/fileadmin/images/logo.svg

Artikel werden durchsucht.

Er bringt die Bauern zum Reden

Elf Bauern haben sich in den letzten Jahren im Kanton Waadt das Leben genommen. Sieben davon im Jahr 2016. Der Kanton hat deshalb den ehemaligen Pfarrer und Bauern Pierre-André Schütz beauftragt, Hilfe zu leisten.

 

 

Elf Bauern haben sich in den letzten Jahren im Kanton Waadt das Leben genommen. Sieben davon im Jahr 2016. Der Kanton hat deshalb den ehemaligen Pfarrer und Bauern Pierre-André Schütz beauftragt, Hilfe zu leisten.

«Schweizer Bauer»: Sie wurden vom Kanton Waadt eingesetzt, um Bauern in schwierigen Situationen zu betreuen, um damit weitere Suizide vorzubeugen. Wie werden Sie auf die Bauern, die Hilfe brauchen, aufmerksam? 
Pierre-André Schütz: Zurzeit betreue ich 70 Betroffene. Die Hälfte davon hat mich selbst kontaktiert. Bei der anderen Hälfte waren es Familienangehörige, Nachbarn oder Tierärzte und Berater, die sahen, dass es auf den Höfen nicht mehr gut läuft. Diese Leute melden sich dank eines Überwachungssystems. Es besteht aus Kursen, die von  Psychiatern geführt werden, und richtet sich an Leute, die in ländlichen Gebieten unterwegs sind. 150 Leute nehmen an den Kursen teil. Sie melden sich bei mir, wenn sie bei einer Bauernfamilie Schwierigkeiten erkennen. 

Wie gehen Sie vor, wenn Sie einen solchen Anruf erhalten?
Ich gehe auf die Höfe. Dort unterhalte ich mich als Pfarrer und als Bauer mit den Leuten. Ich war Landwirt und Ingenieur-Agronom FH. Ich arbeitete 20 Jahre in der Landwirtschaft. Danach studierte ich Theologie und arbeitete weitere 20 Jahre als Pfarrer. Die Bauern sehen in mir in erster Linie einen bäuerlichen Kollegen. Das hilft, da die erste Herausforderung ist, die Bauern überhaupt dazu zu bringen, über ihre Probleme zu reden. Oft sind sie nämlich diskret, schämen sich oder sind zu stolz, zuzugeben, dass etwas nicht gut läuft.   

Welches sind die häufigsten Probleme?
Die Schwierigkeiten sind meist komplex, aber ich kann sie grob in drei Problemkreise einteilen: Der erste Kreis betrifft die praktische Seite. Wenn ein Bauer seine Kulturen oder Tiere, aus welchen Gründen auch immer, nicht richtig pflegen und versorgen kann. Ein zweiter Problemkreis ist der wirtschaftliche. Die Übermechanisierung und die tiefen Preise machen den Leuten zu schaffen. Jene, die Industriemilch produzieren, leiden am meisten. Kaum einer kann von 50 Rp./kg überleben. Wenn sie ein paar Jahre vorher viel in die Milchproduktion investiert haben, können sie auch nicht einfach aufhören, Milch zu produzieren. Sie sind geradezu dazu verdammt, weiterzumachen, obwohl es nicht mehr genug abwirft.

Und welches ist der dritte Problemkreis? 
Der familiäre. Einerseits werden Familien durch die administrativen Aufgaben überfordert. Die vielen Formulare, die sie für den Erhalt der Direktzahlungen ausfüllen müssen, sind eine grosse Belastung. Bei vielen Bauern kommt die Einsamkeit dazu. Viele gehen nicht mehr in die Käserei, können sich keinen Angestellten leisten, haben keine Frau, oder diese arbeitet extern. So sind die Bauern unter Umständen den ganzen Tag oder  sogar tagelang allein. Weiter gibt es Probleme, die das Eheleben betreffen. Wenn eine Frau aufgrund von Konflikten den Hof verlässt, wird es schwierig. Mittelfristig scheint es mir unmöglich, einen landwirtschaftlichen Betrieb ohne Frau zu führen. Dazu kommen Generationenkonflikte. Viele Probleme entstehen, wenn die Generation der über 60-Jährigen ihre Nachfolger nicht machen lässt und sich neuen Ideen verschliesst.

Gibt es weitere Konflikte zwischen der älteren und der jüngeren Generation?
Ich erlebe oft, dass die ältere Generation meint,  ihr Betrieb müsse unbedingt in der Familie bleiben. Sie drängt ihre Nachfolger dazu, den Betrieb zu übernehmen, obwohl diese das nicht wollen und keine Berufung dafür spüren. Sie werden sich früher oder später fragen: «Warum habe ich das gemacht, wo ich doch etwas anderes hätte machen können?» Solche Fragen machen traurig und führen zu Verzweiflung. 

