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Kulturschock auf der Alp

Dieser Tage hat der nach Köln ausgewanderte Schauspielschüler Gabriel Ouaïss seinen letzten Zivildiensteinsatz bei der Bergbauernfamilie Jungen in Frutigen BE beendet. Wie haben die beiden Seiten diesen "Kulturschock" erfahren? Und was bringen solche Einsätze der Landwirtschaft?

Martin Leutenegger, lid |

 

Dieser Tage hat der nach Köln ausgewanderte Schauspielschüler Gabriel Ouaïss seinen letzten Zivildiensteinsatz bei der Bergbauernfamilie Jungen in Frutigen BE beendet. Wie haben die beiden Seiten diesen "Kulturschock" erfahren? Und was bringen solche Einsätze der Landwirtschaft?

Der 25-jährige Halbmarokkaner Gabriel Ouaïss war vor zwei Jahren nach Köln gezogen und begann dort die Ausbildung an einer Akademie für Filmschauspiel. Jeweils in den Sommerferien leistete er in der Schweiz seinen Zivildienst, der heute eineinhalb Mal so lange dauert wie die entsprechende Militärdienstzeit. Diese Verlängerung gilt als "Tatbeweis", nachdem 2009 die sogenannte "Gewissensprüfung" abgeschafft worden war.

Ein städtischer Auslandschweizer kommt in die Berge

Einsatzgebiete für Zivildienstleistende gibt es mehrere, wobei sich die meisten Dienstpflichtigen für ein Engagement im Pflege- und Sozialbereich interessieren. Gabriel jedoch wollte an einem Ort tätig sein, an dem er - im Gegensatz zu seinem gewohnten Stadtleben - in der freien Natur wäre und seine Hände gebrauchen könnte. Auch war es sein Wunsch, Gegenden kennenzulernen, die er - obwohl in der Schweiz geboren und aufgewachsen - noch nie gesehen hatte.

Einen längeren Einsatz in der freien Natur hatte der junge Mann im Rahmen des "Naturnetz Wallis" geleistet. Gerne hätte er auch die noch zu leistenden letzten Zivildienst-Wochen im Wallis verbracht, denn Arbeit und Gruppe hatten ihm sehr gefallen. Aus finanziellen Gründen war das Projekt jedoch inzwischen abgebrochen worden, und so meldete sich der Kölner Schauspielschüler für einen Einsatz bei der Bergbauernfamilie Jungen, die in und ob Frutigen BE einen Landwirtschaftsbetrieb mit Käserei betreibt. 

Alphütte statt Grossstadt


Ein bisschen nervös war der junge Mann schon, denn im Gegensatz zu den vorangegangenen Einsätzen würde er hier nicht im Rahmen einer Gruppe gleichaltriger Kollegen arbeiten und wohnen, sondern müsste seinen Dienst weitab von städtischen Gegenden verbringen, gewissermassen als Mitglied einer Familie, die er noch nie gesehen hatte.

Dass er - noch in Deutschland - von der Bäuerin Margrit Jungen sofort eine Zusage erhielt, freute und erleichterte ihn allerdings sehr. Auch wurde dem neuen Mitarbeiter der Einstieg leicht gemacht. Nach dem freundlichen Empfang im Hauptgebäude oberhalb von Frutigen ging es bald zu der aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammenden Alphütte Klötzliberg/Messerlisbergli unterhalb des Achsetbergs, auf 1410 Metern über Meer. 

Eintritt in eine neue Welt

Auf der Alp leben gegenwärtig 13 Kühe und ein Muni, daneben gibt es Schweine, Ziegen, Hühner, Enten und Esel. Ackerbau ist nicht möglich, erstens wegen der Hanglage, und zweitens, weil die Erde voller Steine ist. Täglich produziert Margrit Jungen während des Sommers eigenen Alpkäse, den sie im Emmental unter die Leute bringt, "weil in Frutigen jeder seinen eigenen Käse herstellt und verkauft."

Fast alles war für den Neuankömmling aus der Stadt ungewohnt, doch: "Die anstehenden Arbeiten wurden immer geduldig und gut erklärt." Gabriel Ouaïss schätzte es ausserdem, dass ihn die Bauersleute nicht einfach herumkommandierten und selber auf der faulen Haut lagen, sondern dass beide von früh bis spät arbeiteten und den beiden Zivildienstlern Vertrauen entgegenbrachten, wenn der Arbeitsauftrag einmal klar war. Als hilfreich stellte sich ausserdem heraus, dass Gabriel Ouaïss den Dienst zusammen mit Basil Minder (26) leisten konnte, einem ausgebildeten Landschaftsgärtner, der den Hof bereits von früheren Zivildienst-Einsätzen her kannte.

