«Schweizer Bauer»: Einige Landwirte haben letzte und diese Woche Gras gemäht, viele jedoch warten auf ein nächstes Schönwetterfenster, um Heu produzieren zu können. Können Sie eine Prognose machen, mit was für Wetter in den nächsten 10 Tagen zu rechnen ist?
Ja, wir haben verschieden Quellen und Rechnungsmodelle zur Verfügung, um Prognosen stellen zu können. Im Moment zeigen uns alle Modelle, dass das Wetter bis Monatsmitte nicht stabil ist. Bei Prognosen zur Heuproduktion schauen wir nicht nur die Trockenheit und Sonneneinstrahlung an, sondern auch die Temperatur. In den nächsten Tagen macht vor allem die Temperatur nicht mit. An den meisten Orten im Mittelland steigen die Temperaturen kaum über 20 Grad.
Was raten Sie Landwirten bei der Entscheidungsfindung, ob sie mähen sollen oder nicht?
Ganz klar, warten und Geduld haben. Einfacher gesagt als getan. Ich weiss, dass das Gras wächst und die Landwirte wollen die guten Nährwerte behalten und die Bestände nicht überaltern lassen. Aber in den nächsten Tagen ist kein Heuwetter, auch im Mittelland nicht. Die Situation lässt sich nicht schönreden. Wer mit dem Gedanken spielt, Heu produzieren zu können, geht das Risiko ein am Schluss nur noch Mist zu haben. Das Wetter eignet sich höchstens dazu Silo zu machen.
Können Sie die aktuelle Wetterlage etwas einordnen im Vergleich zu anderen Jahren?
Vorweg möchte ich sagen: Jedes Jahr ist mit seiner Abfolge der Wetterlage ein Individuum. Viele Bauern vergessen heutzutage, dass die Monate Mai und Juni sehr regenreich sind und mit durchzogenem Wetter und Temperatureinbrüchen zu rechnen ist. Nicht ohne Grund werden in den Bauernregeln im Mai die «Eisheiligen» und im Juni die «Schafskälte» erwähnt. Laut Klimatologie ist in diesen beiden Monaten jeweils an 16 von 30 beziehungsweise 31 Tagen, mit 1mm oder mehr Regen zu rechnen. Die Gretchenfrage ist dann halt, wann der Regen fällt. An und für sich passt das Wetter und ist nicht aussergewöhnlich für die Jahreszeit. In diesem Jahr haben wir eine regenreiche Vorgeschichte, während es im letzten Jahr in den Vormonaten trocken war. Dieses Jahr haben wir mehr Regen als im langjährigen Mittel. Wir haben in den vergangenen Jahren die ganze Bandbreite an Wettersituationen und Kombinationen schon gehabt. Es hat immer schon die ganze Bandbreite gegeben. Der Mensch ist sich in der heutigen Zeit gewohnt alles berechnen zu lassen und das alle nach Wunsch und Plan verläuft, das haben wir aber bei der Natur nicht.
Schafskälte
Von der Schafskälte spricht man, wenn es im Juni zu Kälteeinbrüchen kommt. Generell spricht man bei der Schafskälte von einem Zeitraum zwischen 4. Juni und 20. Juni. Rund um dieses Datum ist mit einem Kälteeinbruch in Mitteleuropa zu rechnen.
Ralph Rickli ist Meteorologe bei Meteotest. Er schätzt die aktuelle Wetterlage ein und gibt seine Lieblingsapp bekannt.
zvg
Können Sie etwas zu der Klimasituation im Allgemeinen sagen, wie hat sich das in den letzten 50-100 Jahren entwickelt und mit was für einer Tendenz muss gerechnet werden?
Das ist eine sehr spannende Frage, die Sache ist nur, dass wir damit eine separate Seite füllen können. Ich möchte gerne auf Meteo Schweiz verweisen, sie haben alle Klimaszenarie n detailliert aufgearbeitet und die Infos sind für alle zugänglich und können nachgelesen werden.
