Starker Aufwind für europakritische Parteien - unter diesem Fazit lassen sich die Ergebnisse der Europawahl aus vielen anderen EU-Ländern zusammenfassen. Aktuelle Prognosen und Zahlen im Überblick:
Trotz Einbussen bestätigen die Unionsparteien in DEUTSCHLAND ihre Vorrangstellung. Sie holten 35,3 Prozent der Stimmen (- 2,6 Punkte), wie der Bundeswahlleiter in der Nacht zum Montag nach Auszählung aller Stimmen mitteilte. Die SPD legte auf 27,3 Prozent zu (+ 6,5). Die Grünen verzeichneten 10,7 Prozent (- 1,4). Die Linke kam auf 7,4 Prozent (- 0,1). Die FDP stürzte auf 3,4 Prozent ab (- 7,6). Die AfD erreichte bei ihrer ersten Europawahl 7 Prozent. Deutschland vergibt 96 Sitze. Die SPD legt laut Hochrechnungen nach ihrem Tief 2009 deutlich zu. Die euroskeptische Alternative für Deutschland (AfD) erreicht bei ihrer ersten Europawahl demnach 7,0 Prozent und damit wohl sieben Sitze im EU-Parlament.
In FRANKREICH ereignete sich ein politisches Erdbeben: Die rechtsextreme Front National (FN) wurde bei der Europawahl erstmals zur stärksten Partei des Landes. Prognosen mehrerer Meinungsforschungsinstitute sehen die europa- und ausländerfeindliche Partei bei 24 bis 25 Prozent, das sind rund 18 Prozentpunkte mehr als noch 2009. Die konservative Oppositionspartei UMP kam bei deutlichen Verlusten auf 20 bis 21 Prozent, die regierenden Sozialisten von Staatschef François Hollande kamen lediglich auf 14 Prozent. Sie rutschten somit noch unter ihr schwaches Ergebnis von vor fünf Jahren.
Zwar sind jegliche Vorabveröffentlichungen von Wählerbefragungen bei Europawahlen in GROSSBRITANNIEN mit 73 Sitzen verboten - ein Trend war aber schon absehbar: Mit Blick auf die parallelen Kommunalwahlen scheint die rechtspopulistische und EU-kritische UKIP deutlich dazugewonnen zu haben. Herbe Verluste erlitten demnach unter anderem die Konservativen von Premierminister David Cameron.
Die irischen Wähler strafen ihre Regierung in IRLAND (11 Sitze) ab. Die konservative Fine-Gael-Partei von Premier Enda Kenny kam Prognosen zufolge nur auf 22 Prozent, die mitregierenden Sozialdemokraten erzielen nur sechs Prozent. Unabhängige Bewerber profitieren, auch die linksgerichtete Sinn-Fein-Partei um Ex-IRA-Mann Gerry Adams legt zu.
Auch in GRIECHENLAND erhielt eine Brüssel-feindliche Partei die meiste Zustimmung: Die Linksallianz Syriza kam laut Hochrechnung auf 26,4 Prozent der Stimmen. Damit lag sie vor der konservativen Nea Dimokratia (ND) von Regierungschef Antonis Samaras mit 23,2 Prozent. Die mit der ND regierenden Sozialdemokraten kamen mit 8,09 Prozent lediglich auf den vierten Platz, noch vor ihnen landete mit etwa 9,3 Prozent die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte.
In ÖSTERREICH konnte die rechtspopulistische FPÖ ihren Stimmenanteil deutlich ausbauen. Dem vorläufigen Ergebnis zufolge kamen die Freiheitlichen auf 20,5 Prozent, knapp acht Punkte mehr als 2009. Dies bedeutet den dritten Platz hinter der konservativen Volkspartei (ÖVP) mit 27,3 Prozent und der sozialdemokratischen SPÖ mit 24,2 Prozent. Die Grünen legen deutlich auf 13,9 Prozent zu, die erstmals angetretene liberale Neos-Partei erreichte 7,6 Prozent.
Auch in DÄNEMARK liegen die Rechtspopulisten in Führung: Die Dänische Volkspartei (DF) kam laut Prognosen auf 26,6 Prozent. Die Rechtspopulisten lagen damit vor den Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt, die 19,1 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnten. Die DF würde damit vier der 13 Sitze Dänemarks im EU-Parlament bekommen.
