Der Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), Prof. Knut Schmidtke, äussert sich im Interview über die gegenwärtige Agrardiskussion und Konsequenzen für den Biolandbau, die Rolle von Innovationen und die Tierhaltung.
Welchen Stellenwert hat der Biolandbau in der Ukraine?
Der Biosektor ist seit Jahren auf Wachstumskurs. Vor dem Krieg wurden schätzungsweise 462’000 ha biologisch bewirtschaftet. Voraussetzung für das stetige Wachstum sind eine gesicherte gesetzliche Grundlage sowie der Aufbau eines landesweiten Kontrollwesens vor Ort. Vor allem grössere Betriebe haben umgestellt und erfolgreich gewirtschaftet. Dazu hat auch der Export von Futtergetreide nach Westeuropa beigetragen.
Was bedeutet ein Ausfall der Exporte für den Biolandbau in Deutschland oder der Schweiz?
Derzeit lässt sich nur sagen, dass Bio-Futtergetreide und Futtermittel aus Sonnenblumen knapp und teuer werden. Wie ernst die Lage wird, ist derzeit noch offen. Auswirken wird sich der Engpass hierzulande in der Schweinefleischerzeugung, insbesondere jedoch in der Eierproduktion. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Preise für Bioeier voraussichtlich steigen werden. Der Krieg und die damit einhergehende «Zeitenwende» hat eine agrarpolitische Grundsatzdiskussion über die Frage ausgelöst, ob das Produktionsziel der Landwirtschaft im Vergleich zu Klima- und Umweltzielen wieder stärker gewichtet werden sollte.
Ist diese Diskussion berechtigt?
Ja! Primäre Aufgabe der Landwirtschaft muss es nach wie vor sein, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln möglichst aus heimischer Erzeugung sicherzustellen. Das dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren.
Was folgt daraus für den Biolandbau?
Eine unserer Strategien lautet «Bio-Intensivierung». Es geht darum, die im Biolandbau nicht genutzten Ertragssteigerungen zu realisieren und gleichzeitig die Ökosystemleistungen des ökologischen Landbaus zu erhalten, in Teilen sogar auszubauen. Ich halte es im gesamtgesellschaftlichen Sinne für nicht verantwortbar, einen unzureichend gemanagten Biolandbau zu betreiben und sich dauerhaft mit Ertragsleistungen von unter
30 dt/ha auf guten Standorten bei Getreide zufriedenzugeben, weil die Prämien das hergeben. Aus meiner Sicht reicht das nicht.
Bio Suisse
Intensiv oder extensiv - ist das auch die Frage im Biolandbau?
Es geht nicht um ein Entweder-Oder. Wir müssen im Biolandbau höhere Erträge erreichen und gleichzeitig die Vorteile für die Biodiversität, den Grundwasserschutz und die Böden gewährleisten. Umgekehrt stehen die konventionellen Betriebe vor der Aufgabe, ihre höheren Erträge besser mit den Umweltzielen in Einklang zu bringen. Daran hat sich mit der von Ihnen angeführten Zeitenwende nichts geändert. Im Gegenteil, der Handlungsdruck ist noch grösser geworden.
Wie kann der Biolandbau seine Erträge verbessern?
Eine Möglichkeit ist der Anbau von Gemengekulturen. Wir müssen auch stärker in Zweitfruchtkulturen denken. Dabei geht es nicht nur um Zwischenfrüchte, die wir dann einarbeiten, sondern darum, tatsächlich Ertragsleistungen in einer zweiten Frucht zu realisieren. Durch die Änderung des Klimas besteht an manchen Standorten die Möglichkeit, nach Wintergerste eine zweite Kultur, zum Beispiel Buchweizen, anzubauen. Auch einige Körnerleguminosen kommen noch zur Reife. Diese Potentiale müssen wir strategisch nutzen, um dem Anspruch, genügend Lebensmittel bereitzustellen, auch gerecht zu werden.
Hat es der Effizienzgedanke im Biolandbau schwerer als in der konventionellen Landwirtschaft?
Der Biolandbau hat sich lange Zeit vor allem durch seine ökologische Vorzüglichkeit profilieren können. Künftig müssen Ertragsziele mehr in den Vordergrund rücken, ohne dabei die Grundwerte des Biolandbaus zu vernachlässigen. Das ist möglich, und das muss auch der Anspruch des Biolandbaus sein.
Ist eine Annäherung an Ertragsniveaus des konventionellen Landbaus vorstellbar?
Weizenerträge von 90 dt/ha sind im Biolandbau nicht erreichbar, weil dann die Gemeinwohlziele nicht mehr zu schaffen sind. Wir können mit den bisher bekannten Massnahmen nicht so viel Stickstoff aus dem System heraus bereitstellen, wie dafür nötig wäre. Aber dass wir im Biolandbau zu Anbausystemen kommen, die bei Weizenerträgen zwischen 50 dt/ha und 60 dt/ha liegen und dabei ausreichend Raum für Biodiversität bieten und geringe Nährstoffverluste aufweisen, ist realistisch und teilweise schon erreicht.
Trotzdem – die Lücke bleibt. Bedeutet das vor dem Hintergrund der eingangs genannten Diskussion, dass der Biolandbau eine Nische bleiben muss?
Nicht unbedingt. Voraussetzung ist aber, dass wir runter kommen von dem gegenwärtig hohen Niveau der Erzeugung und des Konsums tierischer Produkte. Bei deutlicher Reduzierung ist es machbar, dass wir bei einer Ausweitung des Biolandbaus die Ernährung sicherstellen können. Wir müssen künftig 30% bis 40% weniger Tiere halten, um mehr pflanzliche Lebensmittel direkt für die menschliche Ernährung erzeugen zu können. Das gilt für die Landwirtschaft insgesamt und wird eine wesentliche Strategie der Zukunft sein müssen.
