Die Weihnachtszeit ist auch ein Moment, in dem man auf das zu Ende gehende Jahr zurückblickt. Nicht immer ist alles gut gelaufen. So auch nicht in unserer Weihnachtsgeschichte. Doch manchmal passieren noch Wunder.
«Verflixt! Schon wieder eine Totgeburt», denkt sich Sebastian. Es war zwar ein schönes, wenn auch grosses Kuhkalb, welches das Rind als Erstgeburt zur Welt gebracht hatte. Doch leider tot. Das letzte Jahr war ein einziger Reinfall. Kaum eine Geburt verlief normal. Tote Kälber, Missgeburten. Und bei den drei Zwillingsgeburten gab es immer ein Pärchen: Das Kuhkalb also unfruchtbar.
Kühe nicht trächtig
Und das war noch nicht einmal das Schlimmste. Viele Kühe wurden gar nicht erst trächtig. Die Besamer wussten manchmal auch nicht mehr, was zu tun ist. Selbst das besonders fruchtbare Mischsperma «Silian» führte selten zum Erfolg. Für die Nerven aller Beteiligten ist so eine Situation schlimm. Noch schlimmer ist es für das Portemonnaie.
Auch wenn heute Heiligabend ist: So richtig Weihnachtsstimmung will bei Sebastian nicht aufkommen. Das tote Kuhkalb will er über die Festtage nicht in der Abkalbebox haben. Er zieht es raus und deckt es mit einer Plane ab. Als Nächstes geht er in Richtung Rinderstall. Dort steht Andrea, die Zwillingsschwester des Rindes, die gerade das tote Kalb zur Welt gebracht hat. Damals hatte er sich so sehr gefreut, als die beiden Kälber zur Welt gekommen sind. Denn sie stammten aus seiner besten Kuh mit gutem Exterieur und gleichzeitig hohem Zuchtwert. Und sie entwickelten sich zunächst prächtig.
Kälbertod wegen Hundekot
Doch beide hatten grosse Probleme, trächtig zu werden. Wie fast alle Rinder vor einem Jahr. Vermutlich lag es an durch Hundekot verunreinigte Siloballen. «Neosporose» nannte das die Tierärztin. Ja, über die «Hündeler» kann sich Sebastian trefflich aufregen. Vor allem über diejenigen, welche die Hinterlassenschaft ihres Vierbeiners nicht mit dem Robidog-Säcklein beseitigen.
«Eigentlich sollte man diesen Leuten auch mal ins Essen sch…», pflegt Sebastian zu denken. Manchmal sagt er es dann auch gerade, was ihm jeweils eheliche Kritik einbringt. Vermutlich wurden dadurch viele Aborte verursacht. Nach Langem war dann zumindest Amélie, das eine der beiden Rinder, mit «Silian» trächtig geworden. Daraus gab es das tote Kuhkalb, das vermutlich vom Simmentalerstier im Mischsperma stammte.
Ist sie doch trächtig?
Doch bei Zwillingsschwester Andrea war es noch verflixter. Vier, fünf Mal hatte er sie besamt. Das letzte Mal erst vor wenigen Monaten. Dieses Mal ebenfalls mit einem Maststier. Denn Sebastian brachte es nicht übers Herz, das prächtige Tier vorzeitig schlachten zu lassen. Nach Langem schien es dann trächtig geworden zu sein. Von einem Maststier, schien es zumindest. Mit diesen Gedanken schaute sich der Viehzüchter das Prachtsrind genau an.
Andrea war nicht nur gross, sondern auch extrem exakt. «Noch schöner als Amélie», dachte er sich. Doch auch hier würde es in wenigen Monaten ein Mastkalb geben. Dann schaut er noch einmal genau hin. Es scheint ihm auf einmal, dass Andreas Euter alle Anzeichen einer baldigen Abkalbung zeigte. «Das kann doch nicht sein», denkt er sich. Also schaut er sie von hinten an. «Man staunt. Sie scheint bald abkalben zu wollen!». Er zögert nicht lange, nimmt ein Halfter und führte das nähige Rind in die Abkalbebox.
Stimmung im Keller
«Sebastian? Sebastian!» Der Ruf seiner Gattin Olivia ereilt sein Ohr. Denn er hat die Zeit etwas vergessen. Es ist schon spät. «Ich höre dich ja, aber ich brauche noch eine halbe Stunde», ruft er zurück. Nun macht er sich zügig an die Arbeit. Doch es dauert dann fast eine Stunde, bis er endlich frisch geduscht und rasiert in der guten Stube steht. Olivia ist nicht gerade erbaut über die Verspätung. «Wir warten schon lange», meint sie. Doch das ist jetzt für Sebastian zu viel: «Immer hackst du auf mir herum. Dabei habe ich immer nur Pech im Stall.»
Die Stimmung ist im Keller. Daran können zunächst weder der hervorragende Sauerbraten und der exzellente Kartoffelstock etwas ändern. Doch dank gutem Essen und feinem Wein steigt die Stimmung wieder etwas. «Kochen kann meine Olivia hervorragend», denkt sich Sebastian. Jetzt kommt noch der ultimative Christstollen der Schwiegermutter. Dazu Rumtopf und viel Rahm. Langsam, aber sicher kommt Weihnachtsstimmung auf.
Anna-Katharina Flükiger
Ihr Kinderlein kommet…
«Ihr Kinderlein kommet, so kommet doch all», schallt es aus den Kehlen der singfreudigen Familie. «Nur Kuhkälber kommen nicht», denkt sich der Landwirt, der selber nur mitsummt. Doch was ist mit Rind Andrea? Er guckt mal wieder auf sein Handy, mit dem er direkten Zugriff auf die Kamera in der Abkalbebox hat. «Es scheint loszugehen», raunt er, greift sich noch ein Weihnachtsgüezi und geht aus der guten Stube. «Wohin willst du?», ruft ihm seine Gattin nach. Doch er hört nichts.
Draussen ist es jetzt doch recht kalt. Die Mütze kann er gut brauchen. Als er in den Stall kommt, sieht er schon von Weitem, dass Andrea bereits abgekalbt hat. Sie leckt gerade ein wunderschönes Kalb ab. «Definitiv ein Milchrassenkalb und keines vom Limousin- oder Angus-Stier», denkt sich Sebastian erfreut. Offenbar hat die erste Besamung doch funktioniert. Doch nun sieht er, dass noch einmal ein Kalb aus der Mutter hinauswill.
«Nicht schon wieder ein Pärchen», denkt er sich. Aber diesmal hat Sebastian noch einmal Glück. Es ist ein zweites, noch fast schöneres Kuhkalb. Allen drei – Mutter und den beiden Töchtern – geht es hervorragend. Sebastian kniet eine Weile still neben der Mutter und den Kälbern in der Abkalbebox. Es kommt ihm fast vor wie bei Ochs und Esel in der Weihnachtsgeschichte.
Leider verstehen das unsere lieben Mitmenschen, aus der Stadt nicht, sie haben das gefühl das auf dem Bauernhof immer nur friede, freude, erierkuchen ist und wir Bauern kein gefühl für die Tiere haben.