Die Insektenwelt wird immer kleiner und eintöniger – im Mittelland, im Jura und in den Alpen. Das legen Biodiversitätsforschende erstmals in einer umfassenden Synthese des vorhandenen Wissens dar. Die Forscher haben auch untersucht, welchen Einfluss die Landwirtschaft hat.
Die Situation sei insgesamt besorgniserregend, wie die Forschenden im vom Forum Biodiversität der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) veröffentlichten Bericht schreiben. Bei vielen Insekten seien die Bestände inzwischen auf einem bedenklich tiefen Niveau angelangt: «Das langfristige Überleben der betroffenen Arten und damit auch die Erbringung ihrer Ökosystemleistungen sind damit in Frage gestellt», heisst es im Bericht, der am Dienstag den Medien präsentiert wurde.
Nahrungsgrundlage für viele Tiere
Zu diesen von Insekten bereitgestellten Dienstleistungen an den Menschen gehören Blütenbestäubung, die Verbreitung von Samen und biologische Schädlingsbekämpfung. Insekten bilden auch die Nahrungsgrundlage vieler Fische und Vögel, tragen zum Abbau von abgestorbenem Pflanzenmaterial bei und führen so dem Boden Nährstoffe zurück.
Der ökonomische Wert der Insekten sei kaum abschätzbar und an viele Dienstleistungen lasse sich kein Preisschild hängen, sagte der Ökologe und Präsident des Forum Biodiversität, Florian Altermatt, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Spezialisten besonders unter Druck
Fast 30’000 Insektenarten in der Schweiz sind aus der Literatur bekannt, Schätzungen zufolge dürfte es sogar 44’000 bis 60’000 Insektenarten hierzulande geben. Derzeit sind in Roten Listen 1153 Arten bewertet, von denen fast sechzig Prozent als gefährdet oder potentiell gefährdet gelten, 38 als in der Schweiz ausgestorben und 107 vom Aussterben bedroht.
Besonders gelitten in den letzten Jahrzehnten hatten demnach spezialisierte sowie kälteliebende Insekten, die etwa an Gewässern, Feuchtgebieten, Mooren, Trockenwiesen sowie in alpinen und subalpinen Zonen leben. Hauptgrund für den Rückgang: Der nicht nachhaltige Umgang mit der Umwelt. Sei es durch intensive Landnutzung, Pestizide und Düngung, Strukturbereinigung, Zersiedlung, Lichtverschmutzung oder die Klimaerwärmung.
Thomas Marent
Arteneinerlei
Wärmeliebende und generalistische Insekten hingegen breiteten sich in den vergangenen zwanzig Jahren allerdings eher aus, etwa im Mittelland kamen sogar Arten hinzu, beispielsweise bei den Tagfaltern. Doch: Einerseits habe die Zunahme insbesondere dort stattgefunden, wo es lange Zeit einen Rückgang gab und die Zahl der Arten noch immer viel tiefer sei als noch Mitte des letzten Jahrhunderts, sagte Altermatt. Andererseits beobachte man zunehmend ein Arteneinerlei, da überall vermehrt dieselben Arten vorkämen.
Dass sich ergriffene Massnahmen positiv auf die Artenvielfalt der Insekten auswirken können, zeige das Beispiel des Waldes: Während dieser vor fünfzig Jahren noch intensiv genutzt wurde, setze man heute vermehrt auf Mischkulturen, lasse Totholz liegen und betreibe eine extensivere Waldnutzung. «Damit einher ging tendenziell eine Zunahme der Insektenvielfalt», sagte Altermatt.
Die Insektenwelt klingt leiser
Zwar fehlen Daten zur Entwicklung der Gesamtmenge an Insekten, der sogenannten Biomasse. Doch auch hier gibt es gemäss Altermatt Hinweise, dass es immer weniger summt und brummt. Dazu gehören unter anderem Beobachtungen von Insektenkundlern, fallbasierte Berichte sowie die Feststellung, dass insektenfressende Brutvögel anders als pflanzenfressende Vögel in Landwirtschaftsgebieten weniger wurden, sagte der Ökologe.
Und auch wenn derzeit noch Wissenslücken bestehen: «Um handeln zu können, sind ausreichende Kenntnisse vorhanden», schreiben die Forschenden.
Der Rückgang der Insekten beschäftigt denn auch nicht nur die Wissenschaft, sondern die Politik sei ebenfalls aktiv geworden, sagte Daniela Pauli, Leiterin des Forum Biodiversität, vor den Medien. Stand 1. September hätten 19 politische Geschäfte das Stichwort «Insekten» im Titel geführt, 111 im Text.
Die Synthese basierend auf den nationalen Roten Listen, auf Ergebnissen nationaler Monitoring-Programme, auf lokalen und regionalen Studien sowie auf Fachexpertisen und der von den Forschenden formulierte 12-Punkte-Plan für die Erhaltung der Insektenvielfalt soll nun als Grundlage für die Politik dienen.
Einfluss der Landwirtschaft
Lebensraumverlust
Die Forscher haben auch den Einfluss der Landwirtschaft untersucht. Die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion habe in Mitteleuropa das Landschaftsbild insbesondere ab etwa 1950 radikal verändert. Mit Güterzusammenlegungen wurden die zersplitterten, kleinen Parzellen zu ausgedehnten Einheiten vereint und maschinengerecht umgestaltet. Waldränder wurden begradigt, Bäche eingedolt und Kleinstrukturen beseitigt. Die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion in Gunstlagen, aber auch die Aufgabe der Bewirtschaftung wenig produktiver Flächen in den Berggebieten hätten dazu geführt, dass die Vielfalt an Lebensräumen (Einzelbäume, Sträucher, Steinhaufen etc.) und der von ihnen anhängigen Arten, einschliesslich der Insekten, stark zurückgegangen sei, so die Forscher.
