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Wassermangel ist eine Realität – und ein Politikum

Unsere langjährige freie Mitarbeiterin Susanne Sigrist macht eine Auszeit in Sri Lanka. Sie wird in unregelmässigen Abständen über landwirtschaftliche Themen aus dem Land berichten. Zu Beginn der Artikelserie beschreibt sie jedoch ihre Reise Richtung Osten, deren ersten Teil sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt hat.

Susanne Sigrist |

Es ist der 17. April 2024, als ich in Zürich in den Nachtzug nach Budapest steige. Das Abenteuer kann beginnen! Am Morgen darauf erstrecken sich hinter Wien die lieblichen Landschaften um den Neusiedlersee. Hasen hoppeln über die Felder, Rehe äsen und Fasane strecken den Kopf aus dem Gebüsch.

Bunte Gesellschaft

In dieser Gegend haben die ungarischen Bauern grosse Felder, es ist April und sie haben bereits mit dem Bewässern des Weizens begonnen. In der Nacht fahre ich weiter von Budapest bis Bukarest. Wir sind eine lustige Gesellschaft in unserem Schlafwagenabteil: eine slowenische Medizinstudentin, zwei junge französische Studenten, die nach Afghanistan wollen, ein pensionierter englischer Buchhalter unterwegs nach Istanbul und ein ungarischer Pfarrer, der protestantische Gemeinden in Rumänien besuchen geht.

Er spricht einen Segen, bevor wir unser Essen teilen. Vor dem Einschlafen spielt er für uns auf der Geige. Mir gehen nochmals unsere Diskussionen durch den Kopf… wollten wir nicht die Welt retten? Die Studenten und ich mit mehr Gerechtigkeit, Demokratie und Mitgefühl. Der Pfarrer hingegen predigte: Man kann die Welt nicht retten, aber Gott ist die Rettung. Was soll man da sagen? Ohne es auszusprechen, beschliessen wir Meinungsfreiheit. Keiner hat Lust, die Harmonie zu zerstören, die uns unvermutet in diesem Sechserabteil geschenkt wurde.

Eine Flasche Vodka in einer Stunde

Mit zwei Stunden Verspätung kommen wir in Bukarest an, denn am rumänischen Schienennetz wird heftig repariert und der Zug bleibt immer wieder mal für längere Zeit stehen. Der geplante Anschluss nach Sofia ist weg, das gebuchte Hotel kann ich vergessen. Spontan beschliesse ich, mit dem Regionalzug quer durch das Land Richtung Süden zu fahren. Wobei - das Tempo ist so gemächlich, dass ich vermutlich mit dem Fahrrad schneller wäre. Auch hier das gleiche Bild wie in Ungarn: Zwar eher kleinere Felder, aber Bauern ziehen Leitungen durch ihre Weizenfelder und aktivieren die Bewässerungssysteme, die im Winter nicht in Gebrauch waren.

Es ist eine schöne Landschaft und die Leute sind freundlich. Nur der Mann mir gegenüber stresst: Er hat zwei Flaschen in seiner Tasche dabei, eine mit Vodka, eine mit Wasser. In regelmässigen Abständen nimmt er von beiden einen langen Schluck. Nach einer Stunde sind beide leer. Als er mir immer heftiger zublinzelt, wechsle ich den Platz. Am Abend komme ich an der Grenze zu Bulgarien an und erfahre, dass erst am nächsten Tag wieder ein Zug hinüberfährt. Endstation für mich.

Melancholie

Als sie mein langes Gesicht sieht, ruft die Bahnhofsvorsteherin von Giurgiu spontan einen Kollegen an. Für 20 Euro fährt mich Iwan mit seinem Taxi über die Donau, zu einem Hotel in Ruse und ich geniesse meinen Gin Tonic, die Dusche und das Bett. Ich war noch nie in Bulgarien, aber die Melancholie der post-kommunistischen Area in dieser Stadt fasziniert mich. Hier könnte ich stundenlang mit dem Fotoapparat durch die Strassen streifen und den Zerfall der Geschichte festhalten.

