Kurz vor der Europawahl starten EU und USA in die nächste Verhandlungsrunde zum umstrittenen Freihandelspakt. Hoch hergehen dürfte es in Washington eher nicht.
Die Gespräche der Europäischen Union und der USA zur geplanten Freihandelszone gehen am kommenden Montag in die fünfte Runde. Bis zum 23. Mai sollen die Verhandlungen in Washington dauern - ein Durchbruch wird jedoch nicht erwartet. Zumal sich heftiger Widerstand gegen das Abkommen regt. Einwände von Verbraucherschützern, Umweltaktivisten und einigen europäischen Regierungen haben die Planungen ausgebremst.
Seit vergangenem Sommer wird über das Vertragswerk mit dem Namen «Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft» - kurz TTIP - verhandelt. Die Dimensionen sind gewaltig: Mit rund 800 Millionen Menschen entstünde die grösste Freihandelszone der Welt. Schon jetzt sind Europa und die USA die weltgrössten Handelspartner, rund die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung entfällt auf sie.
Während Unterstützer von einer Einigung bis Ende 2014 ausgegangen waren, spätestens aber Anfang 2015, verkündete Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer USA-Reise Anfang Mai, die Verhandlungen würden nicht vor Ende 2015 abgeschlossen.
Bis zu zwei Millionen neue Jobs
Stärkstes Argument der TTIP-Befürworter ist das Wachstum, das durch die Freihandelszone angekurbelt würde. Einige Schätzungen gehen von bis zu zwei Millionen neuen Jobs aus.
Doch bei dem Abkommen geht es nicht nur um den Wegfall von Einfuhrzöllen und anderen Handelshemmnissen, sondern auch um das Festlegen von Produktstandards. Industrie- und Prüfnormen sollen vereinheitlicht werden. Betroffen wären etwa der Automobilsektor, die Pharma- und die Lebensmittelindustrie.
Das ruft auch eine wachsende Zahl von Gegnern auf den Plan. Umwelt- und Verbraucherschützer fürchten, hohe europäische Standards zum Schutz von Bürgern könnten untergraben werden. Als jüngst ein EU-Papier zur «Regulatorischen Kohärenz» durchsickerte, sahen sich 200 Organisationen auf beiden Seiten des Atlantiks zu Protest gezwungen.
Wachstum zulasten von Menschen und Umwelt
«Wir sind zutiefst besorgt, dass TTIP eine abschreckende Wirkung auf die Entwicklung und Implementierung von Gesetzen zum Schutz der Menschen und der Umwelt haben wird», liessen sie die beiden Chefverhandler, EU-Handelskommissar Karel De Gucht und den US-Handelsbeauftragten Michael Froman, wissen.
Die EU-Kommission weist die Kritik zurück und bemüht sich um mehr Transparenz. So liess sie diese Woche ein Treffen live im Internet übertragen, um den Investitionsschutz - einen der umstrittensten Punkte - besser zu erklären. Kritikern zufolge würden diese Klauseln die Möglichkeiten der Regierungen beschneiden, Bürger und Umwelt zu schützen; weil stattdessen Investitionen geschützt wären, könnten Unternehmer Gesetze verhindern, lautet die Sorge.
Öffentliche Ausschreibungen ausschlaggebend?
In Washington dürfte es vor allem um technische Details gehen, etwa zu Fragen des Wettbewerbs oder kleiner und mittelständischer Unternehmen. Oben auf der Agenda stehe der Energiesektor, hitzige Diskussionen erwarte man zur öffentlichen Auftragsvergabe, sagte ein EU-Beamter. Dieser Punkt könne in den Gesprächen ausschlaggebend sein. Die EU will durchsetzen, dass europäische Firmen an öffentlichen Ausschreibungen zumindest der US-Bundesstaaten teilnehmen dürfen, wenn nicht jenen auf staatlicher Ebene.
Der SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Martin Schulz, forderte angesichts all dieser Kontroversen, die Gespräche erst nach der Abstimmung der EU-Bürger am 25. Mai fortzusetzen. Der für Handel zuständige Sprecher der EU-Kommission, John Clancy, lehnte ab: Diese Idee mache «keinen Sinn und wäre nicht im Interesse Europas».
Hürden hüben wie drüben
Auch auf US-Seite gibt es noch Hürden. Das Freihandelsabkommen in Kraft setzen muss der Kongress. Das beschränkt die Verhandlungsführer in ihrem Spielraum, den EU-Partnern konkrete Zusicherungen zu machen. Eine Kongressmehrheit für TTIP ist zudem nicht sicher.
Auch das Europaparlament muss dem Handelsdeal am Ende zustimmen. Und das Zeitfenster ist knapp: In Brüssel ist man skeptisch, dass TTIP im nächsten Jahr abgeschlossen werden könnte. Danach wird es ganz kritisch: 2016 wählen die USA einen neuen Präsidenten.