«Der Muttertag ärgert mich je länger je mehr, weil er eine Farce ist. Man könnte ihn abschaffen», sagte Mirjam Jost, Kinderpsychotherapeutin, noch vor einem Jahr. Nach intensiver Auseinandersetzung hat sie auch eine andere Seite des Muttertages wahrgenommen. Die Psychologin Nadine Chaignat kann dem Muttertag auch Positives abgewinnen. Das ganze Gespräch der beiden Mütter ist auf mamasunplugged.ch zu hören.
• Den Mut haben, Bedürfnisse und Wünsche zu äussern.
• Bei Generationenkonflikten dem Mann Verantwortung übergeben und mit den Geschwistern eine gute Lösung finden.
• Neues wagen. Der Muttertag kann auch am Samstag oder eine Woche später gefeiert werden.
• Mit den Ressourcen haushalten, die man hat.
• Sich selbst einen schönen Tag organisieren.
•Die Kinder lehren, Wertschätzung zu zeigen. mgt
Mirjam Jost: «Man glaubt ja, dass der Muttertag aus dem Zweiten Weltkrieg kommt und dazu gebraucht wurde, die Mutterfigur hervorzuheben. Frauen zu ehren, die viele Kinder geboren haben zum Erhalt der arischen Rasse.»
Nadine Chaignat: «Wir haben je vier Kinder – das hätte wohl nicht gereicht für den Mutterschaftsorden. Heute ist der Muttertag eher ein Dankeschön einmal im Jahr – und damit hat man zufrieden zu sein.»
Mirjam Jost: «Ja, diese Kommerzialisierung ist für mich eine Farce und die Haltung dahinter während des Dritten Reiches der pure Horror. Aber eigentlich ist der Ursprung des Muttertags ein anderer. In der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges lebte Julia Ward Howe, eine Pazifistin und Frauenrechtlerin. Sie wollte einen Friedenstag einführen, um gemeinsam Verwundete zu versorgen. Die Männer hatten daran kein Interesse, weshalb sie sich an Kriegsmütter wandte.»
Nadine Chaignat: «Und da war Ann Maria Reeves Jarvis. Sie gründete die Mother Friendship Days, eine Vernetzung von Müttern. Damit wollte sie über Hygiene und Versorgung aufklären, um die Kindersterblichkeit zu verringern. Eine Art gemeinsames Kümmern und Lernen. Sie wünschte sich einen Tag, an dem die Arbeit der Mütter hervorgehoben und Frauen in der damaligen Gesellschaft gesehen würden. Es gab nur Ehrentage für Männer. Erst ihre Tochter schaffte es aber, diesen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen. 1914 wurde der Muttertag ein offizieller Tag in Amerika.»
Mirjam Jost: «Meine Versöhnung mit dem Muttertag begann mit dem Gedanken: Wenn wir es schaffen würden, als Gesellschaft den Fokus auf den Ursprung des Muttertages, das Erarbeiten von Freundschaften, von Fürsorge untereinander, gegenseitigem Unterstützen und Begleiten zu setzen, dann finde ich, dass es unbedingt so einen Tag braucht.»
Nadine Chaignat: «Aber reden wir hier noch von einem Muttertag oder eher einem Care-Tag, an dem alle, die irgendwo Carearbeit machen, eingeschlossen sind? Da ist mein Herz bei den Müttern. Für mich beinhaltet Muttersein noch mehr als Carearbeit. Wenn du als Frau Mutter wirst, wirst du an den Rand der Gesellschaft gedrängt, bist wenig sichtbar. Wenn überhaupt, fällst du vor allem negativ auf. Weil deine Kinder sich nicht so benehmen, wie sie sollten. Es sagt dir niemand: Wow, du bist eine gute Mutter.»
Mirjam Jost: «Wenn man als Mutter zu Hause bleibt und nicht erwerbstätig ist, wird das als nicht gut angesehen. Geht man aber einer Lohnarbeit nach, heisst es, man würde seine Kinder vernachlässigen. Ein Mann wird nie gefragt, wie viele Kinder er hat und wer zu ihnen schaut. In dieser Form rückt die Mutterschaft üblicherweise in den Fokus, aber alles, was Frauen rundherum leisten, wird weder gesehen noch geschätzt.»
Nadine Chaignat: «Ja, die Wertschätzung findet kaum statt. Und nun gibt man den Müttern einen Ehrentag, und damit können sie zufrieden sein fürs ganze Jahr. Da fragt man sich schon: Ergibt das Sinn?»
