Für die Familie Rasi, die im zürcherischen Marthalen einen Bauernbetrieb bewirtschaftet, ist derzeit Ungewissheit angesagt: Neben dem Hof könnte ab 2050 das Tor zum Endlager der Nagra für Atommüll zu liegen kommen.
In seinem Leitbild hat der Gemeinderat Marthalen wichtige Zielsetzungen festgelegt. Unter anderem will er bei der Gemeindeentwicklung den Charakter des Weinlanddorfes erhalten. Geprägt wird Marthalen von der Landwirtschaft mit vorherrschendem Ackerbau.
Ungewissheit ist zermürbend
Dort bewirtschaften Jürg und Rachel Rasi ihren Hof mit 22 Hektaren Land. Sie führen den Betrieb im Nebenerwerb und betreiben vor allem extensiven Ackerbau. Jetzt sehen sie ihre Zukunft bedroht.
Wie der Winterthurer «Landbote» kürzlich berichtet hat, betreffen gleich mehrere Standortvorschläge für ein Tor zum Endlager den Isehof der Familie, wofür sie je nach Variante Land hergeben müsste. Vorerst ist die Existenz des Betriebs zwar gesichert. Auch ob in knapp 40 Jahren auf der nahen Bahnlinie Winterthur–Schaffhausen Atommüll angeliefert wird, ist derzeit noch unklar. Für die Familie Rasi ist aber Ungewissheit angesagt. «Das ist für uns zermürbend», bringt Jürg Rasi die Sache auf den Punkt.
Das Weinland insgesamt
Er sei als bürgerlicher Landwirt kein klassischer AKW-Gegner, betont Rasi. Seit er sich aber vermehrt mit dem Thema Endlager beschäftigt habe, sei er zur Überzeugung gelangt, dass es nicht nur um seine eigenen Interessen gehe, sondern um das Weinland mit seiner intakten Landschaft insgesamt. «Ein atomares Endlager in unserer Region würde zu einem gewaltigen Imageschaden führen und den Agrotourismus und die Direktvermarktung empfindlich treffen.» Ebenso das positive Bild eines Bauernstandes, der sich der Produktion «nachhaltiger und regionaler Produkte verpflichtet fühlt».
Das Weinland, so Rasi, wähle zwar mehrheitlich bürgerlich, während der Widerstand gegen ein Endlager ein klassisches links-grünes Thema sei. «Hier geht es aber um übergeordnete Interessen», zeigt sich Jürg Rasi überzeugt. Auch raumplanerisch wäre ein acht Hektar grosses Fabrikgelände mitten auf der grünen Wiese im Zürcher Weinland ein Unding.
Aus grosser Verantwortung
Auch der langjährige Landarzt von Marthalen und Benken, Jean-Jacques Fasnacht, äussert massive Bedenken: «Es geht darum, die sicheren und ungestörten Lebensgrundlagen für uns und für Generationen nach uns zu bewahren.» Die Lagerung von Atommüll unter dicht besiedelten und kleinräumigen Regionen sei nicht nur auf Grund ungelöster Sicherheitsprobleme keine Option für die sicherste Lagerung von radioaktivem Abfall. «Wer sich als Betroffener für eine atommüllfreie Region einsetzt, handelt aus grosser Verantwortung und echter Sorge.»
Angesprochen ist damit auch «Pro Weinland», ein parteipolitisch unabhängiger Verein, der seit fünf Jahren das Ansehen des Zürcher Weinlands fördern will. Als private und ehrenamtliche Förderorganisation weise man in den Medien erhobene Vorwürfe, «nicht zu intervenieren», in aller Form zurück, sagt Vorstandsmitglied Hannes Huggel. Das Thema Endlager stehe regelmässig auf der Traktandenliste des Vorstands. «Dank zwei Vorstandsmitgliedern in zwei Gremien der Regionalkonferenz sind wir über alle Entscheide und anstehenden Beschlüsse jederzeit auf dem Laufenden.»
Noch nichts entschieden
Zudem habe ein Vertreter des Gemeindepräsidenten-Verbandes (GPV) Einsitz im Vorstand von «Pro Weinland». Der GPV beschäftige sich mit der Endlager-Problematik und habe auch politische Möglichkeiten, so Huggel. «Genau dies ist bei uns aber nicht der Fall, denn wir haben von den 24 Gemeinden der Region keinen Auftrag.» Für die Sorgen der Familie Rasi habe man Verständnis. Und: Entschieden sei derzeit ohnehin noch nichts.
Kritisch äussert sich der Zürcher Bauernverband zum Projekt. Sofern denn für radioaktive Abfälle ein Tiefenlager im Inland bestimmt werden müsse, wie es im aktuellen Kernenergiegesetz vorgesehen sei, dürfe es keine Kompromisse in Sachen Sicherheit geben, sagt Konrad Langhart, Präsident der Kommission Ländlicher Raum und Gesellschaft. Für den Standort der zugehörigen Oberflächenanlagen bestehe zwar ein gewisser Spielraum. «Eine solche Anlage mit einem Landbedarf von rund 8 bis 12 Hektaren gehört aber nicht auf Landwirtschafts- oder Fruchtfolgeflächen.»