Ihr Vorgänger, Prof. Niggli, spricht von der «Bioblase», in der Erwartungen geweckt würden, die Ernährung könne allein mit biologischer Erzeugung gesichert werden. Arbeiten Sie in der Blase?
Nein, die Blase ist längst weg. Alle, die sich aktiv mit den Themen beschäftigen, wissen, dass man den Biolandbau weiterentwickeln kann und muss. Dafür braucht es Innovationen, die zumindest teilweise schon zur Verfügung stehen. Ich nenne ein Beispiel: Wir haben Riesenprobleme mit Nitrat im Agrarökosystem. Aufgabe muss es daher sein, die Agrarökosysteme ähnlich wie die natürlichen Ökosysteme so zu steuern, dass der Abbau von Stickstoff nicht bis zum Nitrat geht, sondern beim Ammonium stehen bleibt. Ammonium kann durch Tonminerale im Boden gebunden werden und ist für die Pflanzen nutzbar und ökologisch viel effizienter als das Nitrat. Es gibt erfolgversprechende Ansätze, wie wir das im Biolandbau hinbekommen können. Ein anderes Beispiel ist die Agro-Photovoltaik, also die Doppelnutzung von Flächen für die Lebensmittel- und Energieerzeugung. Das ist ein Weg, um zu einem echten regenerativen Landbau zu kommen. Wir müssen stärker als in der Vergangenheit Innovationen im Biolandbau proaktiv angehen.
In welchen Bereichen ist der Forschungsbedarf am grössten?
Ein wichtiger Bereich - nicht nur in der Schweiz – ist das Grünland. Uns ist bislang nichts herausragendes Anderes eingefallen, als Grünland über Rinder zu verwerten und zur Erzeugung von Milch und Fleisch zu nutzen. Die Möglichkeiten, aus dem Grünland auch Nicht-Wiederkäuer zu ernähren, sind hingegen bei weitem nicht ausgeschöpft. Das ginge etwa über eine gezielte Einzelpflanzenernte oder indem man Weißklee als Proteinlieferant gezielt im Grünland fördert und selektiv erntet, um ihn Schweinen oder Hühnern zuzuführen. Da sind wir noch ganz am Anfang. Eine biotechnologische Transformation der Eiweisskomponenten im Grünland in eine für die Monogastrier verwertbare Form wäre eine zweite Komponente, die wir angehen müssten. Schliesslich sollte es darum gehen, einen Teil unseres Energiebedarfs regenerativ über Grünlandflächen über Agri-Photovoltaik zu gewinnen. In all diesen Fragen müssen wir unsere Forschungsanstrengungen verstärken.
Sandra Flückiger
Braucht der Biolandbau mehr Tiere?
Wir wissen aus dem Ackerbau, dass wir Luzerne oder Kleegras als wichtige Bestandteile brauchen. Dafür brauchen wir in den Betrieben eine sinnvolle Verwertung. Das kann eine Biogasanlage sein, das kann aber auch eine Verwertung über Rinder sein. Mehr Rinder insgesamt sind aus Klimagründen keinesfalls akzeptabel. Sinnvoll kann es jedoch sein, mehr Rinder im Biobereich zu halten. Voraussetzung wären allerdings Betriebe, die Milch produzieren wollen und können, eine gesicherte Verarbeitung sowie Menschen, die die Rinder unter den hohen Tierwohlstandards im Biolandbau halten und versorgen können. Für all das brauchen wir einen breiten gesellschaftlichen Konsens über Art und Umfang der Tierhaltung. Anderenfalls laufen wir Gefahr, die Tierhaltung insgesamt zu verlieren.
Kann der Biolandbau klimaneutral wirtschaften?
Ja! Die Herausforderungen, um das zu erreichen, sind allerdings enorm. Wir haben im Biolandbau nun mal die Rinder, die Methan emittieren. Das müssen wir durch Speicherung von Kohlenstoff im Boden kompensieren. Wir brauchen Agro-Photovoltaik, wir brauchen Agroforstsysteme. Wenn man das zusammenbringen will und klimaneutral machen möchte, dann spürt man die grosse Herausforderung.
Wie wird diese Zeitenwende, über die im Zusammenhang mit dem Krieg allenthalben gesprochen wird, die Agrarbranche verändern?
Es gibt einen Impuls, mehr Lebensmittel im Land selbst zu erzeugen. Wir werden noch stärker gefordert sein, in Kreisläufen Landwirtschaft zu betreiben, mit weniger Zuführung von Düngemitteln, Saatgut und energetischen Rohstoffen von aussen. Wir werden regionale Wertschöpfungsketten stärken müssen. Sehr viel rasanter, als wir es gedacht haben, werden wir uns mit der Erzeugung von regenerativen Energien in der Landwirtschaft auseinandersetzen müssen. Da wird es vor allem um Photovoltaik auf den Dächern gehen und um Agri-Photovoltaik auf den landwirtschaftlichen Flächen, die wir in eine Doppelnutzung mit landwirtschaftlicher Erzeugung integrieren. Daraus werden sich neue Tätigkeitsfelder und Wertschöpfungsketten ergeben.
Mit dem Glas in der Hand, im Jacke und Krawatte, den Sonntagsschuhen hockt er vor einem Roboter im Acker.
.... mir fehlen die Worte nicht, aber höre auf mit schreiben!
Wiederkäuer sind die Lösung, nicht das Problem.