Bernard Lehmann, Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft, spricht über demonstrierende Bauern, Freihandel und die Zukunft der Agrarpolitik.
Bernard Lehmann, was sind 2016 die grossen Herausforderungen für die Landwirtschaft? Was kommt auf die Bauern zu?
Bernard Lehmann: Aus Sicht der Agrarpolitik wird es im nächsten Jahr keine Gesetzesänderungen geben, sondern es geht um die Umsetzung bereits beschlossener Dinge. Beschäftigen wird uns das Thema Pflanzenschutzmittel. Dazu gibt es einen Aktionsplan, wie er von verschiedenen Kreisen gewünscht wurde. Dieser wird vorschlagen, wie die Risiken reduziert werden können. Das BLW moderiert diesen Prozess. Ein weiteres Thema ist der administrative Aufwand, den wir im Rahmen der gegebenen Auflagen reduzieren wollen. Das Projekt "Administrative Vereinfachung" ist zu einer Grossbaustelle geworden. Wir haben bislang am Lack gekratzt und gemerkt, dass man vieles auch anders machen kann.
Zum Beispiel?
Das Führen des Auslaufjournals. Der Staat kann ja nicht wissen, ob Bauer XY seine Kühe am 13. September auf der Weide hatte. Eine Vereinfachung wäre zum Beispiel, wenn die Kühe einen Chip hätten, der die Bewegung automatisch aufzeichnet. Beim Abbau der Bürokratie geht es um das grundsätzliche Verhältnis zwischen Staat und Landwirt. Soll der Staat alles vorschreiben, also jede Handbewegung, oder soll er vielmehr die Ziele vorgeben und diese dann kontrollieren. Die Frage, die sich stellt: Wie viel Verantwortung gibt man der Landwirtschaft?
Die Milchbranche ist wegen tiefer Produzentenpreise unter Druck, Was würden sie einem Jungbauern empfehlen, der in die Milchproduktion einsteigen will?
Die FAO und die OECD gehen davon aus, dass die Preise für Milch in den nächsten Jahren steigen werden. Die Schweiz ist ein Gras- und Milchland, das zudem über eine gute Rinder-Genetik verfügt. Ich sehe keinen Grund, warum das plötzlich ändern sollte. Wenn ich einen Hof hätte, würde ich persönlich Milch produzieren. Wichtig ist, zuerst die Ausgangslage zu analysieren. Preise sind heute volatil, worunter gerade spezialisierte Betriebe leiden. Gibt es zusätzliche Standbeine, mit denen ich Preisschwankungen abfedern kann? Auch muss man analysieren, wem man die Milch verkauft. Die Bandbreite der bezahlten Preise ist sehr gross. Wenn ich einen neuen Stall bauen muss, dann so, dass ich auch noch mit tieferen Produzentenpreisen über die Runden komme. Mittelfristig ist ein allfälliges Handelsabkommen zwischen den USA und der EU eine Herausforderung. Denn würde die Schweiz ein solches übernehmen, würde das auf die Schweizer Milchpreise drücken. Auch solche Szenarien sollten in die Überlegungen einbezogen werden.
Läuft es im Markt nicht rund wie aktuell, rufen die Bauern meist nach dem Staat.
Dass sich Landwirtschaft dafür einsetzt, dass man die Zahlungsrahmen gleichbehält, ist legitim. Wenn die Bauern finden, im Markt laufe nicht alles rund, müssen sie sich fragen, ob sie den maximalen Preis erhalten im Vergleich zu dem, was die Konsumenten bezahlen. Die Landwirtschaft muss sich wehren, sich organisieren. Ich begrüsse den Strukturwandel bei den PO's. Denn wenn diese sich zusammenschliessen, haben sie eine stärkere Verhandlungsposition. Die Landwirtschaft muss sich im Markt noch besser organisieren.
Derzeit findet in Nairobi die WTO-Ministerkonferenz statt. Möglicherweise werden Exportsubventionen verboten, was die Schweiz mit dem Schoggigesetz betreffen würde. Gibt es Alternativen?
