Am 24. und 25. April hat in Zollikofen eine Tagung zum Thema "Wachstum in der Land- und Ernährungswirtschaft" stattgefunden. Referent Andreas Keiser äusserst sich in eine Interview über die Chancen und Grenzen des Wachstums und die Ziele der Tagung
Andreas Keiser, man reibt sich die Augen: Das Agrarland in der Schweiz ist längst verteilt und schwindet ausserdem jährlich. Gemäss Bundesamt für Statistik geht der Landwirtschaft pro Sekunde mehr als 1 m2 Anbaufläche verloren. Und Sie sprechen von Flächenwachstum?
Andreas Keiser: Zwischen 2000 und 2012 hat die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe um rund 20 Prozent abgenommen. Es gibt jedoch immer mehr Betriebe mit einer Nutzfläche über 25 Hektar. Die Betriebe werden grösser, die Struktur verändert sich. Uns interessiert, wie die Bauernfamilien das Wachstum ihres Betriebs als Chance nachhaltig nutzen können.
Was schlagen Sie denn vor?
Es gibt drei Wachstumsstrategien: Erstens steigern wir zum Beispiel durch den Einsatz moderner Technik die Ressourceneffizienz auf dem Betrieb, zweitens können wir mit mehr Fläche und höheren Tierbeständen grössere Mengen produzieren, drittens schöpfen wir Mehrwert durch bessere Qualität oder weitergehende Verarbeitung.
Wie soll das in die Praxis umgesetzt werden?
An der Tagung haben wir die Beispiele dreier landwirtschaftlicher Unternehmen diskutiert, welche diese Strategien bereits umsetzen. Wir möchten damit eine Plattform für den Dialog zwischen Praxis, Forschung und Beratung bieten. So haben wir im World Café am Freitag unter anderem drei Landwirte vorgestellt, die sich für die Kartoffelproduktion in einer Aktiengesellschaft zusammengeschlossen haben. Mit moderner Technik bauen sie auf 60 Hektar Kartoffeln an, die sie selber lagern und vermarkten. Die beteiligten Betriebe haben mit insgesamt 260 Hektar genug Nutzfläche, um optimale Anbaupausen einzuhalten. Also sind die Voraussetzungen für gute Erträge bei hoher Qualität gegeben.
Zur Person
Dr. Andreas Keiser ist Professor für Ackerbau und Pflanzenzüchtung an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Pflanzenwissenschaften (SGPW). An der Tagung in Zollikofen spricht er über "Chancen und Grenzen des Flächenwachstums".
Die Produktion soll also wieder intensiviert werden, nachdem die staatliche Lenkung wegen Überproduktion längst in Richtung Extensivierung geht?
Von Überproduktion kann heute nicht die Rede sein. Wir müssen uns Mühe geben, wenn wir den aktuellen Selbstversorgungsgrad von knapp 60 Prozent halten wollen. Wenn wir Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft anstreben wollen, müssen wir schauen, dass eine möglichst hohe Wertschöpfung auf dem Betrieb erbracht wird. Die Technik hat sich enorm entwickelt. Die Arbeitszeit für eine Hektare Ackerland ist deutlich kleiner geworden. Flächenwachstum und überbetrieblicher Einsatz setzen Kapazität bei der Arbeit und bei den Produktionsmitteln frei.
Wo bleibt denn da der bäuerliche Familienbetrieb?
Hohe Wirtschaftlichkeit und ökologische Leistung reichen nicht. Für die Bauernfamilie zählen letztlich die hohe Lebensqualität und gute soziale Verhältnisse. Ob dies nun im Alleingang oder in Zusammenarbeit, auf kleineren oder grösseren Betrieben geschieht, müssen die Bauernfamilien selber entscheiden. Kooperation muss nicht den Verlust der Eigenständigkeit bedeuten. Frei werdende Kapazität kann für andere Aktivitäten innerhalb oder ausserhalb des Betriebs eingesetzt werden. Nicht zu unterschätzen sind die sozialen Vorteile, zum Beispiel die Stellvertretung bei Ferien oder Krankheit.
In welche Richtung gehen denn die Trends und Grenzen für das Wachstum in der Tierproduktion, welche die Schweizerische Gesellschaft für Tierproduktion vorstellen wird?
Auch hier sind es die fortschreitenden Individualisierungsmöglichkeiten in der Technik, die wachsende Produktionseinheiten ermöglichen. Trotzdem muss die Landwirtin, der Landwirt stets das einzelne Tier im Auge behalten. Das Wachstum hat in der Tierhaltung natürliche Grenzen.
Die Schweizerische Gesellschaft für Agrarwirtschaft und Agrarsoziologie postuliert, dass Wachsen mit Weichen zu tun habe. Das tönt schmerzhaft.
Auf der einen Seite geht es um ein besseres Verständnis des Prozesses in der Berufswahl und bei der Hofübergabe. Auf der anderen Seite geht es aber auch darum, Arbeitsmodelle zu finden, die den Menschen in der Landwirtschaft eine ausgewogene Life-Balance garantieren. Der bäuerliche Familienbetrieb war bereits zu Gotthelfs Zeiten nicht die Idylle, die man gern hochhält. Das Eingestehen der Realität, das Loslassen bereitet den Boden vor für neues Wachstum.
Das heisst, aus betriebswirtschaftlicher Sicht braucht es neue Organisationsformen. Ist denn eine Aktiengesellschaft noch ein "bäuerlicher Familienbetrieb"?
Die Diskussion wird zeigen, ob im Agrarrecht Handlungsbedarf besteht. Die Schweizerische Gesellschaft für Agrarrecht zeigt den "bäuerlichen Betrieb und seine rechtlichen Grenzen" auf. Wie das Beispiel der drei Kartoffelbauern zeigt, ist unter gewissen Voraussetzungen die Gründung einer Aktiengesellschaft sinnvoll und heute schon möglich.