Wie helfen Sie angesichts solcher Probleme? 
Beim dritten Problemkreis, beim familiären, kann ich mit seelsorgerischer Tätigkeit helfen. Ich höre zu, bin ein Gegenüber und führe Mediationen durch. Ich leite beispielsweise Gespräche zwischen Väter und Söhnen und helfe ihnen, Lösungen für ihre Probleme und Konflikte zu finden. 

Und was machen Sie bei den anderen beiden Problemkreisen, dem praktischen  und dem wirtschaftlichen?
In diesen Fällen verweise ich die Leute an andere Organisationen. Ich habe ein gutes Netz  und arbeite  mit  dem Waadtländer Bauernverband Prométerre zusammen. Bei praktischen Problemen können landwirtschaftliche Berater helfen, bei wirtschaftlichen Buchhalter. In vielen Fällen sehe ich mich als Samariter, der Erste Hilfe leistet und die verletzten Leute dann zu kompetenten Personen ins Spital bringt.

Was machen Sie, wenn Sie merken, dass schwerwiegende psychische Probleme vorliegen?
Dann schicke ich die Leute sofort zum Arzt. Oft sind die Bauern zu stolz, um medizinische Hilfe zu  holen. Aber ich habe einige Bauern erlebt, die an Depressionen litten. Ich kenne sehr gute Ärzte, die die Bauern sofort vorurteilsfrei behandeln. Heutzutage verurteilen wir den Suizid nicht mehr. Wir wissen, dass er weder mit Mut noch mit Feigheit etwas zu tun hat, sondern dass er einzig aus Verzweiflung geschieht. Deshalb gilt es, medizinische Hilfe zu leisten, bevor es zu spät ist. 

Das waren jetzt alles traurige Beispiele. Kennen Sie auch Bauern, bei denen es gut läuft?
Natürlich! Im Kanton Waadt gibt es 3400 Bauernfamilien, und nur 70 davon sind bei mir in Betreuung. Das ist schon mal kein schlechtes Verhältnis. Zudem ist die landwirtschaftliche Ausbildung sehr gefragt, wir gehören weltweit zum Land mit den besten Landwirten zusammen mit Neuseeland, Holland und Finnland. Und ich sehe auch, dass meine Arbeit etwas nützt. Ich bleibe mit den Bauern in Kontakt, die ich begleitet habe. Bei vielen läuft es wieder.

Die wirtschaftliche Situation wird sich allerdings nicht von einem Tag auf den andern ändern. Wie sehen Sie die Zukunft der Landwirtschaft in der Schweiz?
Die Situation wird sich nicht verändern. Aber das ist nicht nur für die Landwirte ein Problem, sondern für alle kleineren Gewerbe wie etwa Bäckereien und Metzgereien. Sie alle leiden unter der Globalisierung und dem Preisdruck. Bauern müssen versuchen, mehr auf Bio und Direktvermarktung zu setzen. Zudem muss man Konsumenten sensibilisieren. Sie haben eine sehr grosse Macht. Sie sollten bereit sein, Produkte direkt ab Hof oder von kleineren Geschäften zu kaufen, statt immer in den Supermarkt zu gehen.

In den vergangenen Wochen wurde in einigen Medien über die Suizide in der Landwirtschaft berichtet - so auch im «Schweizer Bauer». Das Thema wird auch unter den Bauern viel diskutiert. Als Ursachen der Suizide werden Überarbeitung, Überschuldung, private Probleme und Depressionen genannt.

 

SRF thematisiert Bauern-Suizide

Das Politmagazin des TV-Senders SRF wird in der Sendung von Mittwoch über die Suizide in der Landwirtschaft berichten. Im Studio wird Bauernverbandspräsident Markus Ritter zum Thema Stellung nehmen.

Ein Lösungsansatz ist mit Betroffenen darüber reden. Hier hapere es, schreibt SRF. «Am schlimmsten sind die, die nicht mehr reden. Das sind die schwierigsten Fälle», sagt Bauernverbandspräsident Markus Ritter. Der CVP-Nationalrat wird sich am Mittwochabend den Fragen von Rundschau-Moderator Sandro Brotz stellen.

Ausstrahlungsdatum: Mittwoch, 1. März 2017, 20.55 Uhr, SRF 1

 

    Das Wetter heute in

    Umfrage

    Geht Ihr an die Olma?

    • Ja:
      29.63%
    • Nein:
      61.9%
    • Weiss noch nicht:
      8.47%

    Teilnehmer insgesamt: 378

    Zur Aktuellen Umfrage

    Bekanntschaften

    Suchen Sie Kollegen und Kolleginnen für Freizeit und Hobbies? Oder eine Lebenspartnerin oder einen Lebenspartner?