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«EU hilft, Produktionslücke zu schliessen»

AgE/blu |

 

EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski äussert sich im Interview über Massnahmen zur Eindämmung der agrarpolitischen Folgen des Ukraine-Krieges, Anpassungsmassnahmen der Europäischen Union, die Kommissionsziele zur Pflanzenschutzmittelreduktion sowie zur Förderung kleinerer Betriebe.

 

Herr Wojciechowski - der russische Einmarsch in die Ukraine ist auch für den EU-Agrarsektor eine enorme Herausforderung. Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang Ihre Rolle?
Die Überwachung und Bewältigung der Auswirkungen der russischen Aggression in der Ukraine auf die Ernährungssicherheit haben für mich höchste politische Priorität. Im Mai haben wir dazu ein öffentliches Dashboard zur Überwachung der Produktion, der Preise und des Handels mit den wichtigsten Getreide- und Ölsaatenrohstoffen in der EU eingeführt. Ich stehe auch regelmässig mit dem ukrainischen Landwirtschaftsminister Mykola Solskyi in Kontakt, um die Bedürfnisse der ukrainischen Landwirtschaft zu erörtern. Ferner habe ich mich sehr für die Einrichtung der Solidaritätskorridore eingesetzt, insbesondere über Polen, um die Ukraine bei der Ausfuhr ihrer landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu unterstützen.  Wladimir Putin setzt Lebensmittel als geopolitische Waffe ein, und die EU wird angesichts dieser Aggression nicht untätig bleiben.

 

Exporthindernisse für Getreide aus der Ukraine verschärfen in bedürftigen Ländern die Nahrungsmittelknappheit. Ein Problem sind vor allem die teils enormen Preissteigerungen auf dem Weltmarkt. Was tut die EU zur Entschärfung der Situation?
Wir haben bereits im März eine Reihe von kurz- und mittelfristigen Massnahmen vorgeschlagen, um Landwirte und Konsumenten zu unterstützen und einen Beitrag zur globalen Ernährungssicherheit zu leisten. Unsere Massnahmen kombinieren verschiedene Aktionsbereiche: Handel, einschliesslich der Vermeidung von Ausfuhrbeschränkungen, landwirtschaftliche Massnahmen, Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe. Ausserdem erhöhen wir die Mittel für gefährdete Partnerländer, die in einem hohen Mass von bestimmten Lebensmittelimporten aus der Ukraine abhängig sind. Es ist für alle Länder wichtig, restriktive Handelsmassnahmen zu vermeiden. Die globalen Handelswege sind der Schlüssel, um die Auswirkungen des Krieges abzufedern und die Grundnahrungsmittelvorräte dorthin zu bringen, wo sie am dringendsten benötigt werden.

 

Sie haben nun vor allem auf Finanzhilfen und handelspolitische Instrumente verwiesen. Das offensichtliche Verteilungsproblem liesse sich auch in Teilen über ein höheres Angebot abfedern. Sollte die EU ihre Produktion ausweiten, um bei der Sicherung der globalen Versorgungssicherheit mitzuhelfen?
Die EU trägt ihren Teil dazu bei, die Produktionslücke bei Weizen zu schliessen und damit substantiell einen Beitrag zur weltweiten Ernährungssicherheit zu leisten. Wir sind nicht nur ein wichtiger Weizennettoexporteur, sondern haben weltweit mit die höchsten Erträge. Wie gesagt, seit Juli müssen die Mitgliedstaaten der Kommission ihre monatlichen Lagerbestände an Getreide, Ölsaaten, Reis und zertifiziertem Saatgut melden. Die europäischen Landwirte brauchen mehr denn je unsere Unterstützung, um in Zeiten schwankender Preise und steigender Energiekosten, die sich auf ihre Gewinnspannen auswirken, weiterhin auf hohem Niveau zu produzieren.

 

Janusz Wojciechowski ist seit dem 1. Dezember 2019 EU-Kommissar für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung.
EU

 

Was heisst das konkret?
Beispielsweise haben wir die Krisenreserve von knapp 500 Mio. Euro an die Mitgliedstaaten ausgereicht. Diese Gelder können für die am stärksten betroffenen Landwirte verwendet werden, womit die Ernährungssicherheit und Widerstandsfähigkeit gestärkt werden. Ausserdem wird es den Mitgliedstaaten ermöglicht, ihre nicht genutzten Mittel für die Entwicklung des ländlichen Raums zu verwenden, um betroffene Landwirte sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) im Agrarsektor direkt zu unterstützen. Wir haben es den Landwirten zudem erlaubt, Ökologische Vorrangflächen (ÖVF) im Jahr 2022 für die Produktion zu nutzen, ohne dass dies Auswirkungen auf ihre Greening-Zahlungen hat. Dies entspricht einer potentiellen Gesamtfläche von fast 4 Mio. ha. Ob dies ausgeschöpft wird, ist allerdings von den Entscheidungen in den Mitgliedstaaten abhängig.