Aber damit täte ich den Bewohnern unrecht: Sie leben ihr Leben so gut es mit der korrupten Regierung eben geht. Diese von hunderten von Kastanienbäumen gesäumten Ortschaft an der Donau, deren Parks und historische Gebäude von besseren Zeiten erzählen, hat auch einen Bezug zur Schweiz: Hier wurde Elias Canetti geboren. Der bekannte Schriftsteller und Nobelpreisträger emigrierte und starb 1994 in Zürich.

Grössere Felder

Am Bahnhof von Ruse kann ich glücklicherweise den Nachtzug von Dimitrovgrad nach Istanbul buchen. Es ist zwar noch nicht Hochsaison, aber die Schlafplätze sind beliebt. So steige ich wieder in einen Regionalzug Richtung Süden, quer durch die bulgarische Landschaft. Die Landwirte hier bewirtschaften grössere Felder und nicht so flache, wie ich sie in Rumänien gesehen habe. Sanft reiht sich ein Hügel an den nächsten, durchzogen von Wäldern und Ackersäumen mit Bäumen. Obwohl südlicher gelegen, sehe ich kaum Bewässerungsanlagen. Nach zweimal Umsteigen komme ich abends in Dimitrovgrad an und kurz vor Mitternacht klettere ich müde in den Nachtzug nach Istanbul. Und wer schläft im Abteil neben mir? Die zwei französischen Studenten!

Am Morgen steige ich im europäischen Teil von Istanbul in die Marmarys-Bahn und fahre zum asiatischen Teil hinüber. Dort habe ich Glück: Im Schnellzug nach Ankara ist ein Platz frei geworden! Nach rund fünf Stunden komme ich in der Hauptstadt an und kann mir noch vor dem Abend ein Hotel suchen. Tags darauf besuche ich die Gedenkstädte von Atatürk, den imposanten und weitläufigen Anitkabir, ein bei Einheimischen und Touristen gleichermassen beliebtes Ausflugsziel auf einem Hügel mitten in der Stadt.

Landwirte vom Zehnten befreit

Mustafa Kemal Atatürk (1871-1938) hat während seiner kurzen Regierungszeit nicht nur Kriege mit dem Ausland geführt und 1923 die türkische Republik gegründet, sondern auch im eigenen Land enorm viel modernisiert. Die türkischen Landwirte hat er vom Zehnten befreit, landwirtschaftliche Schulen eingerichtet und sich mit dem säkulären Programm vor allem unter den religiösen und alten Machtzirkeln keine Freunde gemacht.  Aber wäre er nicht gewesen, wäre die Türkei heute definitiv ein komplett anderes Land.

Die Agrarerträge der Türkei sind in den 100 Jahren seit der Republikgründung wohl gestiegen, aber die Kluft zwischen modernen Agrarunternehmen und Kleinbauern ist noch immer enorm. Und Atatürks Bauernhof, den er 1937 dem türkischen Volk vermachte, missbrauchte Präsident Erdogan für eigene Zwecke: 2014 liess er sich trotz massiver Proteste und fehlender Baubewilligung einen Präsidentenpalast mit 1000 Zimmern bauen. Was wohl Atatürk dazu sagen würde?

Wasser ist Gold wert

Es ist heiss. Und natürlich sind auch die türkischen Bauern am Bewässern der Felder. In Anatolien sind diesen April die Bäche und Stauseen (noch) voll mit Wasser, anders wird es wohl in der südlich gelegenen syrischen Tiefebene aussehen: Das Land hat keine Berge. Und wenn die Türkei das Wasser der Bäche und Flüsse für sich behält, fliesst nur wenig Wasser über die Grenze: Die syrischen Bauern sind gezwungen, Brunnen zu bohren, um ans Grundwasser zu gelangen, aber jedes Jahr muss tiefer gebohrt werden. Wasser ist Gold wert, und es lässt sich bestens damit Politik betreiben.

