Jahrzehnte lang litt Burundi unter ethnischer Gewalt. Als die Regierung mit der Einrichtung von Friedensdörfern für heimkehrende Flüchtlinge begann, schöpften viele neue Hoffnung. Aber die Realität ist eine andere.
Die Lehmhütten, die auf beiden Seiten der roten Sandpiste stehen, sind dunkel und stickig. Eine Frau hat eine Fensteröffnung notdürftig mit Stofffetzen vollgestopft, um die Fliegen abzuhalten. Kein Auto ist zu sehen, es gibt keine Strommasten und keinerlei Verbindung zur Zivilisation.
Die Gesichter der Menschen in Nyabigina im Süden von Burundi strahlen Verzweiflung aus - das Lächeln ist ihnen lange vergangen. Dabei hatte alles so hoffnungsvoll begonnen. 2004 hatte die Regierung des ostafrikanischen Landes mit der Einrichtung von sogenannten Friedensdörfern für die drei ethnischen Gruppen Hutu, Tutsi und Twa begonnen.
Aufgezwungene ethnische Differenzierung
Der Plan war, dass Flüchtlinge, die während der schweren Massaker von 1972 und 1993 in die Nachbarländer Kongo und Tansania geflohen waren, in die Heimat zurückkehren und in eigens gebauten Dörfern ein neues, ein besseres, ein gewaltfreies Dasein führen können. Ein Blick zurück: Die Wurzeln der blutigen Konflikte lagen in Burundi ebenso wie im Nachbarland Ruanda in der von den belgischen Kolonialherren aufgezwungenen ethnischen Differenzierung zwischen der Hutu-Mehrheit und der Tutsi-Minderheit.
Während sich der Hass in Ruanda 1994 in einem Blutrausch der Hutus mit über 800'000 toten Tutsis entlud, kam es in Burundi schon seit den 1970er Jahren immer wieder zu Gewaltausbrüchen - und zwar auf beiden Seiten. Insgesamt wurden Schätzungen zufolge mindestens 650'000 Menschen vertrieben.
Friedensdörfer als Projekt zur Aussöhnung
Bis 2010 errichtete Burundi mit Unterstützung des UNO-Flüchtlingskomitees (UNHCR) 27 Friedensdörfer. Ganz im Sinne des Friedensvertrages von Arusha, mit dem der jahrzehntelange Bürgerkrieg 2000 beendet wurde, sollte das Projekt zur Aussöhnung zwischen den einst verfeindeten Ethnien beitragen. Heute steht fest: Das Experiment ist gescheitert.
Schuld daran haben aber keineswegs die verschiedenen Volksgruppen, die heute konfliktfrei miteinander leben. Für das Scheitern sind vielmehr das völlige Desinteresse der Regierung in der weit entfernten Hauptstadt Bujumbura und die Vorurteile der Bevölkerung verantwortlich. Eine Abhandlung des Zentrums für Flüchtlingsstudien der Universität Oxford bringt es auf den Punkt: «Die Heimkehrer werden noch mindestens eine Generation lang als Bürger zweiter Klasse betrachtet werden.»
Land für Ackerbau versprochen
«Kühe haben ein besseres Leben als wir», sagt der Dorfchef von Nyabigina, Elie Manirakiza, der im Kongo aufgewachsen ist und 2010 nach Burundi kam. Von den Einheimischen würden die Menschen im Friedensdorf ständig als unwillkommene Fremde behandelt, die kein Bleiberecht haben. «Wir sind Ausländer im eigenen Land.»
Das konnte Manirakiza aber nicht ahnen, als vor einigen Jahren Regierungsvertreter in den Kongo reisten, um die Vertriebenen mit farbenfrohen Zusicherungen zur Rückkehr zu bewegen. «Im Fernsehen haben sie uns Videos gezeigt von den angeblich so tollen Häusern, die für uns gebaut werden sollten», erzählt er. Land zum Ackerbau wurde ebenfalls versprochen. «Sie flehten uns geradezu an zurückzukommen und meinten, unser Leben in Burundi werde viel besser sein als im Kongo.»
Statt glänzender Neubauten fanden die Heimkehrer wackelige Lehmhütten mit Wellblechdach vor. Farmland gab es nicht - und die wenigen Äcker, die bereitstanden, wurden bereits von der örtlichen Bevölkerung rund um Nyabigina genutzt.
