Letzte Woche lud die OGG Bern zur Vernissage des Buches „Restenlos glücklich“. Um die 100 Personen fanden sich an der Berner Frühlingsmesse BEA ein, um Emotionen zu erleben und Fakten zu hören.
„Genussvoll gegen Food Waste“. Unter diesem Motto geht die OGG Bern seit Anfang 2014 gegen die Lebensmittelverschwendung vor. Als er im Herbst 2013 die OGG-Geschäftsführung übernommen habe, habe er Food Waste als eine gesellschaftliche Herausforderung erkannt, welche die OGG Bern angehen könnte. So berichtete OGG-Geschäftsführer Franz Hofer. Die OGG, die auch den „Schweizer Bauer“ verlegt, habe schon immer seit ihrer Gründung im Jahr 1759 – Herausforderungen rund um Ernährungssystem angepackt. „Früher hat sie Hungersnöte bekämpft, jetzt sieht es anders aus“, so Hofer.
Stefanie Neuhaus, die bei der OGG ein Praktikum absolvierte, hat Hofer gegenüber dann betont: „45% der Lebensmittelverschwendung entsteht in den Privathaushalten.“ Sie sei es gewesen, die die Idee zum Buch hatte, das Rezepte für die Verwertung von Resten und viele Hintergrundinformationen zum Thema „Food Waste“ enthält. „Das Buch soll Spass machen und nicht besserwisserisch sein“, sagte Hofer. Das Zielpublikum seien junge, städtische Familien, die bereits Kinder haben oder bald welche bekommen werden.
„Food Waste rührt von tiefen Lebensmittelpreisen her“
Franziska Teuscher (Grüne), Gemeinderätin der Stadt Bern, beehrte die OGG mit einem Grusswort. „Dass derart viele Lebensmittel weggeworfen werden, ist ein weltweites Thema. Das sollte es nicht geben“, führte sie in eindringlichen Worten aus. Food Waste sei eine immense Verschwendung von Energie und Produktionsfläche. „Warum haben Lebensmittel keinen Wert mehr?“, fragte sie sinnierend. Der Preis der Lebensmittel sei in den letzten Jahrzehnten laufend billiger geworden. Für viele Personen seien die Ausgaben für Lebensmittel im Haushaltsbudget ein fast vernachlässigbarer Posten. Hinzu komme, dass die Regale bei den Grossverteilern immer voll seien und das Angebot so gross geworden sei, dass die Auswahl zur Qual werde.
Für die Stadt Bern sei die Vermeidung von Food Waste ein sehr wichtiges Thema. An den städtischen Mittagstischen werde darauf geachtet, dass die Kinder nur so viel auf den Teller schöpfen, wie sie essen können. Und es könne auch zweimal in der Woche etwas Ähnliches zu essen geben, weil Resten verwertet würden. Si habe sich deshalb sehr gefreut, so Teuscher, als sie hörte, dass die OGG ein Buch zum Thema herausgeben werde. „Solche Kochbücher sind wichtig für die Sensibilisierung. Und zusätzlich ist es ein sehr schön gestaltetes Buch!“ Die No-Food-Waste-Philosophie von Koch Mirko Buri begeistere sie. In Anspielung auf den Buch-Titel ist Teuscher überzeugt: „Restenlos glücklich macht restlos glücklich!“
Wenn nicht eine Polizei für Kühlschränke, dann immerhin…
Nationalrätin Isabelle Chevalley (Grünliberale) sprach an der Vernissage zum Thema „Was ist die Rolle der Politik?“ Food Waste sei ja ein Problem vor allem von uns allen. „Wir können ja nicht die Polizei schicken, um in die Kühlschränke zu schauen, auch wenn ich das möchte“, sagte sie lachend. Leider gebe es politisch keine Mehrheiten für Anti-Food-Waste-Kampagnen. Sie habe für Parlamentarier schon Apéros aus Lebensmittel“abfällen“ organisiert – ebenso solche mit Insekten-Food, für dessen umfassende Zulassung sie kämpft.