Bis vor einigen Jahren konnte man mit dem Asia-Express in 80 Stunden gemütlich von Ankara bis Teheran fahren. Aber nun endet die Zugreise nach rund 30 Stunden in Tatvan am westlichen Ufer das Van-Sees, dessen Pegel seit Jahren im Sinken ist und das Leben der Anwohner verändert. Ab jetzt geht es für mich nur noch mit dem Bus weiter. Übernachtung in Van, am Morgen mit einem Minibus an die iranische Grenze. Der Übertritt ist problemlos, viele der Grenzgänger waren in Van einkaufen. Nach der fröhlichen Busfahrt (ja, Iraner lachen viel und gerne!) durch die malerischen Schluchten wirkt die Grossstadt Täbriz mit ihren 2 Millionen Einwohnern wie ein Fremdkörper. Der Verkehr ist monströs, das Tempo ansonsten entspannt.

Felder aufgegeben

Nach drei ruhigen Tagen in Täbriz geht die Reise mit dem Bus weiter Richtung Süden. Tagelang fahre ich, denn die Strassen sind oft in einem schlechten Zustand und das Land ist riesig! In Isfahan, der Stadt mit bezaubernden Parks und Alleen, führt der Fluss Zayandeh unter der berühmten 30-Augen-Brücke (gemeint sind die 30 Bogenfenster) erstaunlicherweise Wasser. Ein seltenes Bild. Der Fluss führt ebenfalls durch die rund hundert Kilometer östlich gelegene Wüstenstadt Varzaneh, spärlich nur, aber immerhin genug, damit kleinere Weizenparzellen auf altherkömmliche Weise bewässert/geschwemmt werden können.

Varzaneh ist unter anderem wegen der nahen Sanddünen inmitten einer Steinlandschaft bekannt und dem Taubenturm, der gebaut wurde, um den Kot der Vögel sammeln zu können. Mein Taxifahrer, eigentlich ein Bauer, erzählt: «Seit es weniger regnet und der Fluss nicht mehr genug Wasser führt, um Baumwolle anzupflanzen, habe ich meine Felder aufgegeben. Ich bewirtschafte nur noch für den Eigenbedarf. So wie mir geht es vielen.»

Unterirdische Bewässerungskanäle

Nach Isfahan besuche ich Shiraz, die Stadt der Liebe und Poeten. Auch hier sind es grosszügige Parks, welche die Besucher erfreuen, denn rund um die Stadt ist nur karge, steinige Landschaft. Beim Ausflug nach Persepolis, rund 60 Kilometer nordöstlich gelegen, fahren wir durch einige wenige grüne, kultivierte Abschnitte Land, ansonsten herrschen Brauntöne vor. Die antike Stadt Persepolis, ein der Residenzen von Perserkönig Dareios und Sohn Xerxes, ist ein Ausflugsziel, das täglich von tausenden von Touristen besucht wird. Ein Tourguide führt mich durch die Ruinen.

Die nach der Zerstörung 330 v. Ch. Durch Alexander den Grossen übrig gebliebenen Säulen und Fresken sind beeindruckend. Zum einen wegen ihrer Schönheit aber auch wegen der Handwerkskunst. Es waren begnadete Architekten und Künstler, welche diesen Palast geschaffen haben. Doch es ging beim Baum um mehr als Schönheit und Macht: Wie die mehrere hundert Meter langen, unterirdischen Bewässerungskanäle und das rund 60 Meter tiefe Reservoir zeigen, war der Umgang mit Wasser schon vor mehr als 2500 ein Thema. Es wurde nicht verdrängt, sondern intelligent gelöst. Geschichte, so denke ich, ist nicht nur faszinierend, sondern kann uns auch inspirieren.

Kommentare (3)

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    Dieser Kommentar wurde von der Redaktion entfernt.
  • Stefan Doeblin | 18.06.2024
    Wunderschöne Reisebeschreibung, man bekommt Lust, den Rucksack zu packen. Bin gespannt, wie es weitergeht.
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