Der Verfassungsartikel zur Ernährungssicherheit wurde deutlich angenommen. Die Zustimmung kam bei 78.7 Prozent zu liegen. Der Bauernverband ist hoch erfreut.
Der Trend hat sich um 13 Uhr weiter verfestigt. Die SRG rechnet mit einer Zustimmung von rund 79 Prozent. "Das sich abzeichnende, deutliche Resultat zeigt, dass sich die Stimmbürger der anstehenden weltweiten und nationalen Herausforderungen bewusst sind und einen Beitrag zur Bewältigung leisten wollen. Denn Ernährungssicherheit ist nicht selbstverständlich", schreibt der Schweizer Bauernverband am Sonntagmittag in einer Mitteilung. Das Stimmvolk habe sich zur nachhaltigen, einheimischen Land- und Ernährungswirtschaft bekennt, heisst es weiter.
Um 14 Uhr knallten die Korken
Vor allem in der Romandie wurde der Vorlage mit über 80 Prozent zugestimmt. Das deutlichste Ja kam im Kanton Jura zustande. Fast 90 Prozent stimmten dem Verfassungsartikel zu. Der Schweizer Bauerverband lud die Befürworter nach Oberbottigen bei Bern auf den Hof von Herren-Schurtenberger ein. Die Stimmung war von Anfang an gelöst. Den die Umfragen im Vorfeld der Abstimmung deuteten auf ein klares Ja hin. Die Werte lagen bei rund 69 Prozent Zustimmung. Das Stimmvolk hat nun der Vorlage noch deutlicher das Vertrauen geschenkt.
Gegen 14 Uhr konnten Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauerverbandes, Maya Graf, Nationalrätin der Grünen (BL), und Urs Schneider, stellvertretdender Direktor des Bauernverbandes und Kampagnenleiter, den Erfolg begiessen. Dazu wurde feiner Cidre ausgeschenkt. Rund 80 Personen haben sich im Stall n Oberbottigen eingefunden.
1.94 Millionen Ja
Insgesamt haben rund 1'942'900 Personen dem neuen Verfassungsartikel zugestimmt, rund 524'900 Personen haben diesen abgelehnt. Am deutlichsten fiel die Zustimmung in den Westschweizer Kantonen aus. Im Kanton Waadt sagten ganze 92 Prozent Ja. An zweiter Stelle lag der Kanton Jura mit 89,8 Prozent, gefolgt von Genf mit 88,3, Neuenburg mit 88,1, Tessin mit 87,7, Freiburg mit 85,2 und Wallis mit 84,3 Prozent. Die niedrigste Zustimmung verzeichneten die Kantone Schwyz und Glarus mit immer noch über 69 Prozent Ja-Stimmen.
Klarer Erfolg
Urs Schneider, stellvertretender Direktor des Schweizer Bauerverbandes, freut sich über den klaren Erfolg. Dies sei ein klares Votum zur Stärkung der Inlandproduktion. Auch Maya Graf, Nationalrätin der Grünen (BL), freut sich üebr das Ja. Es sei vor allem ein Votum für den Schutz des Kulturlandes und der Umweltziele.
Der Gegenvorschlag sieht vor, dass für die Ernährungssicherheit ein umfassendes Gesamtkonzept in die Verfassung aufgenommen wird. Dazu gehört die Sicherung des Kulturlandes, eine standortangepasste und ressourceneffiziente Lebensmittelproduktion und eine auf den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungswirtschaft. Der Gegenvorschlag sieht aber auch grenzüberschreitende Handelsbeziehungen vor, die zur nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft beitragen. Der Bund soll zudem Voraussetzungen für einen ressourcenschonenden Umgang mit Lebensmitteln schaffen.
Urs Schneider sagt, dass man sich einer weiteren Ökologisierung nicht verschliesse. Zu den grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen sagt Maya Graf, dass bei Importen auch die Produktionsweise wichtig sei. Das Motto laute fairer Handel. Urs Schneider sagt zu den Handelsbeziehungen, es habe Aussagen gegeben, die für Verwirrung gesorgt hätten. Damit meinte er Bundesrat Johann Schneider-Ammann, der im Vorfeld der Abstimmung den Verfassungsartikel als Vorum für Freihandel interpretierte. Der Gegenentwurf sei aber ein klares Statement des Parlaments gewesen, den Freihandel nicht weiter auszubauen.
