Dieses Rind wurde am 2. September 2025 auf der Alp du Mont Tendre im Waadtländer Jura nach einem Wolfsriss gefunden. Es lebt zum Zeitpunkt der Aufnahme noch, mit den Augen blinzelt das Rind noch.
zvg
Die kleine Kammer überwies am Donnerstag zwei entsprechende Vorstösse mit jeweils deutlichem Mehr. Nun ist der Nationalrat am Zug.
44 Rinder gerissen
«Das Ökosystem Alpwirtschaft gerät aus den Fugen», sagte Motionärin Esther Friedli (SVP/SG) am Donnerstag während der Ratsdebatte. Bis Ende August hätten Wölfe beispielsweise in der Waadt 44 Rinder gerissen. Zahlreiche Tiere seien im Sommer deshalb vorzeitig von Alpen abgezogen worden. «Ich habe einige Videos erhalten, die kaum zu ertragen waren. Damit ist das eingetreten, auf das viele von uns bereits vor einigen Jahren hingewiesen haben», führte sie aus.
Nach einem Rückgang der Risse in den Jahren 2023 und 2024 seien im Alpsommer 2025 wieder mehr Nutztiere gerissen worden. «Und dies, obwohl die Herdenschutzmassnahmen immer besser und intensiver werden. Doch die Wölfe sind intelligent und passen sich den neuen Gegebenheiten an», rief Friedli in Erinnerung.
«An Ursachen ansetzen»
Man befinde sich in einer Spirale. «Wir können die Herdenschutzmassnahmen nicht immer mehr verschärfen und nach oben treiben. Dies ist sehr teuer, mit viel Aufwand verbunden, und es ist auch nicht zum Wohle der betroffenen Nutztiere», führte sie aus. In der Nacht seien die Tiere in Pferchen eingesperrt, am Morgen müssten sie weite Wege. Die Tiere seien ständig in Unruhe und gestresst. Und trotz der bisherigen Regulierung sei der Wolfsbestand in der Schweiz immer noch am Wachsen, so Friedli. «Ende August zählten wir in unserem Land, teilweise über die Landesgrenzen hinweg, etwa 40 Wolfsrudel», sagte sie.
Die 43 eidgenössischen Jagdbanngebiete befänden sich denn auch nicht im Mittelland, sondern in den Alpen, wo auch die Wölfe aktiv seien. Diese Gebiete erstrecken sich auf einer Gesamtfläche von rund 150’000 ha. «Die aktuelle Gesetzgebung verhindert den Abschuss von geschützten Tieren wie Wölfen, während der Abschuss von ungeschützten Tieren wie Hirschen erlaubt werden kann», so Friedli. Man müsse daher an den Ursachen ansetzen: «Wir müssen die schadstiftenden Wölfe besser regulieren können», ist für Friedli klar.
Mit ihrem Vorstoss will sie erwirken, dass Wölfe, für die eine ordentliche Abschussbewilligung vorliegt, auch in Jagdbanngebieten geschossen werden dürfen. Dies aber nur dann, wenn es für den Schutz der Lebensräume, für die Erhaltung der Artenvielfalt, zur Hege oder zur Verhütung von übermässigen Wildschäden notwendig ist.
Alpwirtschaft «unter enormen Druck»
«Die Alpwirtschaft steht innerhalb der Jagdbannzone unter einem enormen Druck», sagte auch FDP-Ständerat Benjamin Mühlemann (GL). Im Kanton Glarus Bei würden die eidgenössischen Jagdbanngebiete rund 18 Prozent der gesamten Kantonsfläche bedecken, führte es aus. Das führt zu Problemen. Er führte es anhand des Kärpfgebiets aus, wo sich auch ein Rudel aufhält.
«Das Kärpfgebiet reicht bis mitten ins Tal hinunter, vom Grosstal bis ins Sernftal. Dieses Reservat reicht bis praktisch an die Dorfränder des gesamten Glarner Hinterlandes», sagte Mühlemann. Einerseits könnten sich die Wolfsrudel gefahrlos den Siedlungsgebieten nähern. Die sei für die Bevölkerung sehr unangenehm gewesen. «Andererseits können sich die Tiere natürlich wunderbar ins Jagdbanngebiet zurückziehen, wo sie dann für jede Regulierung quasi unerreichbar sind», machte Mühlemann deutlich.
Der Bundesrat könne mit dem Motion Friedli deshalb eine Lücke schliessen. «Wird das Totalverbot einer Regulierung von Wölfen in den Jagdbanngebieten aufrechterhalten, so werden die Kantone mit grossen Flächen an eidgenössischen Jagdbanngebieten nie genügend Tiere entnehmen und nie das Ziel einer Stabilisierung der Wolfspopulation erreichen können», so Mühlemann weiter.