 

Sie haben bereits öffentlich erklärt, dass Sie eine vorübergehende Aussetzung der Regeln für die Fruchtfolge - GLÖZ 7 - und die Stilllegung - GLÖZ 8 - im Rahmen der neuen GAP befürworten. Haben Sie jetzt gute Nachrichten für diejenigen Landwirte, die beispielsweise Weizen auf Weizen anbauen oder die Stilllegungsflächen mit Feldfrüchten bestellen wollen?
In der Tat, die Kommission hat jetzt eine befristete, kurzfristige Ausnahmeregelung von den Vorschriften über die Fruchtfolge und die Erhaltung unproduktiver Flächen auf Ackerland vorgeschlagen. Wie sehr sich diese Massnahmen auf die Nahrungsmittelproduktion auswirken werden, hängt allerdings von der Entscheidung der Mitgliedstaaten und den Anbauentscheidungen der Landwirte ab. Sicher ist allerdings, dass diese die Produktionskapazitäten der EU für Getreide zur Herstellung von Lebensmitteln erhöhen wird. Meiner Auffassung nach ist es von grundlegender Bedeutung, dass die EU dazu beiträgt, die Produktionslücke zu schliessen, um den weltweiten Mangel an Weizen zu beheben und den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die nun präsentierte Ausnahmeregelung unmittelbar und in erheblichem Mass auf die Verfügbarkeit von Flächen für den Anbau von Ackerkulturen, einschliesslich Weizen, auswirken wird.

 

Reform um ein Jahr aufgeschoben

 

Die EU-Kommission gewährt ihren Mitgliedsstaaten für ein Jahr Ausnahmen bei der sogenannten Fruchtfolgeregeln und Stilllegungen von Ackerflächen. Laut der Behörde könnten dadurch rund 1,5 Mio. ha im Vergleich zu heute wieder in Produktion gehen. Jede in der EU erzeugte Tonne Getreide werde dazu beitragen, die weltweite Ernährungssicherheit zu erhöhen, teilt die EU-Kommission Ende Juli mit. Kulturen, die üblicherweise als Tierfutter verwendet werden (Mais und Soja), sind von der Regelung ausgeschlossen.

 

Mit der Reform der EU-Agrarpolitik, die ab 2023 hätte greifen sollen, werden Umweltstandards für die Landwirtschaft ausgebaut. Darin sind auch Vorgaben enthalten, dass Landwirte nicht die gleichen Ackerpflanzen hintereinander anbauen sollen, um die Böden zu schonen. Zudem sollten eigentlich vier Prozent der Ackerfläche nicht mehr bewirtschaftet werden. Die EU will mit Brachflächen, Blühstreifen oder Hecken die Biodiversität fördern.

 

Was entgegnen Sie Ihren Kritikern, die daran erinnern, dass eine Verringerung der Umweltambitionen die Klimakrise und damit auch die Ertragssicherheit verschärfen würde?
Auch wenn kurzfristige Massnahmen zur Bewältigung dieser Ausnahmesituation erforderlich sind, dürfen wir nicht vergessen, dass der Übergang zu einer nachhaltigen Landwirtschaft unser einziger Weg zu einer langfristigen Ernährungssicherheit ist. Die Kommission hat verschiedene Schritte in Richtung eines fairen, gesunden und umweltfreundlichen Lebensmittelsystems unternommen.

 

Erläutern Sie.
Zur Umsetzung der Farm-to-Fork-Strategie sowie der EU-Biodiversitätsstrategie spielt die Landwirtschaft eine Schlüsselrolle. Das Hauptziel der Farm-to-Fork-Strategie ist es, das europäische Lebensmittelsystem nachhaltig und widerstandsfähig zu machen. Sie bringt alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette zusammen, um zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen mit neutralen oder positiven Umwelt- und Klimaauswirkungen zu gelangen. Darüber hinaus sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die EU-Bürger sich stärker für eine gesunde Ernährung entscheiden können. Mit all diesen Massnahmen will die EU auch ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. Konkret wollen wir den Einsatz und die Risiken von chemischen Pflanzenschutzmitteln sowie den Einsatz von Antibiotika und den Verlust von Nährstoffen deutlich reduzieren.

