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«Es ist einfach alles zu viel»

Viele in der Landwirtschaft klagen über Überlastung. Doch der eigentliche Druck entsteht oft nicht durch zu viel Arbeit, sondern durch fehlende Struktur und das Gefühl, nie ans Ende zu kommen. Coach Barbara Eiselen gibt Tipps für den Arbeitsalltag.

Barbara Eiselen |

Viele Bäuerinnen und Bauern sagen mir: Es ist einfach alles zu viel. Zu viel Arbeit. Zu wenig Erholung. Doch wenn wir genauer hinschauen, zeigt sich – wie so oft –, dass das Problem auf einer anderen Ebene liegt: Es ist nicht die Menge an Arbeit und schon gar nicht die Arbeit an sich, die überfordert. Denn die meisten lieben ihre täglichen Arbeiten und packen gerne an.

Sie sind zudem alles andere als faul. Ein voller Tag, an dem man vieles unter einen Hut bringt, kann sogar zufriedener machen als ein Tag mit wenigen Aufgaben. Sogar das Fehlen von Pausen während mehrerer Wochen ist nicht zwingend das Problem.

Wenn das Gefühl bleibt, nie fertig zu werden

Woran liegt es also, wenn jemand sagt: «Es ist zu viel»? Natürlich gibt es betriebliche Situationen, wo die Arbeit tatsächlich kaum zu bewältigen ist – etwa mit Milchkühen ohne Ablösung. Aber auf vielen Betrieben ist das Problem nicht die objektive Arbeitsmenge, sondern das Gefühl, nie fertig zu werden. Woher kommt denn dieser Druck?

Gerne gebe ich dazu ein Beispiel. Vielleicht erkennt sich die eine oder der andere ganz oder teilweise darin. Ein Landwirt stellt morgens um fünf Uhr den Wecker. Er dreht sich noch ein paar Mal um und steht dann um 5.30 Uhr auf. Er checkt sein Handy, verweilt auf den sozialen Medien. Dann macht er sich einen Kaffee und denkt die ganze Zeit: Jetzt sollte ich aber raus. Um 6.15 Uhr steht er dann im Stall – endlich. Da ist aber schon der Vater, die Mutter oder der Lehrling am Werk. Diese Person hat es früher rausgeschafft. Das ist unangenehm bis leicht peinlich.

Er beginnt mit den Arbeiten und kommt in einen Arbeitsflow, weil er seine Arbeit einfach gerne macht. Er mistet, er füttert, er milkt, er putzt, er flickt noch kurz etwas – hätte er es doch nur früher geschafft, rauszugehen. Die Gedanken drehen: Warum schaffe ich es nicht früher, das wäre doch nicht so schwer? Die Zeit vergeht wie im Flug, und schon ist er zu spät, um mit seiner Familie das Frühstück einzunehmen. Die Kinder sind schon zur Schule losgezogen, als er reinkommt, und seine Frau ist leicht genervt.

Er isst sein Frühstück, liest die Zeitung und konsultiert sein Handy. Leichter Druck ist spürbar. Er geht anschliessend wieder raus und kommt wieder in den Arbeitsflow. Er sieht auf dem Hof noch dies und das, was er auch noch schnell erledigt. Und so geht es weiter. Auch fürs Mittagessen ist er wieder fast eine halbe Stunde zu spät. Und abends, nachdem er bis spät nach dem Abendessen gearbeitet hat, ist er müde. Er lässt sich auf der Couch nieder und schaut fern. Die Frau ist mit den Kindern schon lange im Bett. Er ist unzufrieden und denkt: «Morgen wird es wieder so. Es könnte doch einfacher gehen.»

Kolumne mit Barbara Eiselen

Barbara Eiselen ist Agronomin und war viele Jahre in der landwirtschaftlichen Lehre und Forschung in den Bereichen Betriebswirtschaft, Agrarpolitik und -märkte tätig. Sie schreibt einmal im Monat für den «Schweizer Bauer» und greift in ihrer Kolumne Themen auf, die unsere Leser beschäftigen.

In ihrer beruflichen Laufbahn erkannte sie, dass es sich bei Hofstrategien und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen meistens um tieferliegende Themen handelt.

