Tierwohl und Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Doch im Regal hat Labelfleisch einen schweren Stand. Der Anteil ist im vergangenen Jahr gesunken. Der Schweizer Tierschutz (STS) spricht von einer «Tierwohlkrise». Wer dafür verantwortlich ist und welche Massnahmen der STS verlangt, lest Ihr hier.
Die Labelstatistik des Schweizer Tierschutzes (STS) ist im Rahmen der «Absatzoffensive Labelprodukte» im 2020 entwickelt und eingeführt worden. Ziel der Erhebung: Mehr Transparenz im Markt mit tierfreundlich erzeugtem Fleisch.
Der Trend zu mehr Nachhaltigkeit und Regionalität hat sich in den vergangenen Jahren verfestigt. So ist der Umsatz mit regionalen Lebensmitteln zwischen 2015 und 2020 von 1,3 auf 2,12 Milliarden Franken angestiegen. Bei den Bio-Produkten wurde 2021 erstmals die 4-Milliarden-Franken-Marke geknackt.
STS
Konventionell wächst stärker
Nicht profitiert hat von diesem Trend der Markt mit Labelfleisch. In der Schweiz haben 2021 die Anzahl Schlachtungen im Vergleich zu Vorjahr um 3,4 Millionen auf 86.5 Millionen Tiere zugenommen. Der Anteil von Labeltieren aus tierfreundlicher Haltung ist gemäss der Labelstatistik von 12.2 auf 12.0 Prozent zurückgegangen. Das heisst zwar, dass die Anzahl geschlachteter Labeltiere 2021 im Vergleich zum Vorjahr zugenommen, nämlich um rund 200'000 Tiere, auf 10,4 Millionen.
Der Markt mit konventionellen Schlachttieren ist aber deutlich stärker gewachsen. Für den Geschäftsführer des STS, Stefan Flückiger, ist die Entwicklung sehr beunruhigend: «Die negative Entwicklung beim Labelfleisch ist für den STS alarmierend, zumal der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch insgesamt um knapp zwei Prozent gestiegen ist.» Er spricht von einer Tierwohlkrise.
Rückgang beim Rindvieh
Der Rückgang wurde bei sämtlichen Hauptkategorien beobachtet. Beim Rindvieh (Bankvieh Muni, Ochsen, Rinder und Kühen sowie Kälbern) lag der Labelanteil im Durchschnitt bei 31%, konkret beim Bankvieh bei 39%, bei den Kühen bei 32% und bei den Kälbern bei 20%.
«Es musste erneut eine drastische Reduktion des Labelanteils verbucht werden. Dies trotz der tiefen Zahlen beim Einkaufstourismus im angrenzenden Ausland, wodurch der inländische Fleischabsatz kräftig profitieren konnte», hält der STS im Bericht fest. Und der Ausblick ist wenig erbaulich. Es wird von lediglich stabil bis schwach steigendem Absatz ausgegangen.
STS
Sorgenkind Poulet
Ebenfalls gesunken ist der Labelanteil bei den Schweinen. Der Rückgang hat sich 2021 etwas abgeflacht. Insgesamt lag der Labelanteil bei 30,5%. «Gerade weil die Schweizer Bevölkerung eine Schweinehaltung ohne Auslauf und Einstreu nicht mehr akzeptieren will, ist diese Reduktion des Labelanteils ein grosser Rückschritt», hält der STS fest. Und auch hier erwartet der Tierschutz in Zukunft keine Zunahme der Labels.
Ein Sorgenkind für den Tierschutz ist der Pouletbereich. Der Anteil der tierfreundlichen Mastpouletproduktion liegt deutlich unter 10 Prozent. Er nahm im Vergleich zu 202 um 0,1 auf 8,1% ab. Die Haltung von über 73 Millionen Tieren in konventionellen Ställen beurteilt der STS als nicht tiergerecht. Die tierfreundliche Mastpouletproduktion mit Auslauf und Weidehaltung sei dringend zu fördern.
Zu grosse Preisdifferenz
Der Tierschutz führt den Rückgang auf mehrere Punkte zurück. Zwar hätten die beiden dominierenden Akteure Coop und Migros den Markt «massgeblich» aufgebaut. Doch die grosse Preisdifferenz zwischen konventionellen und Label- und Bioprodukten führe dazu, dass der Absatz nicht zunehme.
