzes.
Zudem hatten sich die Preise für Nahrungsmittel, Brennstoffe und Mieten in den Kriegsjahren teils mehr als verdoppelt. Die Reallöhne fielen dagegen wegen der Teuerung bis 1918 um 25 bis 30 Prozent. Bei Kriegsende bezog laut dem Historischen Lexikon der Schweiz ein Sechstel der Schweizer Bevölkerung Notstandsunterstützung, in den grossen Städten war es jeder Vierte.
Euphorie bald verflogen
Im Sommer 1914 und den folgenden Monaten «dürfte man zufrieden, stolz, dankbar und beruhigt gewesen sein, dass die Mobilisation gut funktioniert hatte, die Kolonnen ordnungsgemäss an die Grenze marschierten, die kleine Schweiz abwehrbereit dastand», schreibt Georg Kreis. Die erste Euphorie vom August 1914 habe aber bald rapide abgenommen.
Neben den oben genannten Problemen setzte den Wehrmännern vor allem der preussische Drill zu. Gut gedrillte Truppen seien marschtüchtiger, würden bessere Schiessresultate erzielen und in den Gefechtsübungen kraftvolles Handeln an den Tag legen, zeigte sich General Ulrich Wille überzeugt.
Der strenge Führungsstil vieler Offiziere und Unteroffiziere habe aber bald zu verbreiteter Dienstverdrossenheit geführt, heisst es im Historischen Lexikon der Schweiz. Die Militärjustiz urteilte in über 21'000 Fällen.
Langeweile und Eintönigkeit
Da ein Angriff auf die Schweiz ausblieb, leistete die Armee Millionen von Arbeitsstunden zugunsten der Zivilbevölkerung. Strassen wurden gebaut, Telefonverbindungen gelegt. Trotzdem prägten, neben Drill, harter Arbeit und der latenten Angst vor dem Krieg auch Langeweile und Eintönigkeit das Soldatenleben.
Um sinnvolle Freizeitbeschäftigungen anzubieten, organisierte der neu geschaffene Vortragsdienst der Armee Unterhaltungs- und Informationsanlässe aller Art. Unter der Ägide der damals 33-jährigen Journalistin und Abstinenzlerin Else Züblin-Spiller entstanden bis Kriegsende gegen 1000 sogenannte Soldatenstuben, eine alkoholfreie und kostengünstige Alternative zu den Wirtshäusern.
Auch in anderen Bereichen wurden Institutionen zur Unterstützung der Wehrmänner ins Leben gerufen, zum Beispiel die Kriegswäschereien. Die Armee hatte keinen eigenen Wäschedienst organisiert und vertraute ganz darauf, dass die Frauen die Wäsche ihrer Söhne, Ehemänner, Väter und Brüder übernahmen. Um jenen Männern ohne solchen «privaten Wäschedienst» aus der Patsche zu helfen, gründeten Frauen an verschiedenen Orten sogenannte Kriegswäschereien.
Rund 1000 Grenzverletzungen
In den vier Kriegsjahren kam es in der Schweiz zu rund 1000 Grenzverletzungen, davon über 800 Verletzungen des Luftraums. Von Kampfhandlungen oder gar einem Einmarsch fremder Truppen blieb die Schweiz aber verschont. Aus der Ferne beobachteten die Schweizer Wehrmänner Luftkämpfe, an den Grenzposten freundeten sich die Soldaten nicht selten mit dem Gegner an.
Im Buch «Ein bedrohtes Land» beschreibt ein Soldat seine Erlebnisse: «Die deutschen Landsturmmänner stehen auf der anderen Seite des Stacheldrahtzauns Wache. Wir schliessen Bekanntschaft. Für ein bisschen Brot, Tabak oder Zigarren bringen sie Schützengrabendolche, deutsche Patronen, Gürtelschnallen mit der Inschrift 'Gott mit uns' und so viele andere Dinge aus ihrer Ausrüstung! Sie verteilen uns die 'Gazette des Ardennes' und wir geben ihnen die 'Gazette de Lausanne'!»