Ein Leben als Dachs ist möglich. In einem spektakulären Selbstversuch schlüpft der Brite Charles Foster in die Rolle verschiedener Tiere.
Wenn ein ausgewachsener Mann am helllichten Tag unter einem Rhododendronbusch eines Vorgartens kauert, kann es sich wohl nur um einen Obdachlosen handeln. Das dachte sich jedenfalls ein Londoner Polizist, der den im Unterholz herumlümmelnden Charles Foster wegen «widerrechtlichen» Betretens eines fremden Grundstücks zurechtwies.
Leben eines Fuches führen
Doch auf die Frage, warum er hier einfach so schlief, bekam der Polizist eine mehr als verstörende Antwort: «Ich versuche, ein Fuchs zu sein, ich will wissen, wie es ist, wenn man den ganzen Tag Verkehrslärm hört und nur Knöchel und Waden sieht anstatt die ganzen Menschen.» Wahrscheinlich hielt der Polizist Foster für geistesgestört. Er ermahnte ihn, schnellstens «auf den Boden der Tatsachen» zurückzukommen.
Wie hätte der Beamte auch ahnen können, dass er hier Zeuge eines aussergewöhnlichen Experiments war, nämlich des Selbstversuchs eines Menschen, sich in ein Tier zu verwandeln? Denn Foster hatte die Wahrheit gesagt: Er wollte tatsächlich mitten im Londoner East End das Leben eines Fuchses führen. Wie sich das anfühlte, beschreibt er in seinem Buch «Der Geschmack von Laub und Erde», das jetzt auch auf Deutsch erschienen ist.
Ekliger Speiseplan
Der gelernte Tierarzt, Anwalt und Rechtsmediziner hat sich jedoch nicht nur eingehend mit Füchsen beschäftigt, er ist im Laufe seines Lebens auch in die Rolle eines Dachses, Otters, Rothirsches und Mauerseglers geschlüpft. Wie nehmen all diese Tiere ihre Umwelt wahr, welche Sinne gebrauchen sie, welche sind eher unerheblich und ist es überhaupt möglich, als Mensch die gleichen sinnlichen Erfahrungen wie diese Tiere zu machen?
Der Leser verfolgt diesen Selbstversuch mit Bewunderung, Staunen, bisweilen auch mit Ekel. Denn allein das Lesen von Fosters tierischem Speiseplan kostet Überwindung. Als Dachs nimmt er etwa Regenwürmer zu sich und als Fuchs durchstöbert er Abfalltonnen nach Speiseresten. Gerade die Nahrungsaufnahme zeigt die Grenzen des Experiments auf: «Die kulinarischen Unwägbarkeiten des Dachsalltags konnte ich nicht nachahmen.» Und bisweilen wird auch der hartgesottenste Forscher schwach: «Ganz unten im Rucksack versteckten sich schuldbewusst Sardinen, Thunfisch und Bohnen.»
Von wegen Krone der Schöpfung
Um ein Leben als Dachs bestmöglich nachzuempfinden, muss die Menschennase unterscheiden können, «was wir so unbeholfen als 'Erde' bezeichnen: Laub, Dung, Aas, Behausungen, Regen, Eier und Schrecknisse». Bis zu einem gewissen Grad ist das trainierbar, ebenso wie man sich vielleicht mit einiger Mühe eine Vorstellung davon verschaffen kann, wie ein vorbeifahrendes Kraftfahrzeug auf einen feinhörigen Dachs wirkt, nämlich wie ein brutaler Tsumani.
Aber wie sich Regenwürmer durch die Erde wühlen, werden wir Menschen nie hören können. Dazu fehlen uns einfach ein paar Frequenzen. Und den scharfen Blick eines Mauerseglers, der bei einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern aus dem Flug eine Arbeitsbiene von einer Drohne unterscheiden kann, können wir nur bewundernd beschreiben, aber nicht nachahmen. Gerade das Kapitel über den Mauersegler bleibt deshalb auch sehr abstrakt.
Das Buch ist mit erfrischender Selbstironie und britischem Humor geschrieben. Es lehrt uns vor allem eins: Respekt vor Tieren zu haben und von unserem hohen Ross herunterzukommen. Denn auch der Mensch, die angebliche «Krone der Schöpfung», ist ein beschränktes Wesen und «Artengrenzen sind, wenn nicht illusionär, so zumindest vage und manchmal auch durchlässig.»
Charles Foster: «Der Geschmack von Laub und Erde. Wie ich versuchte, als Tier zu leben». Malik Verlag 2017. 288 Seiten. Fr. 29.90 gebundene Ausgabe, Fr. 20.50 eBook, Fr. 15.90 Hörbuch (UVP).