Der Preiskampf beim konventionellen Fleisch setze dem Labelfleisch zusätzlich zu. Gemäss STS sind die Preise beim Labelfleisch teilweise fast doppelt so teuer. Und weil die Konsumenten in der Krise preissensibler seien, wirke sich das zusätzlich negativ auf den Absatz aus.
Labelprodukte preislich nicht benachteiligen
Der Tierschutz fordert deshalb die Branche, mehr Verantwortung zu übernehmen, um den Stillstand zu durchbrechen. Einerseits sollen die Kommunikationsmassnahmen und die Aufklärung der Konsumenten zu Labelprodukten kräftig ausgebaut werden. Andererseits soll in der Sortiments- und Preispolitik eine konsequente Aufwertung der Tierwohlprodukte stattfinden.
• Strategien: Entsprechende Konzepte zur Erhöhung der Anteile tierfreundlich erzeugter Produkte sollen transparent aufzeigen, wie die Firmen die Tierwohlprodukte konkret fördern wollen.
• Kommunikation: Die Information an die Konsumenten zu Labelprodukten sei über alle Kanäle der Detailhandelsfirmen zu verbessern. Der STS bietet an, die Firmen zu unterstützten, zum Beispiel über entsprechende Bewertung der Produkte (Rating).
• Werbung: Bei der Werbung finde heute oft eine «Kundentäuschung» statt, indem konventionelle Produkte mit Bildern aus der Labeltierhaltung aufgewertet werden. Mehr Fairness bei den Werbebildern würde den effektiv tierfreundlich erzeugten Produkten helfen.
• Faire Preispolitik: Es soll eine Preispolitik praktiziert werden, welche dem Mehrwert der Labelprodukte entspricht, diese aber nicht gegenüber konventionellen unverhältnismässig benachteiligen. Die Preisschere zwischen Standard- und Labelprodukten soll wieder deutlich geringer wird. Den Produzenten sollen die Tierwohlmehrwerte kostendeckend abgegolten werden.
Konsumenten und Gastro in der Pflicht
In die Pflicht nimmt der STS auch die Konsumenten. Der Anteil könne nur steigen, wenn die Produkte gekauft würden. Viel Potenzial sieht der Tierschutz bei der Gastronomie. Es sei höchste Zeit, dass die Gastronomie «ihre grosse Verantwortung für eine ethisch respektvolle Nutztierhaltung übernehme und in der Beschaffung konsequent tierfreundlich erzeugte Produkte nachfrage.» Zudem müsse der Mehrpreis kommuniziert werden.
Bund soll lenkend eingreifen
Schliesslich hat der Tierschutz auch Forderungen an die Politik. Aus Sicht de STS fehlt eine Tierwohlförderung mit definierten Ausbauschritten. «Es fehlen konkrete Ziele, wie der Bund die Tierwohlprogramme BTS/RAUS stärken und die Beteiligungen in allen Tierkategorien gezielt ausbauen will», heisst es im Bericht.
Zudem müsse der Bund mehr in Sachen Kostenwahrheit unternehmen. Der STS fordert vom Bund, lenkend einzugreifen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die das nachhaltige und tierfreundliche Produkt besserstellt als das weniger nachhaltige. «Mittels Internalisierung externer Kosten soll der Bund Preisanreize für die tierfreundlich erzeugten Produkte schaffen», fordert der STS. Gemäss einer Studie von Agroscope würde der Absatz von Biorindfleisch um 50 Prozent zunehmen, wenn der Preis um 20 Prozent sinken würde.
«Vom Ziel einer nachhaltigen und tiergerechten Konsumlandschaft ist die Schweiz aus Sicht des STS weit entfernt», bilanziert STS-Geschäftsführer Stefan Flückiger.
Migros und Coop wehren sich
Bei den Detailhändlern kommt die Kritik des STS nicht gut an. Die Migros stehe in einem derart intensiven Wettbewerb, dass Kunden überteuerte Produkte sofort erkennen und meiden würden, sagte ein Sprecher zu den «TX-Zeitungen». Deshalb sei es gar nicht möglich, mit Labelfleisch eine höhere Marge zu realisieren. Zudem habe die Migros die Anzahl Labelprodukte in den vergangenen Monaten deutlich gesteigert.
Auch Coop dementiert, mit Labelprodukten höhere Margen zu erzielen. Die Kosten für Kontrollen, Zertifizierung und Vermarktung seien höher, so Coop zu den «TX-Zeitungen».
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