Renommierte Fachpersonen vermittelten dem zahlreich erschienenen Publikum am Fokustag Pferd aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Inputs zur Schulung rund um das kontroverse Thema der Hilfszügel und Gebisse. Der Anlass wurde gemeinsam vom Schweizer Tierschutz (STS) und dem Berufsbildungszentrum Inforama in Bern organisiert.
In ihrem Inputreferat betonte die diplomierte Zoologin Sandra Schaefler, die beim STS in der Fachstelle Heimtiere und Pferde tätig ist, dass sich der STS keineswegs gegen die Nutzung von Pferden wendet, wobei das Schweizer Tierschutzgesetz den Rahmen für jeden Umgang mit dem Pferd setzt und stets einzuhalten ist.
Wie nuanciert der Einsatz von Gebissen und Hilfszügeln zu bewerten ist, brachte sie mit folgenden Worten auf den Punkt: «Gewisse Gebisse und Hilfszügel sind aus Sicht des STS abzulehnen, bei anderen ist es eine Frage der Einwirkung in Abhängigkeit des Reiters wie auch des Ausbildungstands des Pferdes.»
Biomechanik wichtig
Biomechanik war das zentrale Stichwort des Fachvortrags von Selma Latif. Sie zeigte eindrücklich auf, dass zur Beurteilung, wie nützlich oder schädlich Gebisse und Hilfszügel sind, ganz viele Komponenten hineinspielen, die für jedes Pferd individuell sind.
Dazu gehören die genetischen körperlichen Voraussetzungen jedes einzelnen Pferdes wie Hebellängen, Bindegewebstyp und Muskelqualität. Anhand von eindeutigen Illustrationen und Bildbeispielen schulte sie das Auge des Publikums für die subtilen Unterschiede zwischen Verspannung und negativen Kompensationsmustern auf der einen Seite des Spektrums und einer aktiven Haltemuskulatur und korrekt arbeitenden myofaszialen Ketten auf der anderen Seite, wobei Letzteres das gewünschte und notwendige Bewegungsmuster für schonendes Reiten darstellt.
«Zur orthopädischen Gesunderhaltung muss an der Schiefe des Pferdes gearbeitet werden. Die Aktivierung der Rumpfträger ist hierzu der erste Schritt», so die erfahrene Tierärztin, die nebst ihrer schweizweiten Tätigkeit als praktische Tierärztin mit Spezialisierung auf orthopädische Probleme auch eine weltweit gefragte Referentin zum Thema der Biomechanik und Trainingstherapie beim Pferd ist.
Viele Stolpersteine
Hippoteach Maia Bachmann leitete in ihrem Fachreferat die Ursprünge von Hilfszügeln her und zeigte eindrücklich und detailliert auf, wie die einzelnen Hilfszügel genau wirken und inwiefern sie die Grundsätze der Skala der Ausbildung als Basis einer pferdegerechten Ausbildung untermauern oder im Gegenteil untergraben.
Sie betonte, wie vielfältig die Stolpersteine sind, denen man auf dem Ausbildungsweg des Pferdes begegnet und dass diese in den allermeisten Fällen nicht einfach mit Hilfszügeln übergangen werden können.
«Fehlendes Gleichgewicht, Steifheit und Aussenstellung auf gebogenen Linien können mit Zwangsmitteln nicht nachhaltig korrigiert werden. Weder Takt noch Schwung lassen sich erzwingen, aber sie können durch ein geschicktes Zusammenspiel von feinen Hilfen deutlich verbessert werden. Oft wird durch den Einsatz von Hilfszügeln gerade das Gegenteil des gewünschten Effekts erreicht. Unsachgemäss angewandte Hilfszügel können überdies den Körper und die Psyche des Pferdes nachhaltig schädigen», so Bachmann.
Respektvolle Nutzung
Am Ende der Veranstaltung war die Take-home-Message denn auch für alle klar: Wer ehrlich um das Wohlergehen unserer Pferde bemüht ist, kann sich nicht mit einfachen Antworten und Prinzipien zufriedengeben, sondern muss sich mit der Vielfalt der Aspekte, die mit hineinspielen, auseinandersetzen. Offenheit und Lernbereitschaft sind die Grundvoraussetzungen für die respektvolle Nutzung unserer Pferde.