«Wie so oft in der Wissenschaft begann die Geschichte mit einer Entdeckung während der Feldforschung», schreibt die Swiss Systematics Society.
Mary Leibundgut, eine an der Alpenflora interessierte Botanikerin, fand bei Bestandsaufnahmen in den alpinen Überschwemmungsgebieten unterhalb des Pas de Lona im Val d'Anniviers (VS) eine eigenartige Pflanze. Dieses Gras ähnelte anderen Arten der Gattung Reitgras (Calamagrostis).
Einziger Standort in der Schweiz
Das Gras wurde in der Folge von Botanik-Teams aus Bern und Freiburg untersucht. Vergleiche mit Herbariumsexemplaren zeigten aber, dass es sich um eine für die Wissenschaft neue Art handelt. Ihrem Fundort entsprechend wurde sie Calamagrostis lonana getauft.
«Die Art ist wahrscheinlich eng mit einem Polargras verwandt, das in Mitteleuropa sehr lokal vorkommt», sagt Stefan Eggenberg von Info Flora am Botanischen Garten der Universität Bern. Das Vorkommen sei aber nur auf die Schwemmlandebene des Torrent de Lona beschränkt zu sein.
Gebiet muss nicht eingezäunt werden
Das Gebiet stellt gemäss den Forschenden ein einzigartiges Mosaik von Lebensräumen dar. Geprägt ist Hochebene von verschiedenen Sedimente, die der Fluss im Laufe der Zeit abgelagert hat. Das Gebiet wird auch landwirtschaftliche genutzt. Jedes Jahr im August und September wird es als Weide für Schafe und Rinder genutzt.
Bisher wurde die neue Grasart nur unterhalb des Pas de Lona im Val d'Anniviers gefunden.
Gregor Kozlowski
«Daher haben wir uns gefragt, ob Calamagrostis lonana durch das Trampeln und Abgrasen der Herden möglicherweise gefährdet ist», sagt Stefan Eggenberg. «Glücklicherweise scheinen die Standorte, an denen das Gras wächst, zu moosig und feucht für das Vieh zu sein, weshalb es diesen Teil des Plateaus meidet», so der Botaniker weiter.
Für die Forschenden ist es nicht nötig, die Schwemmlandebene einzuzäunen. Sie empfehlen, die Folgen der Trittschäden zu überwachen, um den langfristigen Bestand des Grasart zu sichern.
Die Swiss Systematics Society ist die Schweizerische Gesellschaft, die sich um die Klassifizierung von Tier- oder Pflanzenarten kümmert. Seit 2015 wählt sie eine Neuentdeckung zur «neuen Art des Jahres».