Funktionelle Merkmale werden immer wichtiger. Da sind sich Wissenschaftler und Praktiker einig. Damit die sekundären Zuchtwerte eine
genügende Sicherheit erreichen, ist aber noch viel Arbeit nötig.
«Der beste Stier wird meine künftige Herde prägen, nicht unbedingt der Bulle mit dem höchsten genomischen Zuchtwert», dies die Worte von Matt Hendel. Auf seiner Farm in Minnesota (USA) werden schon seit vier Jahren intensiv genomische Jungbullen eingesetzt.
Vor der genomischen Zuchtwertschätzung verkaufte Hendels Farm jährlich etwa 40 Stiere an KB-Organisationen. Heute sind es noch 15. Oft würden Rinder mit hohen Zuchtwerten mit den besten Genomic-Jungstieren gespült. Das Vermarktungsprogramm habe sich stark verändert. Von Vollgeschwistern würden nur jene mit den höchsten Werten verwendet. «Die haben die grössten Chancen, Nachkommen mit hohen GTPI zu erzeugen.»
Ernüchterung erlebt
Hendel setzt bei seinen 350 Holstein- und 35 Brauviehkühen seit diesem Jahr noch zur Hälfte genomische Jungstiere ein. In den letzten vier Jahren waren dies bis drei Viertel der Besamungen. Nun haben die ersten Töchter abgekalbt. Hendel zieht den Vergleich: Die Töchter der Jungstiere haben die Erwartungen nicht erfüllt und blieben vor allem in der Leistung hinter ihren Stallgefährtinnen von nachzuchtgeprüften Stieren zurück.
Dan Gilbert von New Generation Genetics erklärt, dass man in den USA grosse Anstrengungen unternehme, um die genomische Revolution voranzutreiben. Vor allem die grossen kommerziellen Milchviehbetriebe äusserten immer mehr Wünsche für ein funktionelles Exterieur. Im Vordergrund stehe klar die Wirtschaftlichkeit. Also Eutergesundheit, Klauen und Fruchtbarkeit. Hier zeigen die genetischen Trends in den USA nach unten. Da seien gerade kleine Populationen wie die Brown Swiss gefordert, Gegensteuer zu geben. Was allerdings nicht einfach sei.
Zuverlässigkeit ausgereizt
Beat Bapst von Qualitas in Zug betont, dass sich die Zuverlässigkeit der genomischen Zuchtwertschätzung bereits in einer Konsolidierungsphase befinde. Aber die Sicherheit müsse noch erhöht werden. Die Trainingsdatensätze könnten beim Braunvieh nicht mehr mit männlichen Tieren ergänzt werden.
Dies sei nur noch mit weiblichen Tieren möglich. Dem pflichtet auch Michael Kramer von der Universität Göttingen bei: «Kühe generell typisieren wäre die Lösung, ist aber für den Landwirt teuer.» Da oft nur Elitebullen und Elitekühe genomisch getestet würden, die dadurch einen «verzerrten» GZW hätten, sei es relativ schwierig, eine sichere Basis einer Rasse zu bestimmen.
Armelle Govignon aus Frankreich hat 300'000 Laktationen untersucht, um genetische Abhängigkeiten in Bezug auf die Mastitis herauszufinden. Ziel wäre es, einen Zuchtwert Mastitisresistenz zu lancieren, der nicht vordergründig nur auf den Zellzahlwerten basiert. Bei ihrer Arbeit haben sie mit der Schwierigkeit zu kämpfen gehabt, dass nicht alle Datensätze brauchbar waren.
Schwächste Kuh im Auge
Erfrischend anders und praxisnah war das Referat von Pius Giger aus Schänis SG. Seit acht Jahren figuriert Giger mit seinen Kühen auf der Betriebsmanagementliste von Braunvieh Schweiz. Damit werden Merkmale berücksichtigt, die funktionelle und wirtschaftliche Leistungsdaten berücksichtigen. «Dies ist deckungsgleich mit unseren Betriebszielen», unterstreicht Giger.
Er sei kein Spitzenzüchter, remontiere für seinen eigenen Bestand und besame einen Teil seiner Kühe mit Mastrassen. Die Kälber werden auf dem Betrieb gemästet. «Damit enttäusche ich vielleicht einige», meint er. Aber Giger ist ein guter Beobachter. Die schwächste Kuh verdiene die grösste Aufmerksamkeit. Es sei wichtig, Erkrankungssymptome frühzeitig zu erkennen. So zähle er halt noch die Kauschläge seiner Kühe. Die Resultate geben ihm recht: Demnächst passiert die nächste Kuh die 100'000er-Grenze. «Solche Vorträge sollten Sie öfter halten», ermutigt ihn ein Zuhörer.