"Bauern sind keine knorrigen Typen"

An Alfred Jungen bewunderten die jungen Leute, dass sich der Landwirt durch nichts aus der Ruhe bringen liess, und wie flexibel er jeweils auf Unvorhergesehenes wie einen plötzlichen Wetterumschwung oder Zuwachs im Stall reagierte. In einem Satz: "Ich fühlte mich sehr wohl", so Gabriel, "ein bisschen wie ein Knecht, der zur Familie gehört." Entsprechend schwer fiel am Ende der Abschied. Margrit Jungen hatte den scheidenden Mitarbeiter beiläufig gefragt, was sein Lieblingsessen sei. 

Zu Gabriels Überraschung stand beim letzten Mittagessen dann ein grosser Topf "Tortellini alla panna" auf dem Tisch. Was nimmt Gabriel Ouaïss aus seiner Zeit im Berner Oberland für sein zukünftiges Leben mit? "Es war für mich eine neue Erfahrung in einer neuen Welt", sagt er und fügt an, dass sich sein Bild von "den Bauern" durch den Einsatz stark verändert hat: Das Vorurteil von den "knorrigen, sturen und konservativen Bauern" hat sich bei Familie Jungen nicht bestätigt - im Gegenteil. 

Verständnis gewachsen


Gewachsen ist bei dem jungen Städter zudem "das Verständnis für die schwierige und schwere Arbeit der Bauern in Berggebieten - ausserdem ihre Abhängigkeit von äusseren Einflüssen wie Wetter und Marktpreisen.

Erfahren hat der junge Mann auch, dass es verschiedene Perspektiven gibt: "Wenn im Stall ein Kälblein geboren wird, will man sich gar nicht vorstellen, dass daraus schon bald eine Kalbfleischwurst gemacht wird. Aber man sieht bei dieser Arbeit, dass das Vieh für viele Bauern das Wertvollste auf dem Hof und somit ihre Existenzgrundlage ist." Unverzichtbar sei aber - wie bei Familie Jungen - ein guter und respektvoller Umgang mit den Tieren.

"Klartext reden"

Die Frage liegt auf der Hand, ob die Bauernfamilie den Kontakt mit den Zivildienstpflichtigen ebenso positiv beurteilt. Seit 2005 nimmt Familie Jungen jeweils die Dienste von zwei Zivildienstlern in Anspruch. Voraussetzung war allerdings, dass der Landwirtschaftsbetrieb gewisse Bedingungen erfüllte (s. Kasten). Die Erfahrungen mit den Zivis seien nicht immer die gleichen, meint Frau Jungen, dabei komme es vor allem darauf an, ob sich jemand - wie nun Gabriel Ouaïss und Basil Minder - selber für diese Arbeit interessiert habe, oder ob sie dem Betrieb zwangsweise zugeteilt worden seien. 

Im letzteren Fall sei es schon vorgekommen, dass sich jemand von der Arbeit gedrückt oder sonst deutlich gemacht habe, dass ihm die schwere körperliche Arbeit nicht passe. Anfänglich habe sie mit solchen Leuten viel Geduld habe, doch später habe sie sich angewöhnt, von Anfang an "Klartext zu reden". Nur einmal in all diesen Jahren sei es jedoch vorgekommen, dass der Einsatz wegen der Unwilligkeit eines Dienstpflichtigen habe abgebrochen werden müssen.

Taschengeld 5 Franken pro Tag

Laut Thomas Brückner, Leiter Kommunikation der Vollzugsstelle für den Zivildienst beim Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF), hat 2017 eine Umfrage bei knapp 2000 Einsatzbetrieben zur Zufriedenheit mit Zivildienstleistenden in allen Tätigkeitsbereichen den Wert von 5,32 auf der Skala von 1 bis 6 ergeben. Eine spezielle Auswertung für Landwirtschaftsbetriebe gibt es jedoch nicht.