Wir sind intensiv damit beschäftigt, zusammen mit dem Seco, der Landwirtschaft und den Lebensmittelverarbeitern eine Lösung zu finden. Wir suchen eine Alternative zum Schoggigesetz, die von der WTO und der EU akzeptiert wird und gleich effektiv ist. Das ist schon fast die Quadratur des Kreises. Eine Möglichkeit: Das Geld geht direkt an die Bauern, welche dieses in einen Fonds einzahlen, welcher der Finanzierung der Exporte dient. Womöglich würden bei diesem Modell nicht alle Bauern mitmachen wollen, insbesondere diejenigen, deren Milch nicht in den Export geht. Abgeklärt wird deshalb, wie es mit der Allgemeinverbindlichkeit steht. Eine andere Möglichkeit könnte darin bestehen, dass der Bund direkt in einen Fonds einzahlt. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Lösung finden. Positiv ist, dass die Schoggigesetz-Mittel nicht in Frage gestellt sind.
Die Zuckerbranche kämpft mit Problemen. In Frauenfeld wird bereits darüber diskutiert, deutsche Zuckerrüben zu verwenden. Wird es in Zukunft noch Schweizer Zucker geben oder setzen wir auf deutschen Zucker oder brasilianischen Rohrzucker?
Die Zuckerproduktion gehört zur Schweizer Landwirtschaft und ist Teil unseres Konzeptes zur Ernährungssicherheit. Ich höre Westschweizer Bauern, die froh sind, dass sie die Menge erhöhen können. Andere hingegen hören auf. Wie das unter dem Strich aussehen wird, kann ich nicht sagen. Dass aber eine Fabrik ihre Kapazitäten auslasten will, ist zum Vorteil der Inlandproduktion, weil die Kosten dadurch tiefer werden. Im Bio-Bereich werden ja bereits deutsche Rüben verarbeitet. Und derzeit braucht die Branche auch alle Argumente, um den Bund auf die Probleme aufmerksam zu machen.
Wie geht es mit den Zuckerpreise weiter?
Die Prognosen besagen für Mitte 2016 und 2017 viel höhere Zuckerpreise auf dem Weltmarkt. Man muss verstehen, dass nicht immer alles nur schlecht verläuft wie in Dürrenmatt's "Der Tunnel". Der Markt ist volatil. Wir bereiten uns aber darauf vor, die Rentabilität ab 2017 mit erhöhten Einzelkulturbeiträgen zu verbessern, sollte das nötig sein. Und ich gehe davon aus, dass es nötig sein wird. Schwieriger wird es aber, ein Grenzschutzsystem einzuführen. Zudem darf man nicht vergessen, dass man mit einem Zollsystem wieder ein Schoggigesetz für Zucker einführen müsste, was uns die bilateralen Verträge mit der EU nicht erlauben. Wir exportieren aber über Red Bull und ähnlichem auch Zucker.
Die EU schafft 2017 die Zuckerquoten ab. Wird der Druck auf den Schweizer Zucker dadurch steigen?
Wahrscheinlich werden in den für den Rübenanbau guten Gebieten die Fabriken ausgebaut. Anderswo werden sie schliessen. Wir haben aber in der Schweiz 1'600 Franken Einzelkulturbeitrag, was die EU-Bauern nicht haben. Zusätzlich zu den Direktzahlungen, die ohnehin höher sind. Das vergisst man immer. Deshalb bin ich optimistisch. Wir gehen aufgrund unserer Abklärungen davon aus, dass es keinen deutlich höheren Druck auf den Schweizer Zucker geben wird. Gäbe es diesen, so müssten wir über die Bücher gehen.
Über Bernard Lehmann
Bernard Lehmann ist seit Juli 2011 Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft. Auf einem Bauernhof aufgewachsen, arbeitete der Agronom ETH zunächst für den Schweizer Bauernverband, unter anderem als Leiter des Geschäftsbereichs Agrarwirtschaft und als stellvertretender Direktor. 1991 wechselte Lehmann an die ETH Zürich, wo er während 20 Jahren die Professur für Agrarökonomie innehatte.