Eckhard Heuser hat zum 1. August 2024 sein Amt als Hauptgeschäftsführer des Milchindustrie-Verbands (MIV) abgegeben und wechselte in den Ruhestand. Heuser war gut 35 Jahre für den MIV tätig, seit 1989 als Geschäftsführer, ab 2008 als Hauptgeschäftsführer.
MIV
Eckhard Heuser, in 35 Jahren Verbandstätigkeit haben Sie viele Regierungen kommen und gehen sehen. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Wir hatten es in dieser Zeit im Landwirtschaftsministerium meistens mit Leuten aus der CDU oder CSU zu tun, nur zwei Mal mit Grünen. Für uns als Industrieverband war die schwarze Seite die hilfreichere.
Warum?
Die Grünen, also zuerst Frau Künast und jetzt Herr Özdemir, wollten und wollen Veränderungen in Bereichen in einem Mass, das wir in der Form nicht mittragen konnten.
Zum Beispiel?
Die Forderung von Frau Künast nach 30% Bio. Frau Künast geht mit mir in den Ruhestand, und wir stehen bei der Milch bei einem Anteil 4%. So was nenne ich eine glatte Fehleinschätzung.
Die Bäume wachsen bei Bio nicht in den Himmel.
Der Biomarkt wächst. Da sind die Molkereien doch dabei…
Selbstverständlich gerne! Aber die Bäume wachsen eben nicht in den Himmel. Richtig ist, wir sitzen in diesem Zug, kleine Molkereien, die nur ausschliesslich auf Bio setzen, und die grossen, die eine Bioschiene fahren und die auch in den letzten Jahren ausgebaut haben.
Was läuft in Nachbarländern besser, in denen Bio-Produkte auch im Milchbereich deutlich höhere Anteile erreichen?
In Österreich ist es gelungen, eine spezielle Produktqualität mit der Herkunft zu verbinden. Das macht sich bei Konsummilch und Käse bemerkbar. In Dänemark ist es fast ausschliesslich die Konsummilch, bei der Bio punkten kann. Dahinter steckt ein sehr gutes Marketing. Hilfreich ist, dass es praktisch nur eine wichtige Molkerei dort gibt. Hinzu kommt, dass gerade in diesen beiden Ländern die Kaufkraft mittlerweile eine grössere ist als in dem von einer Rezession geplagten Deutschland.
Schenken die deutschen Unternehmen der Regionalisierung hinreichend Beachtung?
Das ist ein Trend, den wir mitspielen. Zu Buche schlägt der aber nur bei den 35% der deutschen Milch, die in den Detailhandel gehen. Keine Rolle spielt das bei den 50%, die exportiert werden, und dem Rest, der im Industriebereich landet. Die grossen Marken, Berchtesgadener Land, Regionalfenster Bayern oder Regionalfenster Baden-Württemberg, decken den Bedarf an Regionalität ab. Ob man da noch ein bisschen mehr tun kann, lasse ich mal dahingestellt sein. Aber die Unternehmen sind da dran.
Wir brauchen Wissenschaftlichkeit! Die Bilanz der Kuh ist ausgeglichen.
Gilt das auch für den Megatrend «Tierwohl»?
Ich nenne nur das Stichwort «Weideprodukte». Die Weidemilch hat den Anfang gemacht, «Weidejoghurt» und «Weidekäse» werden folgen. Eine notwendige gesetzliche Definition von «Weide» haben wir bereits höchstrichterlich. Das sind Nischen, die muss man erkennen, bespielen und glaubwürdige Produkte anbieten. Das tun unsere Unternehmen.
Hat die Milch noch ihre «weisse Weste»?
Das Image ist bislang gut, aber man muss auf das Kind aufpassen. Die letzten drei bis vier Jahre waren auch durch Anfeindungen geprägt, etwa im Hinblick auf den Tierschutz. Es liegt im Interesse der Molkereiwirtschaft, dass schwarze Schafe in der Milchviehhaltung entdeckt und geahndet werden. Da ist auch der Staat gefordert.
Zunehmend kritisch werden Milchprodukte in der Klimadiskussion gesehen. Wie reagieren Sie?