 

Die EU will den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren.
John Deere

 

Ihre Kollegin, Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, ist federführend für die Farm-to-Fork-Strategie. Und sie ist für den daraus resultierenden Verordnungsvorschlag zur Pflanzenschutzmittelreduktion zuständig. Als Agrarkommissar scheinen Sie hier ein wenig im Abseits zu stehen. Glauben Sie, dass Sie im Hinblick auf die Gesetzgebung zum Pflanzenschutz hinreichend Einfluss haben?
Die Verringerung unserer Abhängigkeit von chemischen Pflanzenschutzmitteln ist ein wichtiger Bestandteil des Aufbaus widerstandsfähigerer und nachhaltigerer Lebensmittelsysteme. Ohne nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken kann es keine langfristige Ernährungssicherheit geben. Wir sehen, wie sich der Klimawandel bereits auf die Produktion auswirkt, mit wiederkehrenden Dürren und Überschwemmungen oder starken Regenfällen.

 

Kommen wir zu Ihrem Aufgabenbereich - den GAP-Strategieplänen (Gemeinsame Agrarpolitik). Wie bewerten Sie dieses Instrument, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu begrenzen?
Wir fordern dabei die Mitgliedstaaten eindringlich auf, ihre strategischen GAP-Pläne zu nutzen, um die Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Praktiken in der EU zu unterstützen, beispielsweise durch die Ausweitung agrarökologischer Praktiken oder die Präzisionslandwirtschaft. Ferner können wir über die nationalen Strategiepläne die Abhängigkeit von Betriebsmittel- und Futtermittelimporten durch nachhaltige Tierhaltungssysteme und die Förderung der Erzeugung von Eiweisspflanzen reduzieren.

 

Zu Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie erklärt, dass eines Ihrer wichtigsten Ziele darin bestehe, die Unterstützung für kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe zu verbessern. Können wir bis zum Ende Ihrer Amtszeit im Jahr 2024 noch mit einer Initiative zu deren Stärkung rechnen?
Meiner Auffassung nach wird die neue GAP wichtige Schritte in Richtung einer gerechteren Verteilung der Einkommensbeihilfen und einer stärkeren Ausrichtung auf die kleinen und mittleren Betriebe unternehmen. Ein Schlüsselelement der Vereinbarung ist, wie der Umverteilungsbedarf im Hinblick auf gerechtere, wirksamere und effizientere Direktzahlungen in der Interventionsstrategie berücksichtigt wird. Das wichtigste Instrument zur Deckung des Umverteilungsbedarfs ist die ergänzende Einkommensstützung für die Umverteilung (CRISS). Die Mitgliedstaaten sollten mindestens 10 % ihres Direktzahlungsvolumens für diese umverteilende Einkommensstützung verwenden, um die Zahlungen für kleinere und mittlere Betriebe zu erhöhen.

 

Der geschäftsführende Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans hatte allerdings selbst erklärt, dass eine Umverteilung von 10 % nicht ausreicht, um an den Strukturen wirksam etwas zu ändern.
Die Mitgliedstaaten können zusätzlich zu CRISS aber auch andere Direktzahlungsinterventionen und -instrumente einsetzen, um den relativ höheren Bedarf kleinerer Betriebe zu decken. Zu nennen sind die Zahlung für Kleinlandwirte, die Territorialisierung der Grundeinkommensstützung und die Kappung beziehungsweise Degression der Beihilfen. All diese Massnahmen und Instrumente ergänzen die Grundeinkommensstützung für Nachhaltigkeit, um eine Einkommensebene zu schaffen, die zur wirtschaftlichen Nachhaltigkeit der Betriebe insgesamt beiträgt. Ausserdem leisten diese Umverteilungsmechanismen einen Beitrag dazu, die Einkommensunterschiede zwischen den verschiedenen Betriebsgrössen zu verringern.

 

Und weiter?
Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten im Rahmen der Direktzahlungen eine gekoppelte Einkommensstützung gewähren, um die Wettbewerbsfähigkeit, die Nachhaltigkeit oder die Qualität in bestimmten Sektoren und Produktionen zu verbessern, die aus sozialen, wirtschaftlichen oder ökologischen Gründen besonders wichtig sind und auf bestimmte Schwierigkeiten stossen. Neu im Vergleich zum laufenden Zeitraum ist, dass die Unterstützungsstrategie auf der Grundlage des ermittelten und nach Prioritäten geordneten Bedarfs erstellt werden muss. Dies kommt eindeutig den kleineren Betrieben zugute.

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