Pflanzenschutzmittel
Die Wirkstoffe seien oft unspezifisch und töteten oder beeinträchtigen auch Nicht-Zielorganismen. «Während Insektizide die Insekten meistens unmittelbar schädigen, reduzieren Herbizide vor allem das Angebot an Wirtspflanzen, auf welche Insekten angewiesen sind», halten die Forscher fest. Die Folge: Der Lebensraum der Insekten wird damit derart verändert, dass es zu einer Gefährdung der Insektenpopulationen kommen kann. Auch niedrige, nicht akut toxische Konzentrationen oder die kombinierte Wirkung von unterschiedlichen Wirkstoffen könnten negative Auswirkungen auf Gesundheit, Physiologie, Verhalten, Fortpflanzung, Entwicklung von Insekten haben. «Der Einsatz von Pestiziden gilt deshalb derzeit als eine der Hauptursachen für den Rückgang von Insekten. Der Pestizideinsatz kann zudem die Wirkung andere Faktoren verstärken, beispielsweise die Zerstörung oder Abnahme der Qualität ihrer Lebensräume, Emission anderer Schadstoffe», so das Fazit des Berichts. Insekten können auch durch Biozide und andere Tierarzneimittel, welche gegen Parasiten bei Nutztieren eingesetzt werden und durch direkte Emissionen oder die Ausbringung von Dung oder Hofdünger in die Umwelt gelangen, beeinträchtigt werden.
Düngemittel
Viele Lebensräume des Kulturlands verändern sich durch Düngereintrag aus Sicht der Biodiversität negativ, heisst es im Bericht. «Durch den weit verbreiteten Einsatz von Kunstdünger, die hohen Güllemengen sowie die dadurch ermöglichte intensivere Grünlandnutzung gingen unter anderem auch die einst grossflächig verbreiteten, traditionell bewirtschafteten und artenreichen Fromentalwiesen dramatisch zurück», heisst es. Ab den 1950er-Jahren wurden sie fast vollständig in Intensivwiesland und in kleinerem Umfang in Ackerland umgewandelt oder überbaut. Heute gibt es gemäss Bericht im Mittelland nur noch Reliktbestände, die höchstens noch 2% der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmachen. Die Futterbasis für die Insekten sei weggebrochen.
Mechanisierung
Im Grünland führt gemäss Bericht der Einsatz von modernen Mähgeräten und anderen Maschinen für die Futterernte dazu, dass eine grosse Anzahl von Insekten getötet wird. «Insbesondere der Einsatz von Aufbereitern führt zu hohen Sterberaten. Zudem ermöglichen die effizienten Maschinen die grossflächige Mahd in kurzer Zeit, sodass keine Rückzugsflächen für Insekten verbleiben», heisst es weiter. Problematisch ist auch der Einsatz von Steinfräsen und weiteren Geräten wie Bodenfräsen, Kreiseleggen, Scheibeneggen und Weidenmulchern.
Bewässerung
Grossflächige und gleichmässige Bewässerungen von Trockenwiesen und -weiden – insbesondere durch Sprinkleranlagen – führen laut den Forschern in Kombination mit der damit einhergehenden anderweitig veränderten Bewirtschaftung dazu, dass sich die Vegetationsstruktur und -zusammensetzung massiv verändert, Wiesen häufiger genutzt werden und teilweise neue Erntetechniken wie Silagen eingeführt werden können. Bei unsorgfältiger Anlage oder Bewässerungspraxis würden umliegende Strukturen (Steinriegel, Mauern, Hecken) und Naturschutzflächen (Trockenwiesen und Felsensteppen) beeinträchtigt. «Beregnungen von Trockenwiesen und -weiden können Lebensräume von Insekten deshalb massiv abwerten», fogern die Forscher. Die traditionelle Rieselbewässerung hingegen könne die Artenvielfalt von Trockenwiesen und -weiden eher erhöhen.
Schafbeweidung über der natürlichen Waldgrenze
«Die Beweidung durch Schafe über der natürlichen Waldgrenze wirkt sich im gegenwärtigen Ausmass ökologisch stark negativ auf die Biodiversität aus», kritisieren die Wissenschaftler. Die intensiv beweideten Flächen seien botanisch teilweise massiv degradiert, mit entsprechenden Konsequenzen für die alpine Insektenfauna.
Thomas Marent
Und wenn wir nichts wollen, müssen wir uns dann halt mit den Konsequenzen abfinden...
Weniger Ressourcenverbrauch, mehr Insekten.
2020 Frühling Gabe es ja viel mehr Insekten weil der Verkehr viel weniger war...
nun sollen wieder mal die Bauern schuld sein...
Jede Lüge und Halbwahrheit verursacht Widersprüche, Streit und Spaltung. Das wollen gewisse Kreise offensichtlich. Einhalt gebieten!
Statt die Landwirtschaft an den Pranger zu stellen, könnte man, mit besserer Begründung, die Linken und Grünen für den Insektenschwund verantwortlich machen.
bitte bitte abonniere dir eine andere zeitung , oder gehe in ein verschwörer forum, aber lass uns hier mit deinen ewig gleichen falschen kommentaren in ruhe. und bitte redaktion sperrt beat, sonst könnte man meinen ihr teilt seine meinung.
Seppli, wenn du mitreden willst, dann melde dich mit richtigem Namen. Damit du für deine Anschläge auch zur Rechenschaft gezogen werden kannst.
Die Digitalisierung wird vor allem von den Grünen gefördert.