In der Fabrik von Juan Flores in der Kunsthandwerksstadt Masaya in Nicaragua sitzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihren Arbeitsplätzen und rollen Zigarren. Manche rauchen dabei selbst eine. In Nicaragua wird viel Tabak angebaut, und das Land gehört zu den wichtigsten Zigarrenproduzenten weltweit.
Der Chef und Blend Master Juan Flores geht seiner Aufgabe nach und zieht an einer langen, fetten, braunen Zigarre. Daran baumelt ein beachtliches Stück Asche. Der Beweis, dass es sich um eine hochwertige Zigarre handelt, die aus ganzen Tabakblättern und nicht aus Tabakschnipseln besteht.
Reise in die Vergangenheit
Eine direkte Flugverbindung von der Schweiz nach Nicaragua gibt es nicht. Die Reise führte darum mit dem Bus von Costa Rica aus über die Grenze nach Nicaragua, in eines der ärmsten Länder Lateinamerikas. Costa Rica dagegen wird laut einem Volkslied auch als die Schweiz Zentralamerikas bezeichnet. Im direkten Vergleich mit der Schweiz mag manch eine europäische Touristin dem widersprechen.
Vergleicht man Costa Rica aber mit dem Nachbarland Nicaragua, versteht man die Parallele besser. Denn eine Reise nach Nicaragua bedeutet aus unserer Warte auch eine Reise in die Vergangenheit: Fast alles erfolgt in Handarbeit, da die Arbeitskräfte günstig und die Maschinen teuer sind, die Autos auf den Strassen gehören zur Kategorie der Veteranen, und es sind viele Pferde- und sogar Ochsenkarren unterwegs.
Viele leben in Armut
Die Armut zeigt sich besonders auf dem Land, wo die Menschen oft nicht viel besitzen. So auf einer kleinen Insel im Nicaraguasee bei Granada, die wir bei einer Bootstour kreuzen. Die Menschen dort leben vom Fischen. Ihre einfachen Behausungen sind aus Wellblech und Brettern gezimmert. Am Ufer hocken zwei kleine Mädchen und putzen ihre Zähne. Die ältere Schwester erzählt, sie besuche in der Stadt einen Kunstkurs. Ein Sozialprojekt, um Jugendlichen Beschäftigung und eine Perspektive zu bieten. Etwas, das nicht zuletzt auch der Tourismus vermag, sofern die lokale Bevölkerung Teil davon ist.
Mit ihren kolonialen Bauten ist Granada eine schmucke Stadt. Auf dem Zentralplatz ist viel los. Verkäufer bieten ihre Ware feil, andere sitzen nur da oder füttern die Tauben, die sich vor der Kathedrale – dem Wahrzeichen der Stadt – tummeln. An der Westseite des Platzes warten etliche Kutscher auf ihren weissen Gefährten auf Kundschaft. Die Pferde sind mager, ihre Hufe spröde. Es sind kleine, kompakte und widerstandsfähige Tiere. Criollos werden sie genannt.
Menschen machen Land aus
Offensichtlich sind es Arbeits- und keine Freizeitpferde, die mit der Hitze und dem teils kargen Futterangebot auskommen müssen. Die Kutschen sind ein gängiges Fortbewegungsmittel in Granada, und so geht es damit auf eine Stadtrundfahrt. Nicht aber um die Wahrzeichen, sondern um die Menschen der Stadt kennenzulernen. Der erste Stopp ist in einem Radiostudio.
Ein Computer, ein Mischpult und ein Mikrofon. Mehr gibt es nicht. Der Moderator freut sich über den Besuch und teilt das auch gleich seinen Hörerinnen mit. Etwas weiter produzieren in einem Vorhof zwei Frauen Tortillas, wobei sie jeden Fladen einzeln formen und so pro Tag gegen 3000 Tortillas herstellen. Der nächste Halt ist vor einem unauffälligen Wohnhaus. Im Vorzimmer sitzen die Grosseltern auf zwei Stühlen vor dem Fernseher.
Aus einem kleinen, angrenzenden Raum lugt ein Junge hervor, dahinter verbirgt sich ein Lederatelier. Vier Männer sitzen an alten Nähmaschinen mit Tretantrieb. Sie fertigen Ledertaschen und -gürtel. «Es sind die Menschen, die Nicaragua ausmachen», sagt Reiseleiter Stéphane Dähler und ergänzt: «Nicaragua ist ein Land, das viel zu bieten hat, jedoch unterschätzt wird.»
Grosser Erdnussproduzent
Nicaragua exportiert viele Agrargüter und ist unter anderem eines der grössten Erdnussproduktionsländer der Welt. Weiter werden zum Beispiel Zuckerrohr, Reis, Kaffee oder Pitaya angebaut. So hat ein Texaner vor über zehn Jahren in den Bergen Managuas, in der Sierra de Managua, rund 150 Hektaren Land gekauft und dort angefangen, rote Pitayas zu produzieren. Das vor allem für den Export in die USA. Die Landschaft ist wild und zerklüftet.
Meist weht ein kräftiger Wind und wirbelt rötlichen Sand und Staub durch die Luft. Das Gebiet steht unter dem Einfluss des Vulkans Masaya. Einer der aktivsten Nicaraguas. Die Pitaya oder Drachenfrucht aus der Familie der Kakteengewächse ist die einzige Kultur, die diesen harschen Bedingungen trotzt. Besonders ist, dass die Blüten der Pitayas, die sich in der Dunkelheit öffnen, von den Plantagenmitarbeitern einzeln mit einem Pinsel befruchtet werden.
Für das Ursprüngliche
Nicaragua ist ein abwechslungsreiches, ein schönes Land mit seiner unberührten Natur, seiner vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt und den imposanten Vulkanen. In Bezug auf die Politik aber auch ein kontroverses Land. Das Schwierigste sei, die vorherrschende Meinung über Nicaragua zu ändern, sagt David Rosales, der vor wenigen Jahren in Granada sein eigenes Reisebüro eröffnet hat.
So würden viele im Zusammenhang mit Nicaragua immer nur an die Revolution und an den Bürgerkrieg denken. Doch diese Zeit sei vorbei, sagt er. «Darum ist es wichtig, dass die Touristinnen und Touristen hierherkommen und sehen, wie sich das Land verändert hat», so Rosales.
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