Mirjam Jost: «Eine Mutter an einem Tag entlasten beim Kochen oder mit einem Kaffee im Bett? Nein, das kann es doch nicht sein. Dahinter ist die Haltung: Jetzt hast du ja bekommen, was du wolltest. Ein bisschen auf den Kopf tätscheln, und nun ist es gut. Dasselbe passiert, wenn Frauen um Lohngleichheit kämpfen. Da wird gefragt: Brauchen wir das noch in der Schweiz? Es ist doch alles gut hier.»
Nadine Chaignat: «Darum ist für mich die Haltung hinter diesem Tag so wichtig. Man hat ja auch nur einmal im Jahr Geburtstag und obwohl mich Menschen das ganze Jahr hindurch wertschätzen, steht er symbolisch als Ehrentag für mich. Der Tag, an dem ich besondere Anerkennung für mein Sein erhalte. Das tut gut. Wenn man sich als Gesellschaft einmal im Jahr Zeit nimmt, Mütter in den Vordergrund zu rücken, finde ich das nicht falsch. Mütter sind wichtig. Ihr Sein darf gewürdigt werden. Aber kein Kopftätscheln bitte. Viel lieber ein Hinhören und Hinsehen. Eigentlich so, wie der Muttertag ursprünglich gedacht war.»
Mirjam Jost: «Ja, das sehe ich auch so, und es darf nicht mit diesem einen Tag erledigt sein.»
Nadine Chaignat: «Wir müssen als Frauen das Muttersein zu uns nehmen. Es ist ein spezieller Zustand. Wenn wir ihn annehmen, haben wir auch eine andere Haltung. Nämlich, dass das Muttersein es wert ist, als wertvoll angesehen zu werden. Mutterschaft ist vielschichtig und beinhaltet Schönes, aber auch Schmerz. Wenn wir diesen Tag feiern, wie genau sollen wir das tun? Darf ich meine Erwartungen überhaupt kommunizieren? Meinem Partner und meinen Kindern sagen, was mir guttun würde?»
Mirjam Jost: «Ja, ich finde, das sollten wir unbedingt tun. Das ist nicht peinlich. Da sorgt man für sich, indem man seine eigenen Bedürfnisse erkennt und dafür einsteht. Auf eine realistische Art und Weise. Ich finde das super. Ich darf meinen Kindern und meinem Partner sagen, was ich mir an diesem Tag wünsche. Wenn ich nur darauf hoffe, dass sie meine Gedanken lesen, dann bin ich womöglich enttäuscht. Es ist an mir, Verantwortung für meine Wünsche und Bedürfnisse zu übernehmen, weil es sonst auch meine Verantwortung wäre, mit der Enttäuschung umzugehen. Und man darf beim Wünschen auch ins Detail gehen.»
Nadine Chaignat: «Da ist die Frage, was denn mit all den alleinerziehenden Müttern ist? Oder in Familien, in denen der Partner nicht mithilft? Dürfte man sich selbst mit den Kindern zusammen ein Muttertagsgeschenk machen? Selbst wenn es etwas schmerzt, wenn ich die bin, die sich darum kümmert.»
Mirjam Jost: «Unbedingt. Natürlich tut es weh, dass man das an diesem Tag selbst übernehmen muss. Aber ich möchte, dass meine Kinder mich sehen und wertschätzen. Wenn mein Umfeld das nicht macht, kann ich damit beginnen, es gemeinsam mit ihnen zu tun. So lernen sie, wie sie andere wertschätzen können und auch, zu sich selbst zu schauen.»
Aufzeichnung: Anna Wingeier
Nadine Chaignat ist Psychologin und Journalistin und arbeitet als Content Creator. Gemeinsam mit ihrem Mann unterrichtet sie ihre vier Kinder zu Hause. Sie ist Inhaberin der Plattform mamasunplugged.ch. Sie sagt, dass man übers Muttersein reden muss, damit das öffentliche Bild von Mutterschaft realistisch und wertschätzender wird.
Mirjam Jost ist Kinderpsychotherapeutin. Sie begleitet und unterstützt Kinder und Jugendliche und deren Eltern in ihrer Praxis. Sie hat vier schon fast erwachsene Kinder und versucht, mit Dankbarkeit für das, was sie hat, das Leben verantwortungsvoll den anderen Menschen gegenüber zu gestalten.
Mamas Unplugged ist eine Plattform, die das Muttersein abbildet. Zu finden sind persönliche Artikel, Humorvolles, Rezepte, ein Shop und Podcastfolgen zu aktuellen Themen. mgt
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