Das ehemalige Bauernhaus in der Stockmatt trägt ringsum Blumenschmuck, im Garten stehen 16 der 28 Bienenvölker, mit denen Ursula und Ueli Kramer imkern. Das Herz des Anwesens ist die Schmitte. Ein Unternehmen, das er «Kramer Treicheln» nennt.
Soeben hat Ueli Kramer aus 2mm dickem Blech Rohlinge zugeschnitten. Als Vorlage hat er sich Schablonen für alle Grössen der Nummern 1 bis 17 angefertigt. «Kühe tragen Treicheln bis zur Grösse 13», erklärt der Treichelschmied. «Die grösseren brauchen wir für Feste», ergänzt Kramer.
Ausdauer und «Gspüri»
Mit einem neun Kilo schweren Hammer schlägt Ueli Kramer den sauber abgekanteten Rohling ins «Gesenk». Stundenlang wird das Blech immer wieder mit Gas erhitzt und mit einem feineren Hammer, mit Ausdauer und «Gspüri» zur elegant geschwungenen Treichelhälfte geschmiedet.
Die Gesenke – massive, bis zu 500 kg schweren Eisenformen für die verschiedenen Treichelgrössen – liess Ueli Kramer nach Gipsmodellen giessen. Die Schraubzwingen, mit denen er das Blech am Gesenk befestigt, hat er selber entwickelt. Sie reagieren flexibel, wenn das Blech immer tiefer in die Form geschlagen wird und sich zugleich ausdehnt, weil es beim Schmieden dünner wird.
Später werden die Treichelhälften zusammengeschweisst und vernietet. Zum Schluss werden der Bügel für den Riemen und der Steg für den Klöppel (der Challestäg) angebracht.
Ueli Kramer schlägt das Blech mit einem 9 Kilo schweren Hammer ins Gesenk.
Sibyille Hunziker
Mit Leinöl einreiben
Seine Frau Ursula Kramer reibt die Treichel sorgfältig mit Leinöl ein. Das Öl brennt sie mit dem Gasbrenner ein – draussen vor der Werkstatt, denn bei dieser Arbeit rauchts. Dann schleift sie die Rückstände ab und wiederholt das ganze Verfahren, bis die Treichel schön gleichmässig schwarzgold schimmert. «Dieses alte Rostschutzverfahren haben wir in einem Buch gefunden», berichtet sie. «Im Gegensatz zu Schutzfarben oder zum Verzinken entsteht dabei keine Materialschicht, die den Klang der Treichel verändert.»
Die Riemen werden von Frauen aus der Region geschnitzt, von denen jede eine Meisterin auf ihrem Gebiet ist. Alles Organisatorische und Administrative erledigt Ursula Kramer.
Ursula Kramer brennt das Leinöl ein. So entsteht ein Rostschutz, der den Treichelklang nicht verändert.
Sibyille Hunziker
Kunden am anderen Ende der Welt
«Ich hätte gerne eine Lehre als Schmied gemacht», erinnert sich Ueli Kramer. Das ging zwar nicht; aber schon früh begann er, neben seiner Arbeit auf dem Bau Schmiedewerkzeug zu sammeln – und alles Wissen, das er in Büchern, bei Schmieden und später im Internet finden konnte. 1985 schmiedete er seine erste Treichel. Seit 1995 schmiedet er vollberuflich Treicheln und hat Kundschaft bis Neuseeland.
Die Leidenschaft für Treicheln hat Ueli Kramer von seinem Vater. Wenn die 50 Rinder, zu denen die Familie neben den eigenen drei Kühen schaute, im Herbst von der Lüdere nach Sumiswald BE gebracht wurden, stellte Vater Kramer jeweils ein harmonisches Geläut zusammen. «Auf dem Heimweg mit dem kleinen Meilitraktor läuteten wir Buben auf dem Anhänger die Treicheln», erinnert sich Ueli Kramer und schmunzelt.
Am Beispiel der Morier-Treichel, die er vom Vater geschenkt bekam, zeigt Ueli Kramer, was eine gute Treichel ausmacht.
Sibyille Hunziker
Orchester für Alpweiden
Ueli Kramers erstes Vorbild war eine Treichel von Paul Morier aus Château-d’Œx, die ihm der Vater im Welschlandjahr geschenkt hatte. An der Treichel aus der alten Hochburg der Treichelschmiedekunst zeigt Ueli Kramer, worauf es ankommt. Am wichtigsten ist die bauchige Form. «Denn wenn die Wände zu gerade sind, tönt es wie eine Glocke» – obwohl Glocken nicht geschmiedet, sondern gegossen werden.
Ueli Kramer mag auch Glocken. «Aber eine Treichel ist keine Glocke», zitiert er seinen Vater. «Eine Treichel muss ‹drum, drum, drum› sagen, nicht ‹gäll, gäll, gälltschgere›. Die Treicheln kommen beim Alpabzug vorab wie die Pauke bei der Musik.
Nach einem Zwischenraum folgen die Glocken, die noch lange nachklingen.» Ueli Kramer erzählt von Treichlerclubs, von harmonischen Geläuten auf der Weide – und er tönt wie ein Instrumentenbauer, der bei seiner Arbeit immer auch das ganze Orchester im Ohr hat.
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