Markus Ritter, Präsident des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV), hat bei der SVP-Initiative agronomische Einwände.
«Schweizer Bauer». Was haben Sie sich beim Text der SBV-Volksinitiative überlegt?
Markus Ritter: Wenn die Schweizer Landwirtschaft eine Initiative startet, muss sie inhaltlich so gut sein, dass wir auch die Volksabstimmung gewinnen können. Mit einem neuen Artikel 104a wollen wir die produzierende Landwirtschaft stärken. Wichtig ist, dass man mit einer Initiative ein klares Ziel erreichen kann. Das ist bei uns die Stärkung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus nachhaltiger inländischer Produktion. Dies soll mit wirksamen Massnahmen umgesetzt werden, insbesondere mit dem Schutz des Kulturlandes.
Die Inlandversorgung «stärken» – das heisst, der Bund soll mehr dafür tun, als er heute tut. Wie könnte das aussehen?
Wir wollen ganz konkrete Punkte erreichen. Die wirtschaftliche Situation in der Produktion muss stimmen, das heisst, sie muss deutlich verbessert werden. Ein funktionierender Grenzschutz gehört dazu, ebenso die Forschung, aber auch die Bildung und eine Qualitätsstrategie mit erfolgreicher Vermarktung. Wir werden den Initiativtext mit 5 bis 6 Punkten ergänzen, die wir begleitend kommunizieren werden.
Sie werden also noch konkretisieren, was der Initiativtext auslösen soll?
Genau. Uns ist wichtig, dass der Text verfassungswürdig ist und in der Qualität keine Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen enthält. Was wir nachfolgend auf diesen Ebenen erreichen wollen, werden wir separat transparent machen.
Der SBV sagt, sein Text sei eher mehrheitsfähig als derjenige von der SVP. Aber auch bei Ihnen werden Grenzöffner und Ökologievertreter Widerstand leisten.
Mit einem gewissen Widerstand aus einigen Kreisen muss man sicher rechnen. Aber wir sind überzeugt, in der Bevölkerung eine Mehrheit finden zu können. Wir haben unseren Initiativtext schon mit verschiedensten Kreisen diskutiert und sind auf viel Zustimmung gestossen. Das ist positiv.
Beim SBV-Text ist von «Kulturlandverlust» die Rede. Nehmen Sie damit nicht bereits hin, dass er weitergeht?
Nein. Wir sind der Meinung, dass der Bund bereits heute verpflichtet ist, den Verlust deutlich einzudämmen. Aber es braucht ein zusätzliches Element. Der Schutz des Kulturlandes ist die wichtigste Massnahme, die auch in den Initiativtext gehört. Beim Bauen müssen wir andere Wege finden: mehr in die Tiefe, mehr in die Höhe, keine grossflächigen Parkplätze mehr usw.
Am Dienstag stellte die SVP ihren Text vor. Wo sieht der SBV dabei Schwierigkeiten?
Aus fachlicher Sicht möchte ich hier drei Punkte anführen. Erstens wird in Absatz 1 ein «möglichst hoher Selbstversorgungsgrad» gefordert. Das bedeutet, dass wir eine möglichst hohe Kalorienproduktion anstreben. Ob brutto oder netto, ist nicht geklärt im Text. Wenn man weiss, wie die Kalorienberechnung zustande kommt, habe ich Bedenken. Zwei Prozent unserer landwirtschaftlichen Nutzfläche sind mit Zuckerrüben bepflanzt, mit denen wir 14 Prozent des gesamten Kalorienverbrauchs in der Schweiz produzieren können. Auch Getreide und Kartoffeln ergeben sehr viele Kalorien pro Hektare. Bei Fleisch und Milch hingegen resultieren pro Hektare deutlich weniger Kalorien. Für einen möglichst hohen Selbstversorgungsgrad müsste man folglich auf allen Flächen, die irgendwie ackerbaulich genutzt werden können, Zucker, Kartoffeln und Getreide anbauen und dafür die Produktion von Fleisch und Milch deutlich reduzieren. Ich weiss nicht, ob die Schweizer Bauern das wollen.
Aber das wollen die SVP-Initianten ja kaum, Samuel Graber etwa ist Kälbermäster.
Der Selbstversorgungsgrad ist eine sehr komplexe Grösse, die rein kalorienbasiert ist. Ich denke auch, dass eine reine Betrachtung von dieser Seite für die Schweizer Fleischproduzenten gefährlich ist.
Ihr zweiter Kritikpunkt?
Im zweiten Absatz steht: «Der Bund sichert zu diesem Zweck die notwendige landwirtschaftliche Nutzfläche.» Wenn wir jetzt den Anbau von Zuckerrüben, Kartoffeln und Getreide massiv ausbauen würden, könnte man mit viel weniger Fläche gleich viele Kalorien produzieren wie heute. Das Ziel wäre erreicht, der Rest der Fläche könnte theoretisch für andere Zwecke, sei es für die Ökologie oder fürs Überbauen, genutzt werden. Der Kulturlandschutz würde folglich deutlich abnehmen. Das ist nicht in unserem Interesse, wir wollen den Kulturlandschutz erhöhen.
So käme man bei einzelnen Produkten auf weit über 100 Prozent Inlandversorgung. Das wäre doch nicht der Sinn der Initiative?
In den Selbstversorgungsgrad werden auch die exportierten Kalorien gerechnet. Es ist ein reiner Vergleich der in der Schweiz produzierten Kalorien zu den in der Schweiz verbrauchten Kalorien.
Und die dritte Kritik?
Sie wissen, dass der SBV den Grenzschutz keinesfalls weiter abbauen will. Er bringt 700 Mio. Fr. in die allgemeine Bundeskasse, und wir Bauern können mit dem Grenzschutz um 2,6 Mrd. Fr. höhere Erlöse für unsere Produkte erzielen. Und jetzt steht in Absatz 3 der Initiative: «Muss der Bund die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus gesamtwirtschaftlichen Interessen weiter liberalisieren, so beschränkt er sich auf das notwendige Ausmass und trifft zur Aufrechterhaltung der inländischen Produktion Kompensationsmassnahmen.» Damit würden wir in die Verfassung schreiben, dass wir grundsätzlich mit einem Abbau des Grenzschutzes leben können, wenn Kompensationsmassnahmen getroffen werden – in welcher Form auch immer. Mit dieser Formulierung würden wir geradezu eine Einladung an unsere politischen Gegner versenden, den Grenzschutz abzubauen. Das wollen wir nicht.
Der zukünftige Selbstversorgungsgrad hängt auch von der Zuwanderung ab. Die SVP ist bereit, die Personenfreizügigkeit aufzukünden. Der SBV nicht?
Nein. Wir haben erhebliche Interessen, gerade im Gemüse- und Obstbau, die Arbeitskräfte weiterhin rekrutieren zu können.
Ist der SBV mit der SVP noch im Gespräch?
Wir sind weiterhin in engem Kontakt. Es gilt nun, dringend die Wirkung des Inhaltes der Initiative zu diskutieren. Unser Ziel bleibt eine Initiative, mit der wir gemeinsam Erfolg haben. Wir können uns aber keine Fehler leisten, denn es geht um die Zukunft unserer Bauernfamilien.