Wenige Monate vor der Parlamentswahl im September haben die SCHWEDEN ihrer Regierung einen kräftigen Dämpfer verpasst. Einer Hochrechnung zufolge erreichte die konservative «Moderate Sammlungspartei» von Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt nur 13,6 Prozent der Stimmen. Wahlsieger wurden die Sozialdemokraten mit 24,4 Prozent. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten erreichten 9,7 Prozent und sitzen damit wohl zum ersten Mal im Europaparlament, wo dem Land 20 Sitze zustehen.
FINNLAND vergibt 13 Sitze. Die rechtspopulistische Partei Wahre Finnen liegt laut Prognosen bei fast 13 Prozent der Stimmen und käme damit auf zwei Sitze im neuen EU-Parlament. Stärkste Kraft wurde mit rund 22 Prozent die zu den europäischen Konservativen gehörende Nationale Koalitionspartei.
In POLEN schaffte eine bewusst EU-feindliche Partei den Einzug ins Europaparlament. Der Kongress der Neuen Rechten erhielt einer Prognose zufolge 7,2 Prozent der Stimmen und schickt damit vier Abgeordnete ins neue Parlament. Parteichef Janusz Korwin-Mikke hatte angekündigt, er wolle die EU «von innen heraus zerlegen». Sieger des Urnengangs wurde die Partei von Regierungschef Donald Tusk mit 32,9 Prozent. Die liberale Bürgerplattform lag knapp vor der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit mit 31,8 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag den Angaben zufolge bei gerade einmal 22,7 Prozent.
RUMÄNIENS regierende Sozialisten (PSD) haben die Wahl für die 32 Sitze laut Prognosen haushoch gewonnen. Die Partei des Ministerpräsidenten Victor Ponta käme demnach auf 41 bis 43 Prozent der Wählerstimmen. Zweitstärkste Kraft würde demnach die oppositionelle Nationalliberale Partei (PNL) mit rund 14 Prozent. Das in zwei Parteien zersplitterte bürgerliche Lager, das der Europäischen Volkspartei (EVP) nahesteht, käme auf die Plätze drei und vier.
Neuer Negativrekord für die SLOWAKEI: Nur 13 Prozent der Stimmberechtigten gingen laut offiziellem Ergebnis wählen. Die sozialdemokratische Regierungspartei siegt und bekommt vier Sitze im EU-Parlament, die restlichen neun verteilen sich auf sieben Splitterparteien.
Wie erwartet siegt in SLOWENIEN die oppositionelle SDS-Partei. Sie bekommt laut dem TV-Sender RTV drei der acht Parlamentssitze des Landes. Eine konservative Liste habe demnach zwei Mandate erzielt, je einen Abgeordneten stellen die Rentnerpartei, die Sozialdemokraten und eine Bürgerplattform.
Gegen den Strom schwammen die NIEDERLÄNDER, die bereits am Donnerstag wählten. Laut einer am Wahlabend veröffentlichten Prognose erlitt die EU-feindliche Freiheitspartei PVV eine klare Niederlage. Die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders büsste knapp fünf Prozentpunkte gegenüber 2009 ein und erreichte 12,2 Prozent der Stimmen. Damit wurde sie nur drittstärkste Kraft nach der proeuropäischen Zentrumspartei D66 und den Christdemokraten der CDA mit 15,6 beziehungsweise 15,2 Prozent der Stimmen.
In LUXEMBURG haben die drei Regierungsparteien Stimmen verloren. Hingegen verbuchte die oppositionelle Christlich-Soziale Volkspartei (CSV) des einstigen Regierungschefs Jean-Claude Juncker einen Stimmengewinn von 6,3 Prozent. Insgesamt kam sie auf 37,7 Prozent und stellt damit 3 der 6 EU-Abgeordneten des Grossherzogtums.