Wir brauchen Wissenschaftlichkeit! Mein Gefühl sagt mir, dass die Milchviehhaltung beim Klima besser abschneidet, als es an der einen oder anderen Stelle diskutiert wird. Die Bilanz der Kuh ist ausgeglichen. Das Futter, das vorn in die Kuh reingegeben wird, hat eine Photosynthese hinter sich und Sauerstoff erzeugt. Was als Methan entweicht, zersetzt sich nach sechs oder sieben Jahren in der Atmosphäre. Hier ist Wissenschaftlichkeit gefordert, keine voreilige Ideologisierung.
Der steigende Anteil von Milchersatzprodukten könnte ein Hinweis darauf sein, dass insbesondere junge Leute ihre Entscheidung längst getroffen haben…
Flüssige Erzeugnisse haben Absatzchancen. Bei Trinkmilch beträgt der Marktanteil von Hafergetränken und anderen knapp 10%, auch dank eines geschickten Marketings. Im festen Bereich, also Käse, ist es in den Kinderschuhen, kaum messbar. Das Zeug schmeckt auch nicht. Der halbfeste Bereich, also die Joghurt-Ersatzprodukte, liegen dazwischen. Es handelt sich insgesamt um Lifestyle-Produkte, die in der Regel erheblich teurer sind als vergleichbare Milcherzeugnisse.
Deutschland ist der grösste und internationalste Markt für Milchprodukte in Europa.
Der Trend dürfte sich verstetigen. Ist die Branche darauf eingestellt?
Ernährungstrends ändern sich. Und wenn ein Trend sich ändert, dann muss man dabei sein. Viele unserer Unternehmen sind das. Die bieten pflanzliche Ersatzprodukte an. Aber klar ist auch, ein gutes Image der Milch ist kein Selbstläufer. Ein Blick auf die Werbeetats von Alpro oder Oatly zeigt, was hier möglich ist.
Wie war die Strukturentwicklung in den letzten Jahrzehnten?
Die Anzahl der Molkereien in Deutschland lag 1990 bei 315, 2011 waren es noch 195, und jetzt sind wir bei rund 80 gelandet.
Und 2030?
Noch die Hälfte.
Bekannt ist das grosse Interesse ausländischer Molkereien am deutschen Markt. Gilt das noch?
Deutschland ist der grösste und internationalste Markt für Milchprodukte in Europa. Hier leben viele Menschen mit ausländischen Wurzeln und besonderen Vorlieben. Eine Rolle spielt auch, dass die Grossen des europäischen Lebensmittelhandels deutsche Unternehmen sind. Hier ist eine Vielzahl ausländischer Molkereien unterwegs, vor allem französische. Einige Konzerne haben uns allerdings in der Milchwirtschaft verlassen, ich denke an Nestlé und Unilever. Denen waren die Renditen zu klein geworden. Die niederländische Campina hat im letzten Jahr die Segel gestrichen, zumindest in der Produktion.
Ein wachsendes Problem der Milchbetriebe ist der Mangel an Arbeitskräften.
Wer ist besser für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet, Genossenschaften oder Privatmolkereien?
Die Privaten sind die Hochseeyachten auf dem Ozean des Milchmarkts. Die sind schnell und wendig und können auch mal sehr gross werden. Genossenschaften sind zunächst ihren Eigentümern, den Landwirten verpflichtet. Entscheidungen dauern manchmal eben länger. Dass es trotzdem funktionieren kann, machen grosse und erfolgreiche Genossenschaften vor, allen voran die DMK. Andere wie Hohenlohe, Coburg, Bayernland, Ammerland, um nur einige zu nennen, sind erfolgreich und zugleich Spitzenreiter bei den Produzentenpreisen. Die haben in der Hochseeyacht noch mal einen zweiten Motor eingebaut.
Wie wird sich die Milchproduktion in Deutschland in den nächsten Jahren entwickeln?
Das hängt neben der Nachfrage wesentlich vom politischen Rahmen ab. Die Produktion ist nicht konstant. Sie hatte ihren Höhepunkt vor vier oder fünf Jahren. Danach war sie leicht rückläufig. In diesem Jahr reagieren die Landwirte auf die gestiegenen Preise mit Mehrerzeugung. Ein wachsendes Problem stellt der Mangel an Arbeitskräften dar. Die Betriebe wachsen, die Zahl der Melkroboter steigt, die Digitalisierung hält Einzug.
ntscheidend sind die Renditen, die ein Unternehmen erzielt.
Ist die grossstrukturierte Milchproduktion in Ostdeutschland die Zukunft?