Der Schweizer Bauernverband (SBV) setzt grosse Erwartungen in den neuen Verfassungsartikel. Dieser gelte als Leitlinie und Zielvorgabe für alle kommenden Gesetzes- und Verordnungsänderungen, die die einheimische Land- und Ernährungswirtschaft betreffen würden. Insbesondere diene der Artikel dazu, die Grundlagen für die Produktion wie das Kulturland zu sichern. Als Richtgrösse zur langfrisitgen Sicherung nennt der SBV eine Million Hektaren Kulturland. "Die künftigen Herausforderungen gilt es weiter durch Förderung einer ressourceneffizienten, standortangepassten und auf den Markt ausgerichteten inländischen Produktion anzugehen", schreibt der Verband weiter.
Mehr Inlandproduktion, mehr Ökologie
Markus Ritter ist sehr überraschend erfreut über die hohe Zustimmung zum Verfassungsartikel. Dies sei ein riesiger Vertrauensbeweis in die Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion, sagt Ritter gegenüber schweizerbauer.ch. Es gehe bei diesem Verfassungsartikel nicht um mehr Freihandel, sondern um eine faire und nachhaltige Produktion. Dies stärke wiederum die Schweizer Landwirtschaft, sagt Ritter weiter.
Die Naturschutzorganisationen sind froh über das Ja, sagten sie am Sonntag in Oberbottigen. Die sei ein Auftrag der Bevölkerung. Die Landwirtschaft müsse nun noch ökologischer werden. Weniger Kraftfutter, weniger Pestizide und weniger Nährstoffüberschüsse seien das Ziel. Auf Gesetzesebene wollen die Naturschutzorganisationen ihren eingeschlagenen Weg weitergehen.
Das zweite Pro-Komitee interpretiert das Ja der Bevölkerung als eine Zustimmung zu mehr Markt und Nachhaltigkeit. "Den agrarpolitischen Kurs halten, das Rad der Zeit weiterdrehen: die Phase der staatlichen Produktionsanreize zu Lasten von Natur, Markt und Konsumenten ist vorbei", heisst es in der Mitteilung. Die Grundlagen für eine konstruktive Agrarpolitik seien gefestigt, Freihandel unter nachhaltigen Bedingungen sei möglich.
Für jeden Geschmack
Im neuen Verfassungsartikel ist für jeden Geschmack etwas dabei. Erwähnt werden neben der standortangepassten Produktion die Sicherung des Kulturlandes und ein ressourcenschonender Umgang mit Lebensmitteln, was ökologischen Kreisen gefällt. Gleichzeitig soll die Land- und Ernährungswirtschaft aber auf den Markt ausgerichtet sein. Erwähnt werden auch die grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen, wobei diese zur nachhaltigen Entwicklung beitragen sollen.
Landwirtschaft bleibt Thema
So oder so wird weiter über Landwirtschaft diskutiert. Gleich am Dienstag berät der Nationalrat die Fair-Food-Initiative, die ökologische und soziale Standards für Importprodukte fordert. Vergangene Woche befasste sich der Ständerat mit der Hornkuh-Initiative.
Ebenfalls hängig ist die Initiative «Für Ernährungssouveränität» der Bauerngewerkschaft Uniterre. In dieser geht es um den Schutz des Kulturlandes. Die Initianten fordern aber auch, dass der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft erhöht wird. Zudem sollen Importe von Nahrungsmitteln, die nicht dem Schweizer Nachhaltigkeitsstandard entsprechen, mit zusätzlichen Zöllen belegt werden. sda
Auslegung umstritten
Welche dieser Aspekte im Vordergrund stehen und was das genau bedeuten soll, ist umstritten. Aus diesem Grund gab es mehrere Ja-Komitees. Die einen sehen im Verfassungsartikel eine Absage an Protektionismus und eine Grundlage für mehr Freihandel.
Die anderen berufen sich auf die Erwähnung der Nachhaltigkeit und fordern, dass beim Aushandeln von Freihandelsabkommen künftig ökologische und soziale Standards berücksichtigt werden. Der Präsident des Bauernverbandes, Markus Ritter, zeigt sich überzeugt, dass der Verfassungsartikel auf diese Weise Wirkung entfalten wird.