Der Einsatzbetrieb zahlt jedem Zivi ein Taschengeld 5 Franken pro Tag, bei Kost und Logis auf dem Hof. Das scheint sehr wenig. Müsste man da nicht den bösen Zungen Recht geben, die behaupten, Zivildienstpflichtige würden ausgebeutet als billige Arbeitskräfte? Dem kann entgegengesetzt werden, dass Militärdienstpflichtige in dieser Hinsicht nicht bessergestellt sind. Ausserdem bestätigt Margrit Jungen: "Ohne diese Hilfe wäre es für uns sehr schwierig, den Betrieb aufrechtzuerhalten." 

 

Voraussetzungen für Landwirtschaftsbetriebe

Wer auf einem landwirtschaftlichen Betrieb einen Zivildienstleistenden engagieren will, muss verschiedene Bedingungen erfüllen. Vereinfacht gesagt, kann ein Landwirt einen Zivi nur in Bereichen einsetzen, für die er auch Direktzahlungen erhält, also Hang- oder Steillagenbeiträge, Sömmerungsbeiträge, Biodiversitätsbeiträge, Landschaftsqualitätsbeiträge oder Investitionshilfen nach Strukturverbesserungen.

Pro Betrieb darf nur ein Zivildienstleistender eingesetzt werden, es sei denn - wie im Fall der Familie Jungen - es werde sowohl ein Tal- als auch ein Alpbetrieb geführt (ein dritter Zivi wäre beispielsweise für die Waldpflege zulässig). In der landwirtschaftlichen Produktion darf ein Pflichtiger jedoch nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden, so etwa zum Überbrücken einer vorübergehenden betrieblichen Spitzenbelastung oder wegen eines witterungsbedingten Unterbruchs der Arbeiten.

Gemäss neuster Statistik wurden im letzten Jahr nur knapp 71'000 Diensttage oder 4 Prozent in der Landwirtschaft geleistet, daneben rund 10% im Bereich Umwelt- und Naturschutz, wobei es zwischen diesen Bereichen zu fliessenden Übergängen kommt, beispielsweise wenn Alpweiden von Neophyten gereinigt werden müssen.

Die Zivis können in Tal- und Berggebieten auch zur Pflege des Waldes oder im Bereich Umwelt-, Naturschutz und Landschaftspflege einsetzen. Die Mindesteinsatzdauer eines Zivildienstpflichtigen beträgt 26 Tage oder vier Wochen, bei einer Arbeitszeit von 45 Stunden für eine Fünftagewoche.

 

 

 

Geplante Verschärfungen - Vernehmlassung bis 11. Oktober

Im Juni dieses Jahres kündigte der Bundesrat an, dass die Zulassung zum Zivildienst durch sieben Massnahmen erschwert werden soll. Begründet wurde dies durch die gestiegene Attraktivität des Zivildienstes gegenüber dem Militärdienst. In Zahlen ausgedrückt: 2011 seien noch 4'670 Personen zum Zivildienst zugelassen worden, doch bis zum letzten Jahr sei die Zahl auf 6'785 gestiegen. Der Bundesrat erachte diesen Zuwachs als problematisch, insbesondere die Zivildienstgesuche von ausgebildeten Armeeangehörigen. Die Vernehmlassungsfrist endet am 11. Oktober.

Gleichzeitig setzte der Bundesrat per 1. Januar 2019 eine Änderung der Zivildienstverordnung in Kraft, durch die sich die jährlichen Einnahmen aus den Abgaben der Einsatzbetriebe an den Bund um eine Million Franken erhöhen sollen.

Sollten die geplanten Verschärfungen durchkommen, wäre zu befürchten, dass noch weniger Zivildienstleistende für den Dienst in der Landwirtschaft zur Verfügung stünden. Schon heute ist auf einer im April 2018 aktualisierten Website des Bundes zu lesen: "Weil das aktuelle Angebot an Einsatzplätzen die Nachfrage weit übersteigt, anerkennt die Vollzugsstelle für den Zivildienst vorläufig keine neuen landwirtschaftlichen Betriebe im Berg- und Talgebiet."

Auch beim Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verband (SAV) wäre ein Bedürfnis nach zusätzlichen Zivis vorhanden. SAV-Geschäftsführer Jörg Beck glaubt jedoch, dass sein Verband weniger betroffen wäre als andere landwirtschaftliche Bereiche: "Für den Fall einer Verschärfung der Zulassungsbedingungen zum Zivildienst dürfte der SAV weiterhin Unterstützung erfahren, beispielsweise durch 'bergversetzer.ch', ein Gemeinschaftsprojekt der Schweizer Berghilfe und der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB), oder auch durch das auf Freiwilligkeit beruhende, 1987 gegründete 'Bergwaldprojekt'."

 

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