Nach meiner Einschätzung wird die Milcherzeugung in Ostdeutschland nicht wachsen. Der Arbeitskräftemangel ist dort vielerorts schon jetzt eklatant. Gute geführte Betriebe haben aber im Wettbewerb weiterhin beste Chancen.
Was tun die Molkereien im Wettbewerb um den Rohstoff Milch?
Die Rohstoffsicherung geschieht in erster Linie über den Preis, in zweiter Linie über den Preis und in dritter auch. Die Unternehmen müssen die Landwirte bei der Stange halten. Bei den Genossenschaften spielt dabei das Innenverhältnis zu ihren Mitgliedern eine wichtige Rolle. Viel hängt vom Vorstand und der Geschäftsführung ab. Die 80 Unternehmen haben gezeigt, dass sie ihr Handwerk verstehen, ob als genossenschaftliche oder als private Molkereien.
Worauf kommt es an?
Entscheidend sind die Renditen, die ein Unternehmen erzielt. Gegenwärtig reichen die Renditen bei gleichzeitig hohen Zinsen nicht aus, um die notwendigen Investitionen vorzunehmen. Ein grosses Thema wird die Energieversorgung sein. Viele Unternehmen haben gekoppelte Gaskraftwerke. Was passiert mit denen? Ich bin aber zuversichtlich. Die grössten und interessantesten Milchwerke Europas stehen in Deutschland.
Was bedeutet es, wenn der Kuchen - die heimische Milch – nicht mehr reicht für alle?
Die Lösung kann im Import liegen. Molkereien beziehen schon heute Milch aus Tschechien, Polen, Frankreich oder von anderswo. Derzeit liegt der Anteil der von ausserhalb eingeführten Milch bei 8%. Es kann sein, dass wir in Zukunft noch mehr auf den Rohstoff aus dem Ausland angewiesen sind.
Beisst sich das nicht mit dem Bekenntnis des Detailhandels, verstärkt auf heimische Ware zu setzen?
Das neue Siegel «Drei mal D» heisst bei uns, gemolken, verarbeitet und verpackt in Deutschland. Die Pläne sind gegenwärtig in der Umsetzung. Der Handel drängt darauf. Bei uns hält sich die Begeisterung in Grenzen, weil es die Kosten erhöht. Aber die Branche ist vorbereitet.
Die Regulierung der Milchlieferbeziehung funktioniert nicht.
Der Milchmarkt war lange ein Betätigungsfeld für die Politik. Auch nach dem Auslaufen der Quote hört die Diskussion um neuerliche Eingriffe nicht auf, wie sich an den Bestrebungen des Landwirtschaftsministeriums zeigt, die Milchlieferbeziehungen zu regulieren. Wie gelassen sehen das die Unternehmen?
Selbstverständlich besorgt viele dieser Hang zum Regulieren, speziell in der Milchpolitik. Über eine Anwendung von Artikel 148 reden wir in Deutschland sein 15 Jahren. Bisher hat noch niemand den Beweis angetreten, dass das funktioniert und die Wissenschaft rät ab!
Nutzen die Genossenschaften hinreichend die Gestaltungsmöglichkeiten?
Darüber wird selbstverständlich ausgiebig diskutiert. Es gibt Mustersatzungen, auf die die meisten deutschen Molkereien schauen und sie anwenden. Sie sind aber immer zum Ergebnis gekommen, diese Eingriffe, die der 148er vorsieht, wollen wir nicht. Die genossenschaftlichen Landwirte sind der Souverän in dieser Frage. Seit 15 Jahren ist das so und trotzdem gibt es immer wieder Initiativen von kleineren Verbänden, die von der Politik aufgegriffen werden. Zwangsbeglückung im Milchmarkt funktioniert nicht.
Was macht Sie zuversichtlich, dass die Milchwirtschaft die grossen Herausforderungen Klima, Nachhaltigkeit und Tierwohl meistert?
Die Molkereiunternehmen haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie sich Veränderungen stellen und über die notwendige Anpassungsfähigkeit verfügen. Das wird auch in Zukunft so sein. Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt. Ein Indiz dazu ist die QM-Milch, die inzwischen mehr als 90% der heimischen Rohmilch abdeckt. Für entscheidend halte ich eine enge Zusammenarbeit von Molkereien und Landwirten. Ohne die Zustimmung der Landwirte funktioniert in der Milchwirtschaft wenig.