Als Protestwahl nutzten die Menschen in PORTUGAL die europäische Abstimmung: Die oppositionellen Sozialisten konnten einen klaren Sieg einfahren. Sie erhielten vorläufigen Ergebnissen zufolge 31,58 Prozent der Stimmen. Die Regierungskoalition von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho, die aus seiner konservativen PSD und der rechtskonservativen Partei CDS-PP besteht, kam nur auf 27,91 Prozent.
In SPANIEN erhielten die etablierten Parteien einen Denkzettel und erlitten herbe Verluste. Die regierende Volkspartei (PP) kam auf 16 Sitze im EU-Parlament (vorher 24), die Sozialisten entsenden nun 14 Parlamentarier (vorher 23). Profitieren konnten von der Schwäche der grossen Parteien vor allem linke Randparteien.
In ITALIEN setzte sich die Partei des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi an die Spitze. Die Demokratische Partei (PD) kam laut Hochrechnungen auf 43 Prozent. Platz zwei errang demnach die euroskeptische Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo mit 21 Prozent. Seine Partei will die Italiener in einer Volksabstimmung über den Verbleib in der Eurozone abstimmen lassen.
In UNGARN fuhr die rechtsgerichtete Fidesz-Partei von Regierungschef Viktor Orban mit 51,5 Prozent der Stimmen einen haushohen Wahlsieg ein. Damit wird sie 12 der 21 Sitze Ungarns im Europaparlament einnehmen. Die rechtsextreme und ausländerfeindliche Partei Jobbik erzielte 14,7 Prozent der Stimmen (drei Mandate), sechs Prozentpunkte weniger als bei der Parlamentswahl im April.
Die oppositionelle bürgerliche GERB gewinnt in BULGARIEN mit klarem Vorsprung. Sie erhielt laut Prognose 28,6 Prozent der Stimmen, wie das Meinungsforschungsinstitut Gallup mitteilte. Die regierenden Sozialisten kamen demnach nur auf 19,8 Prozent. Die bisher in Strassburg vertretene nationalistische Partei Ataka wird den Sprung ins EU-Parlament diesmal wohl verfehlen. Im ärmsten EU-Land, dem 17 Sitze zustehen, gab es erneut Vorwürfe von Stimmenkauf und Wahlmanipulation.
Laut einer ersten vorläufigen Prognose gewinnt der EU-freundliche Einheitsblock von Regierungschefin Laimdota Straujuma in LETTLAND (8) klar. Das vor den Wahlen favorisierte oppositionelle Harmoniezentrum käme demnach auf Platz zwei, vor den beiden anderen Mitte-rechts-Regierungsparteien. Europakritik ist in Lettland kaum zu sehen. Die Wahl ist ein Stimmungstest für die Parlamentswahl im Oktober.
Nur vier Monate nach seinem Amtsantritt hat Ministerpräsident Bohuslav Sobotka in TSCHECHIEN (21) eine Wahlschlappe erlitten. Seine sozialdemokratische CSSD landete laut tschechischem Statistikamt mit 14,2 Prozent nur auf dem dritten Platz. Stärkste Kraft wurde der Koalitionspartner ANO des Grossunternehmers Andrej Babis mit 16,1 Prozent. Die Beteiligung erreichte zehn Jahre nach dem EU-Beitritt Tschechiens mit 18,2 Prozent einen neuen Tiefpunkt.
Erste inoffizielle Schätzungen sehen die Labour Partei von Regierungschef Joseph Muscat (PL) in MALTA (6) deutlich vorn. Die Partei kam demnach auf mehr als die Hälfte der Stimmen. Für die grösste Oppositionspartei, die konservative Nationalistische Partei (PN), hätten rund 40 Prozent gestimmt. 75 Prozent der Wahlberechtigten gingen in Malta an die Urne.
In ZYPERN mit seinen sechs Sitzen zeichnet sich ein deutlicher Sieg für die proeuropäische konservative Partei Demokratische Gesamtbewegung (DISY) ab. Nach Auszählung von 90 Prozent der Stimmen kommt sie auf knapp 38 Prozent. Zweitstärkste Kraft wird die Linkspartei AKEL mit rund 27 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag ersten Angaben zufolge deutlich unter 50 Prozent.
Noch offen ist der Ausgang in BELGIEN (21 Sitze), ESTLAND (6), KROATIEN (11) und LITAUEN (11).