Der Rückgang der Gletscherzungen und ihr Zerfall gingen damit unvermindert weiter, hiess es von der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) am Dienstag. In den Vorjahren 2022 und 2023 verschwanden insgesamt 10 Prozent des Schweizer Gletschervolumens, so viel wie nie zuvor. «Auch der diesjährige Verlust von rund 2,5 Prozent liegt über dem Mittelwert des letzten Jahrzehnt», heisst es in der Mitteilung.
38% des Volumens verloren
Seit dem Jahr 2000 haben die Gletscher in der Schweiz damit 38 Prozent ihres Volumens verloren, wie aus dem detaillierten Bericht zur Gletscherschmelze des Schweizer Gletschermessnetzes (Glamos) hervorgeht. So wiesen die Gletscher im Jahr 2000 insgesamt ein Volumen von 74,9 Kubikkilometern auf. Heute sind es noch 46,4 Kubikkilometer.
Nach den Rekordschneemengen im Winter und dem kühlen und regnerischen Frühling hätten die Forschenden lange auf eine Verschnaufpause für die Gletscher gehofft, sagte Matthias Huss, der Leiter von Glamos, zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Der Glaziologe forscht an der ETH Zürich. Der Winter 2023/2024 war beidseits der Alpen durch einen Kontrast zwischen Berg und Tal geprägt: Unterhalb 1400 m.ü.M. waren die Schneehöhen klar unterdurchschnittlich, oberhalb 2200 m.ü.M. stark überdurchschnittlich. Verantwortlich dafür waren grosse Niederschlagsmengen bei relativ hohen Temperaturen während des ganzen Winterhalbjahres
In mehreren Schüben gelangten im Winter und Frühling 2024 grosse Mengen an Saharastaub in die Schweiz. Der Staub sammelte sich auf der Schnee- und Gletscheroberfläche an, was dazu führte, dass die Sonnenstrahlung über den Sommer stärker absorbiert wurde. Dies beschleunigte die Schmelze deutlich.
M. Huss
Rekordschmelze im August
«Dass dann doch so viel geschmolzen ist, hat uns erstaunt», sagte Huss. Zu schaffen machten den Gletschern die heissen Sommermonate Juli und August. Zudem beschleunigte Saharastaub, der die Schneeoberfläche färbte, die Schmelze. Im August 2024 verloren die Gletscher in der Schweiz so schnell Eis wie noch nie zuvor seit Messbeginn.
So wurden laut SCNAT auf dem Claridenfirn GL Mitte Mai sechs Meter Schnee gemessen, der bis im September komplett verschwand. Gletscher unterhalb von 3000 Metern über Meer, wie der Glacier du Giétro VS, der Glacier de la Plaine Morte BE, und der Silvrettagletscher GR wiesen Verluste von bis zu zwei Metern Eisdicke auf. Für Gletscher mit Südeinfluss, wie den Ghiacciaio del Basòdino TI, fiel der Verlust dank sehr viel Schnee im Winter etwas weniger stark aus.
Im Durchschnitt haben die Gletscher in der Schweiz im Jahr 2024 rund 1,4 Meter an Dicke verloren, wie aus dem Bericht hervorgeht.
Wichtig für Wasserversorgung
Trotz des Klimawandels dürften laut Huss künftig auch wieder Jahre kommen, in denen die Gletscher weniger stark schmelzen. Die Gletscherschmelze in den letzten Jahren habe die Erwartungen übertroffen. «Die meisten Gletscher werden in 80 Jahren wohl verschwunden sein», sagte Huss. «Die grössten Gletscher in der Schweiz sind aber noch rettbar», betonte der Forscher. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass Klimamassnahmen weltweit umgesetzt würden.
Wichtig ist dies laut Huss nicht nur, weil mit dem Gletscherschwund das Alpenpanorama verändert, sondern auch, weil die Wasser- und Energieversorgung von den Gletschern abhängig ist. So führe der Rückgang der Gletschervolumen dazu, dass die Gletscher auch bei hohen Schmelzraten nicht mehr hohe Mengen an Schmelzwasser lieferten, hiess im Glamos-Bericht. Dies stelle zukünftige Herausforderungen für das Management der Wasserressourcen dar, insbesondere während Dürreperioden.
Sicher nicht optimal. Aber besser, als wenn die Gletscher wieder bis München reichen würden, wie auch schon. Dann wären wir alle tiefgefroren.