Die Scheidungsrate in der Landwirtschaft ist noch höher als sonst wo. Doch wo soll man beginnen? Beim Hof oder bei der Ehe? Eine Beraterin erzählt.
Ein Betriebsleiterehepaar Mitte 40 hat drei Kinder. Der Hof mit Milchvieh und Ackerbau läuft grundsätzlich gut. Das Einkommen ist eigentlich ausreichend, das Wohnhaus ist modern und komfortabel umgebaut und alle sind gesund. Es gibt eigentlich keinen Grund zum Jammern. Und doch ist die Stimmung jämmerlich.
Jeder steht jeden Tag früh auf, macht seine Sachen und zweifelt immer mehr daran, ob man überhaupt das Richtige tut. Die Produktpreise sinken und die Anforderungen und Kosten steigen. Das belastet. Was auf den zweiten Blick jedoch noch viel mehr belastet, ist die zerstrittene Ehe mit mittlerweile kaum mehr Intimität. Man macht sich Vorwürfe und denkt sogar an eine Trennung.
Es kommen Fragen auf: Wo soll ich überhaupt ansetzen? Bei der Beziehung, bei den landwirtschaftlichen Themen, bei der Hofstrategie? Wo liegt denn die Ursache für die Lebenskrise: beim Hof, bei der Ehe, beim Huhn oder beim Ei? Diese Frage kann sehr oft nicht wirklich beantwortet werden. Denn die Lösung liegt auf einer anderen Ebene als das Problem, wie Einstein einst sagte.
Still die Hofleitung innehaben
Wenn man sich an die Komplexität des Themas heranwagt, rücken betriebswirtschaftliche Fragestellung oft schnell in den Hintergrund und es kommen die tieferliegenden Ursachen zum Vorschein. Wenn wir den Blick näher in die Bauernfamilie hineinwerfen, dann fällt eines schnell auf: Gesellschaftlich betrachtet ist es schon fast ein Relikt aus alten Zeiten, dass der Hofübernehmer oder die Hofübernehmerin noch ganz nahe bei den Eltern lebt. Bereits da ist es nicht immer klar, ob die Hofübergabe emotional wirklich stattgefunden hat oder wer im Hintergrund subtil weiterhin still die Leitung innehat.
Auf der Seite der abtretenden Generation kommt in der Regel eine Schwiegertochter oder ein Schwiegersohn, der aus einem anderen Familiensystem stammt und eigene Prägungen mitbringt, vor. Diese Person ist auch heute noch in den meisten Fällen die Frau. Sie steht auf verlorenem Posten, wenn sie gefühlt das ganze Familiensystem ihres Mannes gegen sich hat. Sie hört beispielsweise eine Aussage wie: «Sie sollte sich schon ein bisschen in die Familie einfügen» (Aussage eines Hofübergebers).
Der einzige Ausweg, den sie aus dieser sehr ungemütlichen Situation für sich sieht, ist nicht selten die Trennung oder die Drohung dazu, auch wenn es in der Regel eine unbefriedigende Lösung für alle darstellt. Eine Trennung bringt im ersten Moment einfach die lange ersehnte Erleichterung und den Ausbruch aus dem Teufelskreis der ewigen Konflikte.
Hofstrategie ergibt sich fast von allein
Wie viel schöner wäre es den Ausbruch aus der Teufelsküche zusammen als Paar zu schaffen? Wie geht das denn? Festgefahrene Muster und Dynamiken in der Familie müssen dafür zuerst erkannt werden. Dadurch kann man die nötigen Veränderungen im Alltag vornehmen, meistens geht es um die Veränderung innerer Haltungen. Die gute Nachricht ist, dass es sehr oft gar nicht so viel braucht, um die Ursachen an der Wurzel zu entdecken, aber es braucht etwas Essentielles: das sich zugestehen, dass es so nicht weitergehen kann.
Wenn die eigentlichen Ursachen gelöst sind, dann ergibt sich die Hofstrategie meistens schon fast von allein, weil sich die Menschen gegenseitig unterstützen, kreativ sind und eigene Lösungen erschaffen können. Basierend auf diesem gesunden Fundament ist es möglich sowohl das Huhn als auch das Ei in der Hand zu halten. Es sollte bei einer Hofübergabe ein Standard sein, dass zwischenmenschliche Themen mit den Kenntnissen über Familiendynamiken geklärt werden.
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Über die Autorin
Barbara Eiselen hat am Inforama Rütti verschiedene Fächer der landwirtschaftlichen Berufsschule unterrichtet und anschliessend als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften diverse Forschungsprojekte in den Bereichen Betriebswirtschaft, Agrarpolitik und -märkte geleitet. Sie ist selbst Bauerntochter und Schwiegertochter einer Bauernfamilie. Sie lebt seit 20 Jahren mit ihrem Partner zusammen, mit dem sie zwei Kinder hat.
In ihrer beruflichen Laufbahn erkannte sie, dass es sich bei Hofstrategien und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen eigentlich meistens um tieferliegende Themen handelt. Da sie immer schon ein Flair für Coaching-Situationen hatte, bildete sie sich in diesem Bereich weiter und eignete sich Wissen aus der Psychologie und Familiensystemen an. Sie hat die Vision die Hemmschwelle für Tabu-Themen in der Landwirtschaft zu brechen, so dass man sich frühzeitig Hilfe für die wahren Probleme holen darf - ein Service für die Seele, die Psyche und die Ehe, genauso wie der Traktor auch seinen jährlichen Service bekommt. Wenn diese Schwierigkeiten überwunden sind, ist die Basis solide, um den Hof stimmig und erfolgreich weiterzuentwickeln, für Abtretende den Hof gut zu übergeben oder für Junge zur Entscheidung zu kommen, ob und wie man den Hof überhaupt übernehmen möchte.