Viele sind unterernährt
Jeder Neuankömmling habe zehn Kilo Mais, drei Kilo Bohnen und einen Liter Öl erhalten, erinnert sich Manirakiza. Die Ration habe gerade einmal für einen Monat gereicht. «Seither essen wir nur einmal am Tag, wenn überhaupt. Schaut uns an! Wir sind nur noch Haut und Knochen», sagt er und zupft an seinem viel zu weiten T-Shirt.
«Meine Eltern haben mir erzählt, dass Burundi das Land sei, in dem Milch und Honig fliessen», erzählt Vestine Bariyononera, die in Tansania als Flüchtlingskind geboren wurde und seit 2011 im Friedensdorf lebt. «Aber das Gegenteil ist der Fall.» In Tansania arbeitete die Mutter von neun Kindern in einem landwirtschaftlichen Betrieb, aber in Burundi ist sie arbeitslos und ohne jegliches Einkommen. «Wenn ich das Geld für die Reise aufbringen könnte, ich würde sofort nach Tansania zurückfahren», erklärt sie wütend.
«Dorf der Tränen»
Von dem Begriff «Friedensdorf» will hier niemand etwas wissen. Nyabigina sei ein «Dorf der Tränen», so die Bewohner. Erst vor wenigen Wochen hätten einige Heimkehrer vor lauter Not 19 ihrer Hütten zerstört und die Siedlung zu Fuss verlassen, berichten sie. 30 weitere Familien seien schon vor Monaten abgezogen, noch immer auf der Suche nach einem besseren Leben.
Warum also wollte die Regierung die Exilanten unbedingt zurückholen? «Die Politiker müssen von irgendwem viel Geld bekommen haben für jeden heimkehrenden Flüchtling», mutmasst Manirakiza. Das zuständige Ministerium für Nationale Solidarität wollte sich trotz mehrmaliger Nachfrage zu den Vorwürfen nicht äussern.
Lediglich ein Berater des Büros für soziale Angelegenheiten im Bezirk Makamba gibt die verheerenden Zustände kleinlaut zu. «Ja, die Leute sind unterernährt, sie haben keine Jobs und kein Land», sagt Nolasque Nbayikeza. Von einem Scheitern des Projekts will er aber nichts wissen. «Immerhin leben sie jetzt wieder in ihrem Heimatland», sagt er. Während des Besuchs im Friedensdorf Nyabigina bleibt er aber vorsichtshalber im verriegelten Auto sitzen.
Burundi - kleines Land mit blutiger Vergangenheit
Die ehemalige belgische Kolonie Burundi ist seit 1962 unabhängig. Das kleine Land, in dem heute rund zehn Millionen Menschen leben, wurde seither immer wieder von ethnischer Gewalt zwischen der Hutu-Mehrheit (85 Prozent) und der Tutsi-Minderheit (14 Prozent) erschüttert.
Die schlimmsten Massaker fanden 1972 und 1993 statt, kleinere Konflikte gab es auch 1965, 1969, 1988 und 1991. Insgesamt wurden dabei Schätzungen zufolge mehrere Hunderttausend Menschen beider Gruppen getötet. Die schwere Krise von 1993 wurde durch den Mord an dem ersten demokratisch gewählten Hutu-Präsidenten Melchior Ndadaye und seinen engsten Mitarbeitern ausgelöst. Für die Tat war die überwiegend von Tutsis beherrschte Armee verantwortlich.
Hutus richteten daraufhin immer wieder Blutbäder an Tutsis an, während aber auch Tutsi-Soldaten als Vergeltung schwere Gräueltaten an Hutus begingen. Seit Anfang der 1970er Jahr wurden mindestens 650'000 Menschen vertrieben. Viele suchten in den Nachbarländern Kongo, Tansania und Ruanda Zuflucht. Die Gewalt endete erst mit einem Friedensvertrag, der am 28. August 2000 im tansanischen Arusha unterzeichnet wurde. Die Vereinbarung sah die Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission und eines Sondertribunals für Kriegsverbrecher vor.
Aus den ersten demokratischen Nachkriegswahlen ging 2005 die Partei CNDD-FDD als Sieger hervor. Seither ist der ehemalige Hutu-Rebellenführer Pierre Nkurunziza Präsident des ostafrikanischen Landes. Laut Arusha-Vertrag und der daraus entstandenen Verfassung müssen alle öffentlichen Ämter zu 60 Prozent von Hutus und zu 40 Prozent von Tutsis besetzt werden. Das gilt etwa auch für die Abgeordnetenkammer. Zudem gibt es jeweils zwei Vize-Präsidenten, einen Hutu und einen Tutsi. sda