Das Tristnen ist eine alte Tradition in den Alpenländern und prägte einst auch das Landschaftsbild zahlreicher Gegenden in unserem Land. Die Tristen sind Heu- oder Schilflager, die im Freien errichtet werden.
Zwei Gründe sprechen für das Aufschichten von Heu auf dem Weideland. Erstens spart man Raum in der Scheune und zweitens kann man das Heu erst im Winter holen. Sie bildeten früher oft ein beliebtes Sujet für bekannte Maler, die das bäuerliche Leben mit Gemälden darstellten.
Doch der stetige Fortschritt in der Landwirtschaft bedeutete einst auch das Ende dieser traditionellen Art der Dürrgutkonservierung. In den letzten Jahren scheint diese wieder an Bedeutung gewonnen zu haben, und statt auf Gemälden sind sie heutzutage oft beliebte Fotosujets. Dies weist darauf hin, dass sie eine spezielle Erscheinung im Landschaftsbild darstellen, diese aufwerten und ihr einen gewissen ästhetischen Reiz verleihen.
Lebensraum für Tiere
Wer Tristen erstellt, muss über entsprechendes Wissen und Können verfügen, um deren Zweck des Konservierens und Lagerns von Heu oder Lische zu ermöglichen. Da diese im Freien aufgehäuft werden und somit Schnee, Regen und Wind ausgesetzt sind, muss gewährleistet werden, dass das Regenwasser nicht in die Mitte, sondern über die Oberfläche nach aussen abgeleitet wird.
Ein Bauer erstellt mit seiner Tochter in Lauenen eine Triste.
Ueli Pereten
Vorausgesetzt ist ein sicherer Standort, wo die Tristlatte tief in den Boden eingegraben wird. Danach wird Heu oder Lische Büschel um Büschel um eine Holzstange, die sogenannte Tristlatte, pyramidenförmig von Hand aufgeschichtet und mit den Füssen festgetreten. Zum Abdichten wird ein rundes Stück Rasenziegel mit einem Loch versehen und mit dem Gras nach unten über die Tristlatte gestülpt.
Eine korrekt erstellte Triste ist nie gegen innen gewölbt, sondern weist stets eine Rundung nach aussen auf. Somit kann Regenwasser oder auch Schnee nur zwei bis drei Zentimeter eindringen. Bei Sonneneinstrahlung trocknet die Aussenschicht wieder vollständig. Für viele Insekten, Hermeline, Mauswiesel oder sogar Igel bietet eine Triste einen passenden Unterschlupf. Sie sind darin bestens geschützt.
Lange Tradition in Lauenen
Das Naturschutzgebiet Rohr südlich des Dorfes Lauenen im Berner Oberland ist ein ökologisch wertvoller und einzigartiger Ort. Mit dem grössten undrainierten Talboden im Berner Oberland und dem natürlich mäandernden Louwibach zeichnet sich das Gebiet durch seine beeindruckende Landschaft und seine ökologische Bedeutung aus.
Ein besonderes Merkmal des Naturschutzgebiets ist die ausgedehnte Schilffläche. Seit alter Zeit werden dort mit dem geernteten Schilf Tristen erstellt. Dass hier Tristen ausschliesslich aus Schilf erstellt werden, ist eine Besonderheit im ganzen Alpenraum. Alljährlich im Oktober prägen etwa dreissig birnenförmige Heuhaufen die idyllische Gegend um den Lauenensee. Ab dem 1. September werden die alten abgebaut und als Streue für die Tierhaltung verwendet. Im Oktober werden dann die neuen Tristen erstellt und bleiben für ein Jahr stehen.
Attraktion für Touristen
«Heute sind es noch etwa ein Dutzend Bauern, welche in der Gemeinde Lauenen diesen alten Landwirtschaftsbrauch betreiben», weiss Gemeindepräsidentin Ruth Oehrli-Perkoll zu erzählen: «Ich wohne im Rohr, und ich finde es etwas Schönes. Es zeigt doch, dass sich jemand noch Zeit nimmt, eine Tradition zu pflegen.»
Sie beobachtet jeweils im Oktober, wenn die Zeit des Tristnens da ist, dass Vorübergehende die Bauern dabei beobachten, wie diese ihre Tristen fachmännisch herrichten. Mittlerweilen gehören diese unweit des Louwibach stehenden Heuhaufen schon fast zu einer Touristenattraktion des Bergdorfs. Im Herbst und Sommer entzücken sie Wanderer, und im Winter führt ein Teil der Langlaufloipe an ihnen vorbei. Wenn die Heuhaufen mit viel Schnee bedeckt sind, sieht es beinahe so aus, als ob Meringues den Langläuferinnen und Langläufern Spalier stehen.
Projekt-Beiträge
Im Kanton Bern kann die Landschaftsqualitäts-Massnahme «Tristen erstellen» in sechs Projektregionen angemeldet werden. Die Ersteller von Tristen erhalten dafür vom Kanton im Rahmen dieses Projekts Beiträge. Die Lauener Bäuerinnen und Bauern hingegen können zudem auf eine finanzielle Unterstützung eines Privaten zählen. Diesem liegt das Landschaftsbild der Gegend besonders am Herzen.
Landwirt Oswald Wäfler fixiert einige Tannäste auf einer Triste im Ausserschwand in Adelboden.
Oswald Wäfler
Wie von der Abteilung Naturförderung des Kantons Bern zu erfahren ist, habe die Anzahl in der ersten Projektperiode (2015–2022) teilnehmender Landwirtinnen und Landwirte zugenommen. 2015 waren 109 Tristen angemeldet, 2022 waren es 133.
Vor dem Hintergrund der abnehmenden Anzahl Betriebe zwischen 2015 – 2022 könne durchaus von einer positiven Entwicklung gesprochen werden. In den Regionen Oberland Ost und Obersimmental Saanenland sei die angemeldete Stückzahl zwar zurückgegangen, im Kandertal hingegen habe es einen grossen Anstieg von 38 auf 73 Tristen gegeben.
Oswald und Silvia Wäfler aus Adelboden beherrschen das Handwerk: «Wir haben früher schon getristnet. Dieses Jahr werden wir wieder zwei Tristen erstellen. Der Aufwand lohnt sich zwar nicht, wenn man alles rechnet.» Ende 2027 läuft dieses Projekt des Kantons aus.
Für das Nachfolgeprogramm «Projekt der regionalen Biodiversität & Landschaftsqualität» wird es voraussichtlich einen nationalen Massnahmenkatalog geben. Hier besteht die Möglichkeit, diesen mit regionalen Massnahmen zu ergänzen.
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