Die Freiburgerin Anja Tschannen studiert Agronomie an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen. In ihrem Blog berichtet sie über das Studium, aber auch über ihre Arbeit als Freie Mitarbeiterin beim Schweizer Bauer und ihre Hobbies.
Das Studentenleben an der HAFL ist am Anfang des Jahres immer besonders anstrengend. Prüfungen sind angesagt! Für 2. und 3.-Jahrestudenten stehen zwei, und für die Grünschnäbel eine Woche zur Verfügung. Während also die Studenten aus dem ersten Jahr seit einer Woche intensives „Selbststudium“ auf der Skipiste betreiben, neigt sich der Dauerstress auch für die älteren Klassen dem Ende zu.
Ja, die Prüfungszeit ist eine intensive Zeit! Da bilden sich Lerngruppen, die bis spät in die Nacht lernen, uralte Prüfungen werden in Umlauf gebracht und die Köpfe rauchen bis der Feueralarm ausbricht.
Erstaunlich was man alles ins Gehirn quetschen kann wenn man muss. Kennzahlen schwirren einem um die Ohren, Unkräuter wuchern und AP14-17 lässt grüssen. Während ich versuche, die Boxenhaltung von Pferden zu optimieren und mich gleichzeitig mit dem Opti-Huhn abmühe, frage ich mich ob der Heterosiseffekt wohl nicht deutlich grösser wäre, wenn man der Zuchtlinie „Zeitmanagement“ etwas mehr Beachtung schenken würde.
Oder, noch besser, man bekämpft den Zuchtfehler „Prokrastination“. Denn eigentlich wäre alles gar nicht so schwer, wenn die doofe Prokrastination nicht wäre. Oh ja, die Prokrastination ist ein heimtückischer Erbfehler und auch noch ansteckend. Wikipedia meint dazu folgendes: Prokrastination ist das Verhalten, als notwendig aber auch als unangenehm empfundene Arbeiten immer wieder zu verschieben, anstatt sie zu erledigen.
Das soll jetzt nicht heissen, dass mich der Unterrichtstoff nicht interessieren würde. Nein ganz und gar nicht, viele Sachen sind echt wichtig und auch spannend. Naja, und dann gibt es auch noch die etwas weniger spannenden Dinge, aber man sagt ja: „Keine Regel, ohne Ausnahme!“ Ich mag mein Studium sehr und ich weiss, dass ich ganz bestimmt am richtigen Platz bin. Und ich weiss theoretisch auch wie man eine fleissige Bilderbuch-Studentin ist: Unterricht vorbereiten, aktive Unterrichtsteilnahme, Notizen schreiben, Unterricht nachbearbeiten, Hausaufgaben und Übungen machen und repetieren, repetieren, repetieren… und natürlich „Selbststudium“
Es gibt zwei Arten von Prokrastination, die passive und die aktive. Die passive Prokrastination ist definitiv zu vermeiden. Stundenlanges Fernsehen, ausgiebiges Ausschlafen und Herumhängen sind eindeutige Anzeichen von passiver Prokrastination. Sie ist äusserst unproduktiv und schlecht für die Moral, weil man das ständig nagende Gefühl hat, einfach nichts zu machen.
Die aktive Prokrastination hingegen kann auch positive Seiten haben. Man ersetzt die aktuelle Aufgabe, im Studentenalltag ist damit „Lernen“ gemeint, einfach durch eine Ersatzbeschäftigung wie Auto putzen, Kleiderschrank ausmisten, Fotoalbum basteln, mein Pferd Gigolino trainieren und so weiter. Die Zeit wird somit zwar nicht direkt fürs lernen, dafür aber durchaus effektiv verwendet.
Dies soll keine Entschuldigung sein oder die Prokrastination verharmlosen. Aber ich weiss jetzt, Facebook sei Dank, ich bin nicht alleine! Auch andere leiden unter diesem Zuchtfehler, ja das ist wirklich so. Der Facebook-Eintrag von Studienkollege Christian Walther: „So, jetzt lern ich! "Oh ein Fusel"......“ und die zahlreichen „Gefällt mir“ – Angaben haben meine Vermutung bestätigt: Prokrastination ist in der heutigen Gesellschaft weit verbreitet.
Trotzdem: Prokrastination ist nicht per se schlecht, vor allem nicht wenn es sich um die aktive Form handelt. Man erledigt mit ihr auch Sachen, die man schon lange hätte erledigen müssen. Und Prokrastination schärft, wie das FB-Beispiel zeigt, in unserer hektischen und leistungsorientierten Welt wieder unsere Wahrnehmung für die kleinen Dinge im Leben.
„Das Gras ist gemäht!“, und der Ertrag wird hoffentlich ausreichend sein. Die letzte Prüfung ist geschrieben, das Schulgelände der HAFL leert sich langsam, aber sicher. Für das kommende Semester werde ich meiner Prokrastination den Kampf ansagen. Obwohl ich noch nicht genau weiss wie ich die Intensivierung meiner Wiese mit der, nach AP 14-17, geforderten Steigerung der Biodiversität, unter einen Hut bringen soll. Aber mir fällt bestimmt etwas ein, um meinen Ertrag zu maximieren und dabei die Ressourcen effizient und nachhaltig zu nutzen.
Doch zuerst beseitige ich die Spuren der letzten drei Wochen. Mein Zimmer gleicht einer Messi-Höhle, Ordner, Blätter und Schreibmaterial stapeln sich meterhoch und mein Staubsauger hat gekündigt. Ausserdem war meine Futterverwertung während der Prüfungszeit, in einem, für Mastbetriebe, beneidenswerten Bereich. Ohne das glaubwürdige Argument „Ich muss noch lernen!“ bleibt mir jetzt wohl nichts anderes übrig als der langersehnte Gang ins Fitnessstudio anzutreten… oder meine Semesterarbeit zu schreiben…