Drei Wetterapps, drei verschiedene Angaben, wie kommt es, dass es heutzutage für viel schwerer ist die Wettersituation einzuschätzen?
Die verschiedenen Modelberechnungen, die es gibt, dienen uns Meteorologen als Werkzeuge, um Wetterprognosen zu stellen. Es gibt kein perfektes Modell aber ein viele nützliche Varianten. Je detaillierter ein Modell die einzelnen Wetterphänomene berechnet, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Phänomene örtlich und zeitlich variieren. Je grobmaschiger ein Modell ist, desto einfacher ist dessen Geographie. Berge und Täler erscheinen geglättet. Dadurch können kleinräumige Wetterphänomene nicht nachgebildet werden. Grossräumige Muster hingegen werden realitätsnah berechnet.
Können Sie als Meteorologe ein paar Tipps aus dem Nähkästchen geben, um den Landwirten, die draussen wetterabhängig arbeiten, den Arbeitsalltag und die Entscheidungen leichter zu machen?
Ja. Erstens sollte man nicht nur das Barometer anschauen. Viele Landwirte denken, mit der Frage nach dem nächsten «Hoch» sei es getan. Als ob der Luftdruck allein das Wetter erklären würde. Das Barometer ist ein Hilfsmittel, aber nur eines von vielen und bestimmt nicht das einzige. Von diesem Denken muss man wegkommen. Es empfiehlt sich, vorwiegend mit einer App zu arbeiten. Diese Empfehlung gilt auch für andere Nutzer von Wetterinformationen, beispielsweise Gleitschirmflieger, Aviatiker oder Bergführer.
Und die wäre?
Regelmässige Nutzung derselben App führt zu einer Vertrautheit mit dem vielfältigen Angebot. Man behält beim persönlichen Meteo-Briefing rascher den gewünschten Überblick. Hilfreich ist, wenn man sich nicht allein auf die Wettersymbole verlässt, sondern regelmässig auch Diagramme konsultiert. Die Vertrautheit mit dem «Informations-Werkzeug» hilft, die Aussagen mit der Realität zu vergleichen. Früher oder später entwickelt man einen Sinn dafür, wie vertrauenswürdig die Aussagen für die jeweilige Lokalität sind und wann bei bestimmten Wettermustern Abweichung auftreten. Qualitativ hochwertige Apps zeigen dem Nutzer zudem die Bandbreite von Modellresultaten. Daraus lassen sich Grautöne im Wetterverlauf erkennen. Dies ist deshalb wichtig, weil bei schwierigen Wetterlagen kaum reine schwarz-weiss Aussagen möglich sind.
Also nicht nur auf die Regentropfen- Wolken und Sonnensymbole schauen?
Genau. Symbole vermitteln einen raschen Überblick entlang der Zeitachse. Aussagekräftiger sind Diagramme, die den Verlauf von Druck, Temperatur, Wind und Niederschlag zeigen. Das Lesen von Grafiken bedingt ein bisschen Übung. Diese stellt sich bei regelmässigem Nutzen von selbst ein, Sie werden sehen.
Können Sie das kurz erklären?
Eine Grafik informiert umfassender. Ihre Stärke liegt darin, dass das zeitliche Auftreten von Wetterelementen, beispielsweise von Regen oder von Windspitzen, einfacher zu erkennen ist als bei einem Wettersymbol.
Welche App würden Sie empfehlen?
Meiner Meinung nach ist die App von Meteo Schweiz eine der besten. Auch die Homepage , auf der man die verschiedenen Parameter anschauen kann, ist ein super Produkt. Sich damit vertraut zu machen empfiehlt sich deshalb, weil auf derselben Homepage ergänzend zum aktuellen Wetter auch ein Rückblick und eine klimatologische Einordnung möglich sind.
Beenden Sie die Sätze…
Landwirtschaft ist… Nahrungsmittelproduktion und das Kerngeschäft der Bauern.
Wetterprognosen sind… ein täglicher Krimi, es gibt kein langweiliges Wetter.
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