Chevalley macht sich stark für einen Finanzierungsmechanismus für die Weiterverwertung von Lebensmittel“abfällen“. Denn dafür müssten die Konsumenten aufkommen. Auch sollten Lebensmittelresten nicht mehr verbrannt werden. Wenn ein umfassendes Verbot schwer zu realisieren, so sollte diese unsinnige Vergeudung zumindest reduziert werden. Sie berichtete von einer Parlamentarischen Initiative, die sie eingereicht habe und die beide Kommissionen bereits passiert hätten. „Lebensmittel wegzuwerfen, ist idiotisch“, so Chevalley. Die Politikerin gratulierte allen, die beim Buch mitgeholfen haben. Es sei „nicht nur ein Öko-Projekt, sondern auch ein schönes und nützliches Buch“.
„Weniger tierische Produkte bestellen“
Claudio Beretta, EHT-Doktorand und Präsident des Vereins foodwaste.ch, nannte in seinem Kurzvortrag Zahlen. Für die Herstellung der in der Schweiz verschwendeten Lebensmittel werde zweimal die Fläche des Kantons Zürich verwendet. „Gleichzeitig wird pro Sekunde ein Quadratmeter Boden überbaut. Es ist klar, dass wir so nicht weitermachen können.“ Haushalte in der Schweiz gäben pro Jahr 1000 bis 2500 Franken aus für Lebensmittel, die verschwendet würden. Schweizweit würden so Milliarden in die Verschleuderung von Ressourcen und die Verschlimmerung von Umweltproblemen investiert.
Das sei die finanzielle Seite, aber wohl wichtiger sei die ethische Frage: „Können wir uns das leisten, wenn gleichzeitig 1/7 der Weltbevölkerung an akutem Hunger leidet und 2/7 an verstecktem Hunger?“ Er schlug vor, die Lebensmittelverschwendung in der Schweiz bis 2020 um einen Drittel zu reduzieren. Konkret schlug er vor: „Statt sich am Abend in einer Bäckerei über eine reduzierte Auswahl zu beklagen, sollte man den Bäcker dafür loben!“ Und im Restaurant soll man kleinere Portionen verlangen und nicht zu viel tierische Produkte bestellen. Mit weniger tierischen Produkten erziele man einen Rieseneffekt auf den Ressourcenverbrauch.
Begeisterte Gästebuch-Einträge in der Äss-Bar
Sandro Furnari erzählte, wie er zusammen mit Mitstreitern die Äss-Bar in Zürich ins Leben gerufen habe. Dort wird angeboten, was Bäckereien vom Vortag übrig haben. Die OGG hat mitgeholfen, die Äss-Bar in die Stadt Bern zu bringen. Furnari berichtet von den Anfängen in Zürich: „Wir wussten nicht, ob es eine Akzeptanz für Lebensmittel von gestern gibt.“ Der Erfolg der Äss-Bar mache aber deutlich: „Die Gesellschaft akzeptiert Food Waste nicht mehr. Da ist ein gesellschaftlicher Wandel im Gang.“ Die vielen, sehr positiven, ja begeisterten Einträge im Gästebuch der Äss-Bar würden die Crew jeden Tag von neuem motivieren. „Lebensmittelabfälle haben einen Wert, sie sind eine Ressource“, so lautet sein Motto. Dabei stehe man aus seiner persönlichen Sicht erst am Beginn einer Entwicklung. „Wir werden noch viele Ideen erleben, Food Waste zu vermindern“, prophezeite Furnari am Ende seines Kurzvortrags.
Salat-Panna-Cotta gefiel den Gästen
Hanni Zenger aus Habkern BE, Landfrau, Gewerbefrau und OGG-Vizepräsidentin, blickte im letzten Programmpunkt der Vernissage auf den Projektverlauf zurück und dankte allen Beteiligten. „Ohne Projektleiterin Irène Jungo gäbe es dieses Buch nicht“, betonte sie. Sie dankte „1000fach“ im Namen des Vorstands und des ganzen Buchteams. Jungo sei das Salz im Projekt gewesen. Auch OGG-Kommunikationschef Stefan Bosshardt wurde für seine tatkräftige Unterstützung in der Schlussphase der Buchproduktion von Zenger mit einer Rose geehrt. Sie selbst, so Zenger, habe das Salat-Panna-Cotta – ein Rezept aus dem Buch - bereits für Gäste gekocht. Alle seien begeistert gewesen!