Sowohl von der Kontingentseinführung als deren Aufhebung profitierten die mengenorientierten Bauern. Wo bleibt da die Fairness und die Moral?, mag man sich fragen. Jetzt gelte es nach vorne zu schauen, raten einige.
Nach über 30 Jahren Milchkontingentierung entliess der Bund 2009 die Bauern wieder in die Freiheit. Beim schrittweisen Ausstieg bewilligte er befristete Mehrmengen, und die Produktion wurde hochgefahren – zum Teil auch rechtswidrig.
Heute kämpft die Schweiz mit einer Überproduktion, die sich im Butterberg widerspiegelt, der jetzt mit Geldern aus dem Marktentlastungsfonds der Branchenorganisation Milch (BOM) im Ausland entsorgt werden muss. Und seit letztem Freitag ist klar, die Mehrmengenmelker werden für die Überschussverwertung nicht stärker zur Kasse gebeten.
Vergangenes ruhen lassen
Jetzt gelte es, Vergangenes ruhen zu lassen, nach vorne zu schauen und die wirklichen Probleme zu lösen, heisst es vonseiten der BOM immer wieder.
Nach vorne schauen will auch das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW). Sprecher Jürg Jordi ist sich zwar bewusst, dass beim Ausstieg das eine oder andere besser hätte gemacht werden können. Im Grossen und Ganzen sei der Ausstieg aber zufriedenstellend abgelaufen. Das BLW beobachtet die steigende Milchmenge, empfindet diese aber nicht als beunruhigend und sieht schon gar keinen Grund, um einzugreifen. «Wir erwarten, dass die Branche das Mengenproblem selber löst, indem sie die Segmentierung konsequent umsetzt. Überschüsse zu produzieren und mit Mitteln aus einem Entlastungsfonds zu verwerten, macht langfristig keinen Sinn.»
Wo bleibt Fairness?
«Vor einem Jahr beschloss die BOM fast einstimmig, die Mehrmengen verursachergerecht mit zusätzlich 4 Rappen je Kilo zu belasten», blickt Nationalrat und Milchbauer Andreas Aebi (SVP, BE) zurück. Er ist frustriert darüber, dass die BOM-Delegierten jetzt diskussionslos und mit nur wenigen Gegenstimmen davon absehen.
Aebi ist nach wie vor überzeugt, dass jene, welche die Produktion hochgefahren haben und Überschüsse produzieren, bei schlechter Marktlage deutlich mehr zur die Marktentlastung beitragen müssen. Zudem stört er sich an der Fairness, die in der Milchbranche herrscht: «Jene, die Mass gehalten haben, darunter auch viele kleine Bauern, halten sich an die Beschlüsse und bezahlen den ihnen in Rechnung gestellten Rappen ein. Jene aber, die den Butterberg verursachen, weigern sich und setzen sich durch. Ist das fair? Wo bleibt die Moral, wenn die Kleinen den Grossen den Milchpreis stützen?», fragt sich Aebi.
Politik wird sich beraten
Nationalrat Aebi hatte zusammen mit Maya Graf (Grüne, BL), Jakob Büchler (CVP, SG) und Laurent Favre (FDP, NE) den Masshaltern mit der «Motion Aebi» politisch unter die Arme greifen und den Milchmarkt ins Lot bringen wollen. Die Motion steckt im Moment im Ständerat fest. Will Aebi sie nun wiederbeleben? «Ich werde mich mit meinen Mitmotionären an den Tisch setzen und schauen, was wir jetzt machen können», sagt er.
Aebi hofft, dass die BOM wenigstens endlich die Segmentierung korrekt umsetzt, damit die Menge gedrosselt wird. Er appelliert an die Bauern und ihre Organisationen, sich nicht vor den Karren der Verarbeiter spannen zu lassen und sich für ihre Rechte einzusetzen.
Lobag vor Entscheidung
An der BOM-Delegiertenversammlung stimmte die PO Lobag als einzige Organisation geschlossen gegen den Verzicht auf die verursachergerechte Abgabe. Wird sie jetzt als Konsequenz aus der BOM austreten?
«Wie im Dezember 2011 angekündigt, entscheiden unsere Delegierten an der Versammlung von kommendem Freitag, ob die PO Lobag in der BOM bleibt oder nicht. Seit damals hat sich an der Ausgangslage einiges geändert. Bei nüchterner Betrachtung kommen wir heute zum Schluss, dass ein Austritt wenig bis keine Vorteile brächte. Die übrigen grösseren POs haben ihren Verbleib bereits bestätigt, und auch die SMP haben signalisiert, dass es eine Branchenorganisation braucht und sie unter gewissen Bedingungen wieder eintreten werden. Unter diesen Vorzeichen muss ein Alleingang sehr genau geprüft werden. Ich betone aber nochmals, die Delegiertenversammlung hat das letzte Wort in dieser Frage», sagt Christian von Känel, Präsident der PO Lobag