Kantone brauchen mehr Zeit für Umsetzung
Mathilde Crevoisier Crelier (SP/JU), die den Vorstoss ablehnte, mahnte, dass es noch viele «Kinderkrankheiten» beim Herdenschutz gebe. Die Kantone brauchten mehr Zeit, um die Vorgaben des Bundes umzusetzen. Die Effekte der bisherigen Regulierung seien noch nicht alle erfasst – es brauche daher zuerst eine Rückschau, bevor man die Gesetzgebung verschärfe. Tatsächlich sind sich Experten uneins über die Wirkung präventiver Wolfsabschüsse.
Entgegen der Empfehlung der Mehrheit ihrer vorberatenden Kommission für Umwelt, Raumplanung, Verkehr und Energie (Urek-S) sowie einem Teil der Ratslinken votierte die kleine Kammer am Donnerstag mit 33 zu 10 Stimmen bei einer Enthaltung für den Vorstoss von Friedli.
Problemwölfe das ganze Jahr schiessen
Neben der Möglichkeit für den Wolfsabschuss in Jagdbanngebieten nahm die kleine Kammer auch einen Vorstoss von Pascal Broulis (FDP/VD) für den Abschuss von sogenannten «Problemwölfen» mit deutlichem Mehr an. Nur sechs Ratsmitglieder stimmten dagegen, vier enthielten sich.
«Problemwölfe» sollen laut Broulis› Vorstoss abgeschossen werden dürfen, wenn sie erheblichen Schaden an Nutztieren anrichten oder Menschen gefährden – auch wenn sie zu einem Rudel gehören oder sich im Streifgebiet eines Rudels aufhalten. «Was diese Raubtiere anrichten, ist für die betroffenen Nutztierhalterinnen und Nutzierhalter dramatisch, selbst wenn sie die geforderten Schutzmassnahmen ergriffen haben», so Broulis.
Ein Wolfsrudel besteht meistens aus Mutter, Vater und den Kindern. Die Eltern, Rüde und Fähe, leben in einer monogamen Partnerschaft und bleiben ein Leben lang zusammen.
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Es sei «nicht zu fassen», dass man bis zum 1. Juni warten müsse, um solche Problemwölfe bekämpfen zu können. Er fordert mit seiner Motion, dass Problemwölfe, auch solche, die einem Rudel angehören oder sich im Streifgebiet eines Rudels aufhalten, das ganze Jahr geschossen werden dürfen, wenn sie erhebliche Schäden an Nutztieren anrichten. «Und nicht nur, wenn sie Menschen gefährden», sagte Broulis. Wölfe im Rudel können vom 1. Juni bis zum 31. Januar reguliert werden.
Die Gegnerinnen und Gegner des Vorstosses sahen hier insbesondere die Definition des Begriffes «Problemwolf» als problematisch an: «Wir haben eine andere Ausgangslage in den Alpen und Voralpen», sagte Fabien Fivaz (Grüne/NE). Als Nächstes muss der Nationalrat über die beiden Vorstösse befinden.
Bundesrat in Sorge wegen Nutztierrissen
Die Landesregierung hatte sich im Vorfeld gegen eine Verschärfung der Wolfsregulierung in der Jagdgesetzgebung ausgesprochen. Der Bundesrat hat die Motionen zur Ablehnung empfohlen, weil er zuerst schauen will, wie sich die Massnahmen jetzt auswirken.
Dennoch zeigte sich Umweltminister Albert Rösti erfreut über das Signal des Parlaments, zusätzliche Massnahmen zu ergreifen. Denn auch er mache sich Sorgen, dass «trotz der zum Teil massiven Eingriffe» bei der Wolfsregulierung die Probleme nach wie vor da seien. Es sei auch erstaunlich, dass jetzt grössere Tiere wie Rinder angegriffen würden, sagte Rösti am Donnerstag im Rat.
«Möchte nicht, dass Menschen angegriffen werden»
«Dass wir hier korrigieren müssen, ist für uns klar, glaube ich», sagte der Umweltminister. Rösti erwähnte die aktuelle Periode. Der Bund habe 22 Gesuche bei 36 Rudeln erhalten. «Das heisst, wir greifen aktuell in mehr als die Hälfte der Rudel ein – sei es mit einer Totalentfernung oder einer teilweisen Entfernung. Es gibt noch offene Gesuche, die in Bearbeitung sind, aber mit einer Ausnahme alle bewilligt wurden», sagte er.
Problemwölfe in Rudeln könnten in Ausnahmefällen und vor allem bei unmittelbaren Gefährdungen auch ohne Bewilligung des Bundes geschossen werden, sagte Rösti. «Ich möchte nicht die Situation erleben, dass irgendwo ein Kind oder sonst eine Person angegriffen wird, wie wir es jetzt aus dem Ausland verschiedentlich gehört haben. Das ist schlicht und einfach nicht auszuschliessen. Das sind Tiere», mahnte er an.
Beim Amtsbeginn von Bundesrat Rösti gab es in der Schweiz 30 Rudel. «Durch die Massnahmen hätte ich erwartet, dass es unterdessen etwa 25 wären, aber wir stehen jetzt bei 36 Rudeln. Das zeigt das Problem, das macht mir auch Sorgen», führte er aus.
Taten statt Worte sind hier gefragt. Mit Papier kann man keine Wolfsregulierung machen.