Barbara Eiselen bildete sich fort in den Bereichen Coaching, Psychologie und Familiensysteme und ist heute selbstständige Beraterin. Sie hat die Vision, die Hemmschwelle für Tabu-Themen in der Landwirtschaft zu brechen, so dass man sich frühzeitig Hilfe für die wahren Probleme holen darf.

Sie nennt es «den Service für die Seele, die Psyche und die Ehe, genauso wie der Traktor auch seinen jährlichen Service bekommt». Eiselen ist Bauerntochter und Schwiegertochter einer Bauernfamilie.

Die unsichtbare To-do-Liste

Was passiert da eigentlich? Man hat keinen Chef, sondern ist sein eigener Chef. Wenn kein fixer Termin ansteht, besteht bei einigen Arbeiten tatsächlich auch kein Druck. Und so schieben sich all die nicht so dringenden – aber dennoch notwendigen – Arbeiten auf, und die unsichtbare «Man sollte noch»-Liste wird immer länger. Diese Liste dreht im Kopf endlos weiter. Es gibt keinen klaren Abschluss und keinen Moment, an dem man sagen kann: Jetzt ist Feierabend.

Eine kleine Bemerkung braucht es hier: Sind familienexterne Mitarbeitende auf dem Hof engagiert, so sieht es situationsbedingt etwas anders aus. Da braucht es automatisch mehr Struktur. Aber ohne Mitarbeitende?

Struktur statt Selbstvorwürfe

Als eigener Chef gibt es keine Kritik, aber auch kein Lob – und keine Struktur von aussen. Disziplin und Organisation sind deshalb entscheidend. Oha, das tönt aber einengend! Gerade für jemanden, der gerne mal ein bisschen träumt und den eigenen Gedanken nachgeht. Doch es sind zentrale Fähigkeiten, die den meisten Menschen nicht einfach angeboren sind.

Wie könnte denn Disziplin aussehen, so dass sie attraktiv wird? Schon kleine Veränderungen können viel Druck nehmen, sofern man sie konsequent einhält. Etwa, wenn man sich morgens bewusst Zeit für den Kaffee einplant, statt ihn «nebenbei» mit schlechtem Gewissen zu trinken. Oder wenn man Arbeiten, die einem unterwegs auffallen, nicht gerade sofort erledigt, sondern auf eine schriftliche Liste setzt – natürlich nur, sofern sie nicht dringend sind: Ein verletztes Tier beispielsweise braucht sofortige Handlung.

Und vor allem: Wenn man sich für den Tag nur eine begrenzte Zahl an Aufgaben mit realistischer Dauer vornimmt. Dann ist abends klar: Das habe ich geschafft – und das reicht. Die Sorgen von morgen darf man getrost auf morgen verschieben. Es geht um Prioritäten anstatt um Perfektion. So ist es auch möglich, jeden Tag eine Arbeit von dieser langen «Man sollte noch»-Liste abzuarbeiten.

Struktur schafft Freiheit

In der Landwirtschaft braucht es mehr Spontaneität als in einem Bürojob. Gerade darum ist eine Grundstruktur so wichtig. Sie schafft Raum für Flexibilität, ohne dass das Gefühl bleibt, nie fertig zu werden. Denn am Ende geht es nicht darum, alles auf einmal zu erledigen – sondern Tag für Tag ein Stück weiterzukommen und den Feierabend wieder geniessen zu können.

Am Ende gilt: Nicht die Arbeit ist zu viel, sondern das Gefühl, nie fertig zu werden. Wer das erkennt, kann sich Schritt für Schritt den Feierabend zurückerobern – und ihn dann auch geniessen.

Kommentare (3)

Sortieren nach:Likes|Datum
  • Agnes Annen | 25.10.2025
    Vielen Dank für Ihre wertvolle Arbeit! Ich lese Ihre Artikel sehr gerne und finde sie sehr hilfreich.
    Würde Sie auch gerne einmal um Rat bitten...
    Wir stehen gefühlt im "Treibsand" in unserem Leben.
    Alles Gute für Sie.
    Freundliche Grüsse
    • Barbara Eiselen | 25.10.2025
      Liebe Agnes
      Sie dürfen sich sehr gerne bei mir melden - auf meiner Homepage. Ich freue mich Sie und Ihre Situation kennen zu lernen.
      Es freut mich, dass Ihnen die Texte helfen!
      Mit lieben Grüssen
      Barbara Eiselen
  • Däni | 25.10.2025
    Für jede arbeit bald eine Maschine
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